Wirtschaft | Gastkommentar

Wie man Kubatur verschenkt

Die Gemeinde Neumarkt verschenkt in Wirklichkeit weit mehr als 8.000 Kubikmeter und die angeblichen Gegenleistungen scheinen nirgends auf. Eine Replik.
Bampi, Zeno
Foto: Salto.bz
Also doch: 4.000 m³ zugesprochen! Nicht der Caritas oder dem Alpenverein – nein, 60 oder 70 privaten Eigentümern (die Frau Bürgermeister korrigiert auf 70, obwohl die Eigentümerliste bei 62 Einheiten endet und zwei der Eigentümer zweimal aufscheinen...) eines Kondominiums im Ortszentrum von Neumarkt. Wohlgemerkt: Gratis! Nun, das ist auch kein Pappenstiel! Etwas mehr als zehn Wohneinheiten, nicht zu kleine, lassen sich daraus auf jeden Fall bauen. Aus 8.000 m³ freilich noch einige mehr... – aber schön eins nach dem anderen...
Also doch: 4.000 m³ zugesprochen! Nicht der Caritas oder dem Alpenverein – nein, 60 privaten Eigentümern.
Geht man also zunächst einmal von zugesprochenen 4.000 m³ aus und multipliziert dieses Volumen mit den 90 Euro, die der ehemalige Bürgermeister Horst Pichler in seinem Gastkommentar auf salto.bz errechnet – und die richtigerweise auch der Bampi und alle anderen Neumarktner zahlen müssen, sofern sie mit dem Verfahren laut Art. 36bis ein geeignetes Grundstück aufweisen konnten und darauf konventioniertes Bauvolumen von der Gemeinde zugesprochen bekamen –, ergibt dies bei 4.000 m³ x 90 € = 360.000 €. An sich zweifellos auch schon ein ansehnlicher Betrag, auf den die Gemeinde ohne jede Gegenleistung verzichtet.
Nur: die 90 €/m³ sind in diesem Fall nicht der maßgebliche Wert. Hier gilt es vielmehr, laut den Richtlinien-Beschluss vom 04.02.2014, Nr. 108 für die Begründung von Baurechten in bereits bestehenden Wohnbauzonen, auch in Anbetracht einer außergewöhnlichen maximalen Baumassendichte, für die Bewertung der Leistung der Gemeinde den Verkehrswert zu ermitteln. Dieser wird mittels eines im Schätzungswesen anerkannten Verfahrens (Veredelungswert) erhoben. Der Wert des reinen Baurechtes ohne Grundstücksanteil entspricht einem Anteil von zwei Dritteln des ermittelten Wertes – im vorliegenden Fall 250 €/m³. Dabei handelt es sich um einen Mittelwert, welcher von niemandem aus der Branche in Frage gestellt wird.
Somit sind es also bei 4.000 m³ x 250 € = 1 Mio €, auf die die Gemeinde Neumarkt verzichtet.
 
Selbstverständlich kann die Gemeinde im öffentlichen Interesse zur architektonischen Aufwertung Kubatur vergeben. Ob in diesem Fall eine solche Volumenaufstockung von den Bürgern auch als architektonische Aufwertung gesehen wird, darf allerdings stark bezweifelt werden.
Indes wäre der vom ehemaligen Neumarktner Bürgermeister in seiner Einleitung zur Rechtfertigung der Kubatur-Aktion ins Spiel gebrachte neue Platz im kolportierten Wert von 500.000 bis 800.000 Euro mit einer der Gemeinde, wie dargelegt, zustehenden Summe von 1 Million Euro auf jeden Fall leicht zu stemmen.
Mehr als fraglich ist hingegen wiederum, ob dieser Platz, welcher im vorliegenden Bebauungsvorschlag nochmals um die Hälfte verkleinert wird, dem gegenüberliegenden Rathaus ein adäquates Visavis sein wird...
Ganz bestimmt kurios ist bei der für die Schaffung dieses Platzes angeführten Kostenschätzung indes der Einheitspreis, der sich bei einer verbleibenden Fläche von maximal 385 m² ergibt: stolze 1.000 €/m². Die Gemeinde ist nämlich im Wiedergewinnungsplan laut Abgrenzung mit Flächen von ca. 190 m² beteiligt – nur dass das daraus resultierende Volumen gänzlich im Kondominiumsbau verwurstet wurde.
 
 
Nun, das wäre noch hinnehmbar – immer sofern das Volumen zumindest um 237.500 € abgelöst würde: 190 m² x 5 = 950 x 250 € = 237.500 € – auch eine beträchtliche Summe... auf die man verzichtet. Aber Raumordnungsverträge sollen ja nicht als Mittel zur Geldbeschaffung missbraucht werden, denn sonst droht das Verwaltungsgericht... Seltsam also nur, dass in den letzten fünf Jahren trotzdem über 2 Millionen Euro über Raumordnungsverträge von anderen Neumarktern kassiert wurden...
 
Das Thema ist, wie der ehemalige Bürgermeister sagt, sehr komplex, nach eingehender Aufklärung anscheinend aber auch für einen Oppositionspolitiker verständlich...
Nun, für mich ist in den wesentlichen Punkten die Handhabe dieser Initiative im Sinne der urbanistischen Hocheit der Gemeinde Neumarkt durch die damals zuständigen Strategen immer noch ein Buch mit sieben Siegeln.
 
Denn wie kann es sein, dass bei einer Dichte von 2,8 und einer Größe des Areals von 5.645 m² das erlaubte Energiebonusvolumen die maximal zulässige Größe von 20 Prozent laut Planungsinstrument (also: 5.645 m² x 2,8 = 15.806 m3 + 20% = 18.967 m3) mit 20.198,87 m³ weit überschreitet und – wie man aus der Stellungnahme des ehemaligen Bürgermeisters erfährt – recht locker wie folgt "zurechtgezimmert" wird?
Ca. 20.000 m³ bestehen und somit können 20% davon, also 4.000 m³, gratis als Energiebonus dazugeschlagen werden; so bleiben von den neu durch die Indexerhöhung von 2,8 auf 5 (Kubikmeter pro Quadratmeter) genehmigten 28.225 m³ schließlich läppische 4.000 m³ übrig, welche man dem Kondominum zur urbanistichen Verbesserung unentgeltlich abtreten muss.
In Wirklichkeit gewährt die Gemeinde den Privaten genau 9.698 m³ an Mehrkubatur.
Was der Ex-Bürgermeister als effektiv zugesprochenes Volumen deklariert, ist eher "alternativ faktisch" – effektiv ist es wie folgt zu errechnen:
18.967 m³ minus ca. 440 m³ einer im Jahre 2012 schon in Anspruch genommenen ersten Bonuskubatur für einen Baukörper, welcher auch auf dem Areal besteht – eben jener mustergültig sanierte, der durch die Aufstockung beispielgebend für den Rest des Gebäudekomplexes sein soll –; dies ergibt zumindest rechnerisch 18.527 m³. Wenn man diese nun von den gewährten 28.225 m³ in Abzug bringt, verbleiben immer noch 9.698 m³.
Hier wäre noch anzumerken, dass ehemaliges Keller- und Garagenvolumen nun eben außer Erde, oberhalb der Nullkote aufscheint und... "...es ist aber lange her..." ... Also bleiben wir einfachheitshalber bei den konsolidierten 8.000 m³  – man will ja schließlich auch nicht kleinlich sein.
Nun multipliziere auch der Laie anstelle der 4.000 m³ diese 8.000 m³  mit 250 €/m³ und er wird die berühmten 2 Millionen erhalten, welche das Kondominium als Wertzuwachs unentgeltlich erhält. Dies ergibt dann zusätzlich zum Sanierungsvolumen der Bestandswohnungen insgesamt 23 Wohnungen sowie ein paar Büros und Geschäfte, welche auf dem Markt landen werden... – Das Bauvolumen dafür: zum Nulltarif von der Gemeinde Neumarkt!
 
Dass es für die Gemeinde eine unentgeltliche Benützung einer Zufahrtsrampe sowie das Herrichten und Abtreten eines Platzes, der im Wesentlichen der Zugänglichkeit der neuen Geschäfte dient, geben soll, ist weder aus den Beschlüssen noch aus den beigelegten Unterlagen und noch weniger aus Grundbuchseintragungen ersichtlich. Solche Eintragungen, welche ansonsten für jeden Parkplatz gewissenhaft – und im Zweifelsfalle mit Bankgarantie ausgestattet – von allen Bürgern verlangt werden, sind normalerweise Tagesgeschäft für die Gemeinde – hier aber fehlen sie gänzlich.
Aber gut, derlei Details dürften auch den geneigtesten Leser irgendwann langweilen... Schließlich wären die eigentlichen Feinheiten – und derer gibt es noch mehrere in dieser Kubatur-Geschichte – auch eher etwas für ein Seminar, etwa zum Thema "Alternative Transparenz im Bauwesen oder: Warum Kubatur nicht gleich Kubatur ist".
 
Letztlich ermöglicht mir diese Erfahrung zumindest eine künftige Referententätigkeit für den Einführungskurs "Unentgeltliche Kubaturvermehrung auf Initiative der Verwaltung zur architektonischen und urbanistischen Verbesserung der Herzstücke ländlicher Gemeinden".
 
Nachdem der Ortsgruppe der SVP Neumarkt vorgestern durch ein Schreiben der Frau Bürgermeister mitgeteilt wurde, dass durch Rücktritt der gesamten Frauschaft sowie des Ausschussmitgliedes Klaus Pichler diese nun als aufgelöst zu betrachten sei, bleibt mir auf jeden Fall nach über 35 Jahren als deren Mitglied nun etwas mehr Zeit für andere Betätigungsfelder. Zum Beispiel für die verschiedenen Baukommissionen, in denen ich ebenso lange schon tätig bin und hie und da bei verzwickten Fällen gefragt werde, wie man mit der meist knappen Kubatur dem Bürger trotzdem zu seinem Glück verhelfen kann. Dabei handelt es sich allerdings im Normalfall meist nur um wenige Kubikmeter. Angesichts der "wundersamen Kubaturvermehrung" beim "Centro commerciale – direzionale" erscheint es mir jedoch fast der falsche Ansatz zu sein, sich nur um solche Kleinigkeiten der Bürger zu kümmern... Es wäre wohl besser, sich um Kubaturgeschenke zu bemühen... – leider ist mir nur keine annährend so großzügige Kubaturübertragung von einer Gemeinde an Private südtirolweit bekannt.
Letztlich ermöglicht mir diese Erfahrung zumindest eine künftige Referententätigkeit für den Einführungskurs "Unentgeltliche Kubaturvermehrung auf Initiative der Verwaltung zur architektonischen und urbanistischen Verbesserung der Herzstücke ländlicher Gemeinden" – ein bisschen umständlich der Titel, aber treffend! Für das begleitende Kolloquium wenden Sie sich dann aber bitte an die Gemeinde Neumarkt... – hoffentlich nimmt man’s mit Humor.
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rotaderga Do., 19.11.2020 - 09:28

Raumordnung, Kubatur. Die Geister die ich rief, werd ich nimmer los. Diese Praktiken "neuen Markt" scheint es landesweit zu geben nicht nur in Neumarkt. SVP, Segen und Fluch für Südtirol.

Do., 19.11.2020 - 09:28 Permalink