Gesellschaft | Kommentar

Ancora un po’

Wir haben den Sprint hingelegt. Anderswo läuft man den Marathon. Es darf nach dem kollektiven Erfolgserlebnis Massentest kein “Danke, das war’s dann” sein.
Corona-Screening
Foto: Othmar Seehauser

Ich gestehe: Ich hätte dem Herrn, der mir am Samstag den Corona-Abstrich gemacht hat, am liebsten den Arm ausgerissen. Dieses unangenehme Gefühl, ein Stäbchen tief in der Nase zu spüren – und dann wird da auch noch herumgerührt. “Ancora un po’”, versuchte mich der Pfleger (oder war es ein Arzt?) aufzumuntern, während sich meine Augen mit Tränen füllten. Hat das wirklich sein müssen? Ich habe mich an die Hygieneregeln gehalten, um meine Kontakte der letzten vier Wochen zu zählen, reichen drei Finger. Wir haben alle Opfer gebracht – unfreiwillig. Wozu also freiwillig diesen Test über mich ergehen lassen?

Weil es keinen Grund gab, es nicht zu tun. Zu diesem Schluss war ich wenige Tage vor Anlauf von “Südtirol testet” gekommen und bin hingegangen. So wie weitere 343.226 Menschen. Das Mobilmachen von allen Seiten hat gewirkt. Die Abwicklung des Massentests war der erneute beeindruckende Beweis dafür, was Ehrenamt, Sanität und Zivilschutz imstande sind, zu leisten. Natürlich wurden nicht alle Corona-Infizierten entdeckt. Das stand bereits im Vorfeld fest. Deshalb werde ich mich weiter an die Hygieneregeln halten und Kontakte meiden. Auch das war für mich schon vor dem Test klar – auch wenn ich negativ getestet werden würde. Denn wohin es führt, wenn sich zu viele in falscher Sicherheit wiegen, hat man spätestens im Oktober gesehen: schnurstracks zur nächsten Welle, die den nächsten Lockdown gleich mit anschwemmt.

Wenn sich heute überall Ungeduld breit macht, ist das nachvollziehbar. Wir meinen, Gewissheit zu haben: Mit “nur” 3.158 positiv Getesteten, die jetzt auch noch isoliert sind, scheint das Virus so weit weg wie lange nicht mehr, das normale Leben so greifbar nahe. Wir sagen 343.227 Mal Danke, loben die Organisatoren und Beteiligten von “Südtirol testet”. Zurecht. Es war ein dreitägiger Kraftakt, der zum kollektiven Erfolgserlebnis geworden ist. Im Vergleich dazu aber, was anderswo seit Monaten gestemmt wird, ein Wimpernschlag.

Wir haben den Sprint gegen das Virus hingelegt. In den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen läuft man den Marathon. Zum zweiten Mal in diesem Jahr. Von einem normalen Leben sind die Menschen dort wohl weiter entfernt als die meisten anderen. Ärzte, Pfleger, Sanitäter, Patienten – auch aus Respekt für all jene, die Tag für Tag gegen das Virus kämpfen, sollten wir unsere Ungeduld zügeln. Aus demselben wiederentdeckten Respekt für unsere Familien, Freunde, Arbeitskollegen, der uns hat am Massentest teilnehmen lassen.

Es darf es jetzt kein “Danke, das war’s dann” sein. Sondern ein “Ancora un po’”, wie es mir “mein” Tester mitgegeben hat.

Bild
Profil für Benutzer Thomas Unterwinkler
Thomas Unterwinkler Mo., 23.11.2020 - 18:26

Richtig, jetzt ist noch eine ganze Weile Disziplin gefragt. Aber es gibt mit der Impfung Licht am Ende des Tunnels.
Deutschland hat sich über die Beschaffung durch die EU-Kommission sowie durch bilaterale Zusatzvereinbarungen 300 Mio. Impfdosen verschiedener Hersteller gesichert. Ziel ist es, der eigenen Bevölkerung ein breites Impfangebot machen zu können. Bis zum Sommer könnten so bereits 70 Mio. Deutsche geimpft sein. Den übrig gebliebenen Impfstoff will man bedürftigen Ländern überlassen.
Italien und/oder Südtirol würden gut daran tun, diesem Beipiel zu folgen und rechtzeitig über die durch die EU-Beschaffung zugeteilten Mengen hinaus weiteren Impfstoff zu erwerben.

Mo., 23.11.2020 - 18:26 Permalink
Bild
Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Di., 24.11.2020 - 01:34

Ob leib oder laib
ob selbst oder mächtig
oder gar fremd
Höre auf, nach Vollkommenheit zu suchen. Höre auf, andere Menschen verbessern zu wollen, und alle werden hundertfachen Nutzen davon haben. Gib alle Ideale auf. Vergiss die Moral.
Wenn irgend etwas gehindert wird, so wird es dadurch nur um so interessanter. Höre auf, Anstand zu lehren, und lasse natürliche Regungen aus sich selbst heraus in Erscheinung treten.

Handlungen rufen Reaktionen hervor. Es ist, als ob das Universum pervers wäre. Finde einen Anfang, und ein Ende wird bestimmt werden. Bringe eine Meinung zum Ausdruck, und irgend jemand wird ihr widersprechen. Tue irgend etwas, und plötzlich wird wie durch Magie ein Widerspruch sich manifestieren.

Es gibt einen Weg zwischen den Gegensätzen. Folge diesen Prinzipien: Kehre zur Einfachheit zurück; mäßige das Begehren; verringere die Bedeutung des Selbst; schaue in das Herz der Dinge.

Der Weg des Dazwischen ist ein kunstvolles Gleichgewicht von Tun und Nicht-Tun, von Lernen und Verlernen, von Finden und Verlieren, Füllen und Leeren.
°
Ray Grigg (frei nach Laozi)

Di., 24.11.2020 - 01:34 Permalink