Gesellschaft | Notfallmedizin

Beschämende Regelung

Landesrat Thomas Widmann bestätigt, dass man auch in Notfällen bei Patienten einen Corona-Test macht, bevor man sie mit dem Rettungshubschrauber abtransportiert.
Pelikan ambulanza soccorsi croce bianca WEISSES KREUZ
Foto: Croce bianca
Thomas Widmann ist deutlich:
 
„Die aktuellen Protokolle sehen vor, dass bei jedem Patienten ein Antigen-Schnelltest durchgeführt wird. Patienten, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, werden grundsätzlich bodengebunden transportiert“, schreibt der Gesundheitslandesrat. Und weiter:
„Bei Interhospitaltransporten oder Rendezvous Einsätzen (Notarztwagen oder Notarzteinsatzfahrzeug übergibt dem Notarzthubschrauber) erfolgt der Antigen- Schnelltest durch den Arzt, der den Transport indiziert, vor der Transportanfrage an die Landenotrufzentrale. Bei der Transportanfrage selbst wird das Testergebnis der Landesnotrufzentrale mitgeteilt. Bei einem positiven Testergebnis erfolgt der Transport nach den im vorherigen Absatz beschriebenen Voraussetzungen.“.
Auch den Hintergrund dieser Regelung beschreibt der SVP-Politiker detailliert. Widmann: „Alle beschriebenen Maßnahmen zielen darauf ab, das Infektionsrisiko der Besatzung aller Notarzt- besetzten Einsatzmittel (Boden- und Flugrettung) mit dem Coronavirus zu verhindern, die Gefahr der Kontamination auf ein Minimum zu reduzieren und so die Notarzt-besetzten Einsatzmittel für sehr kritische Notfälle stets einsatzbereit zu halten.
Diese Vorgaben seien in der „SOP -Coronavirus (COVID-19)“ der Betrieblichen Direktion für Notfall-, Anästhesie und Intensivmedizin genau festgelegt.
 

Innichner Abflug

 
Thomas Widmann antwortet dabei auf eine Anfrage des Team-K-Abgeordneten Franz Ploner.
Der Primar und langjährige Leiter der Krankenhauses Sterzing hat nach einer Artikelserie von Salto.bz  zur Praxis der Südtiroler Flugrettung in Zeiten von Corona im Landtag nachgefragt. Anlass war ein Fall in Innichen, den Salto.bz  nachgezeichnet hat.
Am späten Vormittag des Mittwochs, 14. Oktober 2020 wird der Notarztwagen des Weißen Kreuzes in Innichen zu einem Notfalleinsatz gerufen. Es geht um eine 71-jährige Patientin. Die behandelnde Notärztin diagnostiziert einen Schlaganfall mit linker halbseitiger Lähmung. Weil bei einem Schlaganfall jede Minute zählt und im Protokoll der Sanität vorgesehen ist, dass genau diese Fälle umgehend in die spezialisierte „Stroke Unit“ am Bozner Krankenhaus gebracht werden sollen, fordert man den Rettungshubschrauber an. Nach Rücksprache entscheidet die Landesnotrufzentrale, dass der Hubschrauber „Pelikan 1“ nach Innichen fliegt, um die Frau nach Bozen zu bringen.
 
 
Die Patientin wird in den Krankenwagen geladen und zum Hubschrauberlandeplatz gebracht. Um 12.34 Uhr landet der Rettungshubschrauber in Innichen. Der Flug-Notarzt des „Pelikan 1“ entscheidet um 12.39 Uhr, bei der betagten Patientin einen Covid-19-Schnelltest zu machen. Nach 6 Minuten erklärt der Flugnotarzt, dass das Ergebnis des Tests „fraglich“ („nicht sauber“) ist und dieser als „positiv“ zu werten sei. Deshalb könne die Patientin nicht vom Rettungshubschrauber mitgenommen werden, sondern müsse im Krankenwagen nach Bozen gebracht werden.
Die behandelnde Innichner Notärztin protestiert gegen diese Entscheidung. Nach ihrer Ansicht war der Test weder klar positiv noch klar negativ, sondern „es gab nur einen Schatten auf der T-Linie“. Die Notfallmedizinerin führt das darauf zurück, dass man nicht mindestens 15 Minuten gewartet hat, um das Testergebnis abzulesen. So wie es eigentlich vorgesehen ist.
Um 12.49 Uhr startet der Rettungshubschrauber aber bereits ohne Patientin wieder in Richtung Bozen. Inzwischen organisieren die Sanitäter den Transport per Krankenwagen nach Bozen. Die Patientin soll dafür von einem anderen Rettungswagen übernommen werden.
Um 12.56 Uhr erklärt die Notärztin den angeblich fraglichen Test als eindeutig negativ. Nach 15 Minuten war das negative Ergebnis sauber und eindeutig zu erkennen. Die Notärztin entscheidet um 13 Uhr einen zweiten Covid-19-Schnelltest an der Patientin zu machen. Die Landesnotrufzentrale, inzwischen vom negativen Testergebnis informiert, schickt einen zweiten Hubschrauber nach Innichen. Diesmal den Rettungshubschrauber „Pelikan 2“.
Um 13.25 Uhr liegt auch das Ergebnis des zweiten Schnelltests vor. Eindeutig negativ. Um 13.45 landet „Pelikan 2“ am Landesplatz in Innichen. Dieser Flugarzt akzeptiert die beiden negativen Testergebnisse: Die Patientin wird an Bord genommen. Um 13.59 Uhr hebt der Rettungshubschrauber mit der Frau dann in Richtung Bozen ab.
 

27 Minuten 

 
In seiner Antwort bestätigt Thomas Widmann die Darstellung von Salto.bz in allen Details. Den Vorwurf eines „lebensgefährlichen Pfuschs“ will der Landesrat aber nicht gelten lassen.
In der Antwort heißt es:
 
„Das Ergebnis war positiv, sodass aufgrund des klinischen Bildes (der Zustand der Patientin wurde mit NACA 3 beurteilt = mäßige bis schwere, aber nicht lebensbedrohliche Störung; stationäre Behandlung erforderlich, häufig auch notärztliche Maßnahmen vor Ort) vom Notarzt ein bodengebundener Transport als angemessen und vertretbar bewertet wurde. Ein Transport mit Sondersignal von Innichen nach Bozen dauert ca. 1,5 Stunden, womit das übliche Zeitfenster für eine eventuelle Lysetherapie – wenn indiziert – eingehalten werden konnte.“
 
 
 
Auch die Tatsache, dass durch diese Entscheidung die Patienten wertvolle Zeit verloren hat, bis sie ins Bozner Krankenhaus kam, wischt der zuständige Politiker mit einer Milchmädchenrechnung vom Tisch:
 
„Zwischen der Alarmierung des Notarztwagens um 11:27 Uhr und der Landung von Pelikan 2 in Bozen um 14:24 Uhr sind also 2 Stunden und 57 Minuten vergangen. Diese Zeitspanne liegt innerhalb des Zeitfensters von 4,5 Stunden, das von den internationalen Fachgesellschaften und Leitlinien für eine evtl. Lysetherapie nach Schlaganfall vorgesehen ist.  Es bleibt zu unterstreichen, dass die Patientin bei widrigen Witterungsverhältnissen oder nachts immer bodengebunden hätte transportiert werden müssen. In diesem Fällen wäre ein Zeitaufwand von ca. 2,5 Stunden (Versorgung und Transport) zu kalkulieren, sodass der Zeitverlust 27 Minuten beträgt“.
 
Selbst für den Abflug des Pelikan 1 in Innichen findet sich plötzlich eine interessante Erklärung: „Nach dem positiven Testergebnis wurde der Notarzthubschrauber Pelikan 1 für eine dringende Verlegung eines einjährigen Kindes von Schlanders in die pädiatrische Abteilung des Krankenhauses Bozen abgezogen.
Auf dem Weg von Innichen nach Schlanders liegt bekanntlich auch das Bozner Krankenhaus.
 

Absurde Praxis

 
Anhand des Innichner Falles wurde aber erstmals die absurde Praxis der Südtiroler Flugrettung öffentlich.
Während die Schweizer Flugrettung Rega, aber auch die Rettungshubschrauber in Deutschland und Österreich ohne Probleme positive Patienten an Bord nehmen, ist das in Südtiroler anscheinend nicht möglich.
Für solche Transporte braucht es eigene Isolationsboxen, damit die Besatzung geschützt ist. In Frankreich sind diese Boxen homologiert, in Italien nicht“, begründet der Direktor der Südtiroler Landesflugrettung Heli, Ivo Bonamico gegenüber dem Österreichischen Luftfahrtsmagazin Austrian Wings diese Praxis. Zudem gebe es – laut Bonamico - klare Vorgaben der Betreiberfirma.
 
 
Dabei hat das Unternehmen „Babcock MCS Italia“, das die drei Südtiroler Rettungshubschrauber betreibt, nicht nur die Zulassung von der italienischen Flugbehörde ENAC Covid-Patienten zu transportieren, sondern ausgerechnet diese Firma hat genau für das Hubschrauber-Modell, das in Südtirol im Einsatz ist, Schutzvorrichtungen entwickelt, die auf der halben Welt längst im Einsatz sind.
Landesrat Thomas Widmann verteidigt in seiner Antwort dennoch die Südtiroler Praxis, dass selbst bei Notfällen an den Verletzen Schnelltest durchgeführt werden, bevor man sie in den Rettungshubschrauber lädt.
Eine Ausnahme bilden Pathologien, wo der Zeitfaktor und/oder der Transport in eine Spezialeinrichtung eine signifikante Rolle spielen, oder auch der Umstand, dass der bodengebundene Transport nicht vom Einsatzort ausgehend durchgeführt werden kann (z.B. alpine Notfälle)“, heißt es in seiner Antwort.
Diese Antwort ist beschämend“, nimmt sich Franz Ploner kein Blatt vor den Mund. Der Team-K-Landtagsabgeordnete will jetzt mit einer weiteren Anfrage zu notfallmedizinischen Versorgung der Patienten im Landtag nachhaken.
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Profil für Benutzer Harry Dierstein
Harry Dierstein Mi., 23.12.2020 - 12:57

=> "Nach 6 Minuten erklärt der Flugnotarzt, dass das Ergebnis des Tests „fraglich“ („nicht sauber“) ist und dieser als „positiv“ zu werten sei."

Darin liegt doch der Hauptfehler! Es ist doch völlig absurd, einen Krankenwagen ins Pustertal anzufordern (der eventuell eine Stunde unterwegs ist) anstatt noch ein fünf Minuten zu warten, bis das Testergebnis erscheint.

Wer trifft denn solche hirnrissigen Entscheidungen?

Ahhh, schon verstanden! Ein Mitglied der SABES-Beratungskommission, die uns vor CoVid schützen soll. Möglicherweise erklärt dieser Vorgang symbolisch, warum Südtirol die höchsten Infektionszahlen weltweit (!) hat. Noch Fragen?

Mi., 23.12.2020 - 12:57 Permalink
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Martin Koellen… Mi., 23.12.2020 - 23:03

Antwort auf von luka nero

@Lukas Schwarz Es ändert nichts am Grundproblem. Zudem, wenn der Flugnotarzt 5 min nach der Landung entscheidet, "bei der betagten Patientin einen Covid-19-Schnelltest zu machen", dürfte dieses Protokoll damals nicht allzu bekannt gewesen sein.
In diesem Protokoll wird dann wohl auch stehen müssen, dass die Besatzung jeden Tag, bevor sie in den Hubschrauber steigt, aufs neue einen Covid-19-Schnelltest machen muss.
Bei einem (Notfall)Patienten wäre es ja noch zu verantworten, wenn sich dieser nachträglich als Covid - positiv herausstellt...

Mi., 23.12.2020 - 23:03 Permalink
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luka nero Do., 24.12.2020 - 08:06

Antwort auf von Martin Koellen…

Ob es ein Kommunikationsproblem war weiß ich nicht, wenn es ein Protokoll bezüglich gibt, dann muss es jeder Notarzt kennen, dann kann ich gleichzeitig mit der Entscheidung den Heli zu rufen einen Schnelltest machen, sinnvoll oder nicht ist eine andere Geschichte. Was sonst im Protokoll steht oder stehen sollte steht hier ja nicht zur Debatte.

Do., 24.12.2020 - 08:06 Permalink
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Christian I Mi., 23.12.2020 - 17:15

Dabei muss man auch sagen, dass die Schnelltests relativ oft falsch-negative Ergebnisse bringen (wie kürzlich auch von Dr. Crisanti bestätigt und wie die tägliche Praxis zeigt). Also behandelt man einen "negativen" Patienten der es gar nicht ist...

Mi., 23.12.2020 - 17:15 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Mi., 23.12.2020 - 19:45

Antwort auf von Christian I

Und was macht das für einen Unterschied? Die Hygienevorschriften bleiben doch immer die gleichen, und die komplette Desinfektion des Transportmittels, egal ob Heli oder Wagen, gehört hoffentlich zum Standard. Also was im umliegenden Ausland normales Prozedere ist, sollte für das Vorzeigeland Südtirol doch wohl das mindeste sein, oder?

Mi., 23.12.2020 - 19:45 Permalink