Politik | EU Recovery Fund

Wer redet bei den Milliarden mit?

Der Staat steht nicht nur in Italien wegen mangelnder Einbindung von Städten und Regionen unter Beschuss. In Südtirol kämpft auch die Opposition um Mitsprache.
Recovery Fund
Foto: (c) Generaldirektion des Landes

Regionale und lokale Verwaltungsebenen werden EU-weit kaum in die Ausarbeitung der nationalen Pläne für den 672,5 Milliarden Euro schweren Recovery Fund einbezogen. So lautet das Fazit einer Konsultation, die vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas (CEMR) und dem Europäischen Ausschuss der Regionen (CoR) in Auftrag gegebenen wurde.

Bis auf wenige Ausnahmen bestätigen die konsultierten Regionalverbände der einzelnen Länder die fehlende Einbindung der Regionen. Wie aus dem Pressebericht des CoR hervorgeht, würden lokale und regionale Verwaltungsebenen nicht befragt oder deren Input nur am Rande oder gar nicht wahrgenommen. Den Hauptgrund für das Versäumnis sehen viele in der fehlenden Bereitschaft vonseiten der nationalen Regierungen; diese würden durchwegs kaum Interesse an einer subnationalen Beteiligung zeigen.

Regionale und lokale Verwaltungsebenen werden EU-weit kaum in die Ausarbeitung der nationalen Pläne für den 672,5 Milliarden Euro schweren Recovery Fund einbezogen.

Wie von europäischer Seite betont wird, ist eine frühe Einbeziehung subnationaler Instanzen jedoch unumgänglich. Lokale und regionale Ebenen sollten möglichst schon in der Ausarbeitung der Pläne zu Wort kommen, um die bereitgestellten Ressourcen später gezielt und effizient einsetzen zu können. Die an den Recovery Fund gekoppelten Richtlinien der Europäischen Union unterstreichen dieses Bestreben: Die Richtlinien enthalten eine Absichtserklärung der einzelnen Staaten, Städte und Regionen in die nationalen Pläne miteinbeziehen zu wollen. Daher der Appell an die Nationalstaaten, subnationalen Instanzen bis zur endgültigen Einreichung der Recovery Pläne am 21. März Mitsprache zu gewähren.

 

Mangelnde regionale Einbindung auch in Italien

 

Die für Italien befragte Associazione Italiana per il Consiglio dei Comuni e delle Regioni d’Europa (A.I.C.C.R.E) bestätigt den europäischen Trend einer mangelnden Einbindung subnationaler Instanzen auch im Hinblick auf die italienische Regierung. Schon im Dezember appellierten die Präsidenten der süditalienischen Regionen in einem Brief an den Ministerpräsidenten, dass der vorläufige Plan der Regierung, in dem es für Italien um insgesamt 209 Milliarden Euro geht, nicht auf die Notwendigkeiten der einzelnen Regionen eingehe: 

La bozza di programma circolata nei giorni scorsi prevederebbe una ripartizione delle risorse in ambito nazionale sulla base di un mero criterio demografico fra centro nord e mezzogiorno. Inoltre, la medesima bozza prevede una ripartizione per 6 missioni, in assenza di un preventivo confronto con le Regioni e con evidenti sottostime delle risorse necessarie in settori vitali, in particolare nel Mezzogiorno, quali, ad esempio, la sanità, il turismo, i servizi idrici.

Inwiefern die italienische Regierung der im Brief enthaltenen Forderung nach einer engen Zusammenarbeit mit den Regionen in der Ausarbeitung des Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza (PNRR) nachgekommen ist, bleibt unklar. Die A.I.C.C.R.E wies aber zuletzt am 22. Januar auf die fehlende Einbindung subnationaler Instanzen hin.

 

Auf Nachfrage von salto.bz, wie die Südtiroler Landesregierung ihre Mitsprachemöglichkeit bezüglich des Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza einschätze, wollte der Generaldirektor der Provinz, Alexander Steiner, noch kein abschließendes Urteil fällen. Die Landesregierung habe schon im Mai damit begonnen, verschiedene Projekte für den Wiederaufbau zusammenzutragen. Auf Grundlage der vorgegebenen Richtlinien seien 47 mögliche Projekte im Gesamtwert von 2,4 Milliarden Euro in einem Katalog verankert und nach Rom geschickt worden. Inwiefern diese im PNRR berücksichtigt würden, sei auch aufgrund der derzeitigen Regierungskrise noch unklar.

 

Trans(k)arenz

 

Klar ist hingegen, dass die 47 Projekte intern gesammelt und ausgewertet wurden. Der Landtag wurde erst nach der Einreichung der Projekte informiert und hatte somit, wie auch die einzelnen Gemeinden keine Möglichkeit, selbst Projekte vorzuschlagen. 

Der Generaldirektor der Provinz begründet diese Vorgehensweise damit, dass bis dato noch keine politischen Entscheidungen gefällt worden seinen. Es handle sich um eine rein technische Bewertung der Projekte: Welche Projekte stehen an? Welche Projekte entsprechen den europäischen und nationalen Richtlinien? Und was ist innerhalb des vorgegebenen Zeitfensters umsetzbar? Man habe bewusst auf jene Projekte zurückgegriffen “die schon lange anstehen und als sinnführend empfunden werden”, so Steiner. Der Katalog enthalte also keine eigens erfundenen Projekte, sondern vor allem jene, für deren Genehmigung zwar der nötige politische Wille vorhanden sei, die aber bis dato keine Finanzierungsmöglichkeiten gefunden hätten. Unter anderem sind 77 Millionen für den Ausbau der Marke Südtirol, 21 Millionen für den Bau und die Sanierung von Sozialwohnungen und 20 Millionen für die Sanierung der Gärten von Schloss Trautmannsdorf vorgesehen. Hier kann der vollständige Katalog und die entsprechende Klassifizierung der Projekte eingesehen werden.

Steiner betont jedoch, dass die eingereichten Projekte eine rein provisorische Auswahl darstellen. Realistisch gesehen wird wahrscheinlich nur ein Bruchteil der vorgeschlagenen Projekte finanziert werden, in deren Auswahl der Landtag auf jeden Fall eingebunden werden soll. Die Landesregierung habe sich um eine breite Auswahl bemüht, um für verschiedene Szenarien vorbereitet zu sein. “Niemand soll später sagen können, Südtirol habe keine passenden Projekte eingereicht und könne deshalb nicht auf die zur Verfügung stehenden Geldmittel zurückgreifen”, so Steiner.

 

Die Opposition sieht die Lage weniger gelassen. Laut Paul Köllensperger (Team K) sei es absolut unakzeptabel, dass Dokumente, die sich mit Summen über 2,4 Milliarden Euro befassen und somit eine richtungsweisende Funktion für die Zukunft des Landes ausüben, ohne das Wissen des Landtags der römischen Regierung präsentiert werden. Bei solchen Summen seien absolute Transparenz und demokratische Legitimierung durch den Landtag, der immerhin das einzige gewählte Organ der Provinz darstellt, unumgänglich. Ansonsten liege der Verdacht nahe, dass Gelder wahltaktisch verteilt würden.

Auch aus von grüner Seite hagelt es Kritik. Der Landtagsabgeordnete der Grünen, Hanspeter Staffler, dessem Beschlussantrag zur Transparenz bezüglich des Südtiroler Teilprojekts zum Recovery Fund Ende Januar stattgegeben wurde, widerspricht dem Generaldirektor der Provinz vehement. “Es geht hier um Weichenstellungen”, so Staffler, “die technisch gestellt werden. Wir können uns nur noch darüber aussprechen, ob der Zug abfährt oder nicht. Die Richtung aber können wir nicht mehr mitbestimmen.” Vor allem für die Grünen sei ein Mitspracherecht in dieser Hinsicht aber besonders wichtig, da die Geldmittel der EU im Sinne des New Green Deals eingesetzt werden sollen.

 

Im Bezug auf die konkreten Inhalte der vorgeschlagenen Projekte wollen weder Köllensperger noch Staffler Stellung beziehen. Das Südtiroler Teilprojekt sei erst sehr rezent an den Landtag weitergeleitet worden. Die Projekttitel seien zwar durchwegs ansprechend, eine Beurteilung sei aber erst nach näherer Befassung mit den einzelnen Projekten möglich, so Köllensperger. Damit werde man sich in den nächsten Tagen befassen.

Ob das Südtiroler Teilprojekt zum Recovery Fund auch ergänzt oder verändert werden kann, konnte nicht zur Gänze geklärt werden. Laut Steiner sei aber noch nichts in Stein gemeißelt: “Es sind noch alle Möglichkeiten offen. Sollten die EU und Italien entscheiden, den Schwerpunkt auf einen der Teilbereiche zu legen und somit mehr Geld als geplant für diesen Bereich zur Verfügung stehen, müssen neue Projekte gesucht werden.” Inwiefern das Südtiroler Teilprojekt als solches ohne nationale und europäische Hürden zur Debatte steht, bleibt also offen.

Insgesamt wurden noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen. Die Frage danach, wer entscheidet und wer mit solch wichtigen Fragen befasst wird, setzt aber sowohl Nationalstaaten als auch die Regionen selbst unter Druck, breite Mitspracherechte zu gewähren und absolute Transparenz walten zu lassen.

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Karl Gudauner Fr., 29.01.2021 - 14:55

Wenn noch nicht alles in Stein gemeißelt ist, ist erst recht Transparenz zu den eingereichten Projekten und zur Bewertung von deren Effekten geboten. Wenn zusätzliche Vorschläge vorgelegt werden, so ist das eine Bereicherung. Neue Projekte können gezielt auf die Schwerpunkte und die Kriterien des EUNG ausgerichtet werden. Finden sie trotz guter Qualität finden nicht Berücksichtigung, so können sie wichtige Impulse für die Haushaltsplanung des Landes darstellen, beispielsweise um die Biodiversität zu fördern oder Renaturierungsprogramme umzusetzen.

Fr., 29.01.2021 - 14:55 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Fr., 29.01.2021 - 21:47

Ich habe mir jetzt den Katalog durchgesehen, und einige Punkte scheinen mir doch sehr erklärungsbedürftig.
20 Millionen für Trautmannsdorf, 21 Millionen für Speicherbecken für die Beschneidung, 77 Millionen für Brand Südtirol. Dem steht z.B. gegenüber, 21 Millionen für Sozialwohnungen, da stimmt doch was nicht.

Fr., 29.01.2021 - 21:47 Permalink
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Albert Baekeland Fr., 29.01.2021 - 21:57

Ausbildung, Bildung, Forschung und Kultur
EU Recovery Fund : 14
Smart Automation Campus
4.1.1 . Neue Fakultät für Ingenieurwissenschaften an der Freien Universität Bozen (Technologiebereiche:
Künstliche Intelligenz, Big Data, Robotik, Automatisierung) und Forschungsflächen mit Labore im NOI
Techpark (83 Mio.).

1 Projekt für die Bildung und der besteht darin eine Fakultät zu errichten, welche an sich eh schon veraltet ist....wie Covid zeigt ist die I4.0 passe` jetzt beginnt Industrie 5.0_Biotechnologie als Schnittstelle....wer entscheidet das alles?

Fr., 29.01.2021 - 21:57 Permalink
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Salto User
Margot Wittig Sa., 06.02.2021 - 18:39

Mich wundert, wie wenig Kommentare so ein wichtiges Thema erhält. Haben wir Südtiroler Bürger keine Ideen für eine nachhaltige Zukunft? Projekte wie Speicherbecken für Beschneiungsanlagen oder Gelder für die Südtirol Marke sollten in dieser Auflistung doch nicht zu finden sein, wohl aber Projekte, welche die notwendige Transformation ermöglicht, die der Klimawandel von uns erfordert. Projekte wie zum Beispiel das große Infrastrukturprojekt Bahnhof Bozen oder der Prozess eine für Bürgerbeteiligung könnten hier finanziert werden. Die Bürger wollen endlich in die Diskussion über ihre Zukunft eingebunden werden!

Sa., 06.02.2021 - 18:39 Permalink