Beppe Grillo bei Mario Draghi
Foto: M5S
Politik | Draghis Revolution

Politisches Erdbeben

In Italiens Politik ist ein radikales Umdenken angesagt. Ein heilsamer Schock?

Kein europäisches Land hat so viele Regierungskrisen hinter sich wie Italien. Vom 1. Juli 1946 bis heute waren es 66 – mit einer durchschnittlichen Dauer von 33 Tagen. Keine aber war so surreal wie die gegenwärtige, zu deren Lösung man einen pensionierten Banker nach Rom holte: Mario Draghi. Wo die Politik nicht mehr weiter weiss, muss ein Wunderheiler her. Es ist bekannt, dass Draghis Respekt für Politiker nicht besonders ausgeprägt ist. Für die Fünf-Sterne-Bewegung etwa war er bisher ein Schreckgespenst – ein Handlanger der Hochfinanz.

Krisen können heilbar sein. Besonders dann, wenn sie – wie die aktuelle römische Krise – zu einem Erdbeben ausarten. Und was in Italien derzeit passiert, ist ein kräftiges Beben, dessen Folgen noch nicht absehbar sind. Parteien, die sich bisher bekriegt haben, sitzen plötzlich im selben Boot. Wenn PD-Chef Nicola Zingaretti versichert, dass "Partito Democratico e Lega rimangono forze alternative", handelt es sich um eine der vielen Beschwörungsformeln, die man in diesen Tagen hört.

Surreal mutet auch an, dass Draghi ein langes Gespräch mit Beppe Grillo führte, der noch vor einigen Jahren ein Referendum zur Abschaffung des Euro gefordert hatte. Beide kommen aus bürgerlichen Grossstadtfamilien, beide sind 73 Jahre alt – und beide scheinen sich gut verstanden zu haben. Für die Bewegung freilich droht der Premier in spe zur Zerreissprobe zu werden. Die ehemalige Fünf-Sterne-Ministerin Barbara Lezzi etwa hält auch eine Regierung mit Berlusconi und Lega für "absolut indiskutabel": "Non saremmo più l'ago della bilancia, non avremmo più una maggioranza." 

Bis zu 30 Parlamentarier der Fünf-Sterne-Bewegung könnten gegen die Regierung stimmen, rund 15 ihr den Rücken kehren – zu den 48 bereits ausgetretenen Parlamentariern.

Dazu gehören Alessandro Di Battista, Nicola Morra, Danilo Toninelli und Barbara Lezzi. Schwer vorstellbar, dass es in der Bewegung so läuft, wie bei der Lega, wo der zunächst skeptische Parteichef Salvini nach einem persönlichen Gespräch zum Draghi-Anhänger mutierte. Des einen Freud, des anderen Leid: In den Reihen der Lega herrscht Euphorie. Sein Gespräch mit Draghi beschreibt Lega-Chef Salvini als "utile, proficuo e positivo": "Se me lo chiedono faccio il ministro."

Um grösseres Unheil zu vermeiden, wurde die bereits anberaumte Abstimmung der M5S-Basis auf der piattaforma Rousseau umgehend verschoben. Ein neues Datum wurde nicht genannt.

 

 

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Luis Spath Mi., 10.02.2021 - 11:14

Alessandro di Battista ist zwar innerhalb der Sterne eine gewichtige Person, er sitzt jedoch nicht im Parlament und kann somit als Abgeordneter nicht gegen die Regierung stimmen. Er kann höchstens von außen Stimmung gegen die Regierung machen. Er war Parlamentarier in der vorhergehenden Legislatur.
Mir ist aufgefallen, Herr Mumelter hat di Battista in den vergangenen Monaten schon mal in einer seiner Kolumnen ins Parlament gehievt. Hier ist wohl der Wunsch Vater des Gedankens...

Mi., 10.02.2021 - 11:14 Permalink
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Fabian . Mi., 10.02.2021 - 16:51

Worin liegt ganz konkret die "Revolution" durch die Ernennung Draghis? Durch den Sturz der Regierung Conte durch Renzis egozentrisches Manöver hat doch in erster Linie nur das "alte" System Italiens wieder Gewissheit darüber erlangt, dass es nach wie vor an den Schalthebeln der Macht sitzt - vielleicht nicht mehr alleine, aber doch noch mit einer robusten Mehrheit. Die Ernennung Draghis (sozusagen als "Veteran") ist in diesem Lichte nur logische Konsequenz.

Mi., 10.02.2021 - 16:51 Permalink