Gesellschaft | gerecht?

Sperrgebiet Skatepark

Der Skatepark in Bozen wird plötzlich geschlossen. Das Unverständnis ist groß. Eine Lösung wollen alle finden. Doch die Hände scheinen gebunden. Die Fragen bleiben.
Skateboard
Foto: Lukas Bato on Unsplash

“È chiuso e basta!” Mit dieser Auskunft der Ordnungskräfte finden sich viele am Bozner Skatepark nicht ab. Auf dem direkt angrenzenden Spielplatz vergnügen sich Kinderscharen samt Eltern in der frühlingshaften Sonne. Auf den ausgewiesenen Feldern nebenan wird Fußball, Basket und Volleyball gespielt. Nur die Tore des Skateparks sind verschlossen. Niemand weiß so recht, warum. Seit Tagen spielen sich Szenen ab, die zeigen: Wirklich zufrieden ist mit der Situation keiner. Lösen wollen sie alle. Doch können tun sie offenbar nicht.

 

Katz und Maus

 

Es ist ein strahlend schöner Nachmittag in der letzten Februarwoche des Jahres. Die Talferwiesen am Altstadtrand von Bozen sind gut gefüllt. Niemand, der keine Maske trägt. Auch die Jugendlichen, die am Rande des Skateparks auf der immer grüner werdenden Wiese sitzen, haben Mund und Nase bedeckt. Zwischen den Beinen oder in den Händen halten die Jungs ihre Skateboards. Ihre Blicke sind auf den 30 mal 40 Meter großen Skatepark gerichtet. Der ist menschenleer. Der Grund dafür ist eine Polizeistreife, die auf der anderen Seite vorbeifährt. Kaum ist das Fahrzeug außer Sichtweite, kommt Bewegung in die Gruppe. In wenigen Sekunden haben die Jungs den Metallzaun erklommen und gleiten auf der anderen Seite des Gitters hinunter, schwingen sich auf ihre Boards und rollen über die Zementbahnen und -hindernisse davon. Keine zehn Minuten später nähert sich ein Auto der Finanzwache. Die Skater klettern über den Zaun wieder aus dem Park. Sie wirken routiniert. “Das geht seit Tagen so”, nicken sie. Manchmal betreten Polizeistreifen auch das Skategelände und schicken die Jugendlichen davon. Alles verläuft friedlich, Strafen hat es bisher keine gegeben.

Seit einer Woche ist der Skatepark “Platza” gesperrt. Theoretisch. Mit der Verordnung Nr. 6 vom 6. Februar hat Landeshauptmann Arno Kompatscher sämtliche sportlichen Aktivitäten “in den Sportzentren im Freien” verboten. Vorerst bis 28. Februar. Doch ist der Bozner Skatepark juristisch gesehen als Sportanlage eingestuft? Nein, sondern, ähnlich wie Spielplätze, als öffentliche Freizeitanlage. So zumindest die weitläufige Meinung bisher.

 

Verwaltet wird der Skatepark von der Gemeinde. Warum wurde die Anlage jetzt mit einem ganztags versperrten Vorhängeschloss versehen und unzugänglich gemacht? Matthias Vesco ist einer, der sich diese Frage stellt. Seit seiner Jugendzeit ist der gebürtige Bozner leidenschaftlicher Skater. Er kennt die Szene, die Szene kennt ihn. So oft er kann, ist Vesco, der als Lehrer arbeitet, auch in diesen Tagen am “Platza”. Mit gerunzelter Stirn meint er: “Ich habe den Eindruck, man will hier ein Exempel statuieren, an einer Randgruppe, die Jugendliche und Skater sind.”

Vesco hat schriftlich in den Gemeindestuben nachgefragt. Denn die Ordnungs- und Sicherheitskräfte, die immer wieder vorbeikommen, um den Skatepark zu leeren, haben ihm keine Auskunft geben können. “Niemand scheint zu wissen, wer diese spezielle Regelung angeordnet hat. Oft heißt es: ‘È chiuso e basta!’”, berichtet er.

 

Weg über das Gitter

 

Während sich Vesco auf Spurensuche begeben hat, hat sich am Skatepark etwas getan. Die Skater haben sich selbst Zugang verschafft. “Wir haben die Tore aufgeschraubt und so hingehängt, dass sie nicht mehr geschlossen werden können”, erklärt einer aus der Gruppe. Beschädigt hätten sie nichts, beteuern sie. Doch nicht lange danach seien Arbeiter vor Ort gewesen und hätten die Tore wieder befestigt – nach einem zweiten Öffnungsversuch dann so, dass die Skater die Schrauben nicht mehr losbekommen haben. Deshalb nehmen sie jetzt den Weg über das Gitter. Während sie am Mittwoch Nachmittag ihre Tricks üben, stehen im Hintergrund zwei Arbeiter und schweißen am Zaun. Funken sprühen, wenn die Geräte das Metall treffen. Für Matthias Vesco, der die Szene von der Promenade aus beobachtet, war die Öffnung des Zauns auf eigene Faust der “verzweifelte Versuch, zum selben Recht zu kommen, wie andere auch”. Nämlich, im Freien Individualsport zu betreiben. Die für viele offensichtliche Ungleichbehandlung wiegt umso schwerer, zumal keine zehn Meter vom “Platza” entfernt Spiel-, Fußball-, Basket- und Volleyballplätze rammelvoll sind.

 

Jugendstadtrat Angelo Gennaccaro ist das Dilemma bewusst. “Ich verstehe die Jugendlichen und die Eltern, die sich über die Situation beschweren. Andererseits ist es im Skatepark letzthin immer wieder zu Menschenansammlungen gekommen. Und diese gilt es laut Verordnungen des Landeshauptmannes zu vermeiden.” Dass dies der Grund für die Sperrung des “Platza” war, bestätigt die dafür zuständige Stadträtin Chiara Rabini: “Am Faschingsdienstag haben die Ämter, die den Skatepark verwalten, die Anweisung erhalten, ihn zu schließen, weil es dort Menschenansammlungen gegeben hat.” Nach einem entsprechenden Hinweis der Stadtpolizei.

 

Kontrolle als Lösung

 

“Solche Probleme entstehen, wenn es keine richtig klaren Gesetze und Regeln gibt”, seufzt Gabriel Widmann. Er ist der Präsident des Skatevereins “Sk8project”, der am “Platza” immer wieder Contests austrägt und dessen Mitglieder dort praktisch ein zweites Zuhause gefunden haben. “Es sind insgesamt schwierige Zeiten”, schickt Widmann voraus. Die Skater forderten aber lediglich Gleichberechtigung ein. “Jetzt finden wir uns in einer Grauzone wieder, in der sich niemand – weder die Jugendlichen, noch die Polizei, noch der Verein – wirklich auskennt.” Natürlich sei es problematisch, wenn sich 30 bis 40 Skater  gleichzeitig auf den 1200 Quadratmetern aufhalten würden – zumal dazu meist noch Dutzende Nicht-Skater und Kinder mit Rollern die Anlage belagern –, kann Widmann die Sorgen in den Gemeindestuben nachvollziehen. Deshalb hat man bei “Sk8project” eine Idee auf den Tisch gelegt, die bereits im ersten Lockdown im vorigen Frühjahr entstanden ist: Der Verein stellt eine Person bereit, die für die gesamte Öffnungsdauer des Skateparks – im Winter ist er im Normalfall täglich von 10 bis 18 Uhr offen – vor Ort ist und darauf achtet, dass sich nicht mehr als zehn Skater zugleich in der Anlage aufhalten. Matthias Vesco ist sich sicher, dass die Jugendlichen für einen solchen Plan Verständnis hätten und ihn auch respektieren würden – “viel eher als die Schließung samt permanenter Polizeipräsenz”, so der Skater und Pädagoge.

 

Die Anwesenheit des Skatevereins “und eventuell gestaffelte Eintritte” sieht auch Tobe Planer als gangbaren Weg. Dem Grünen Gemeinderat ist der Skatepark in Bozen seit jeher ein Herzensanliegen. “Klar, man muss sich an die Regeln halten und Menschenansammlungen vermeiden, aber ich verstehe die Jugendlichen. In der aktuellen Situation nehmen viele vieles als ungerecht wahr – doch die Jungen werden gleich gar nicht mehr gehört und rebellieren eben auf ihre Art.” Es gelte “herwärts” zu schauen, eine gemeinsame Lösung zu finden und an die Selbstverantwortung zu appellieren. Der SVP-Gemeinderat Sebastian Seehauser hält von einer Sperrung des Skateparks, ebenso wie Planer, nichts: Wenn das Problem die Menschenansammlungen seien, “dann sollte man doch stärker kontrollieren, aber nicht gleich sperren – wenn es unter den Lauben eine Menschenansammlung gibt, sperrt man ja auch nicht gleich die Lauben”.

 

Hoffnung zerstört

 

Die vielstimmigen Anregungen sind bis in die Stadtregierung durchgedrungen. Stadtrat Gennaccaro, der mit “Sk8project” in stetem Austausch steht, zeigt Einsicht. Eine Schließung des Skateparks sei das falsche Mittel. Er sieht aber auch das Land in der Verantwortung: “Es herrscht Chaos, seit einem Jahr. Wir versuchen die Verordnungen umzusetzen, aber zu oft sind sie nicht eindeutig genug.” Stadträtin Chiara Rabini wird noch am Mittwoch aktiv. “Ich werde die Zusammenarbeit mit Vereinen vorschlagen, um einen geregelten Zugang zum Park zu gewährleisten und die Öffnung beantragen”, teilt sie mit. Noch am Abend sucht sie das Gespräch mit Bürgermeister Renzo Caramaschi. Dieser spricht sich für eine kontrollierte Öffnung aus. Am Donnerstag Nachmittag dann die Hiobsbotschaft: Der Skatepark kann nicht geöffnet werden. Denn, anders als angenommen, gilt die Anlage seit Kurzem sehr wohl als Sportanlage und unterliegt somit der vom Landeshauptmann verordneten Schließung. Das habe man ihr auch im Landesamt für Sport bestätigt, teilt Rabini mit. “Bis zum 28. Februar und eventuell darüber hinaus, sollte das Benützen von Sportanlagen im freien weiterhin verboten bleiben, wird eine Öffnung schwierig”, sagt sie nicht ohne Bedauern. Als Stadträtin will sie sich jedenfalls weiterhin um eine Lösung bemühen, ein Treffen mit dem Verein “Sk8project” ist bereits geplant.

Indes wird das Katz- und Mausspiel zwischen Skatern und Ordnungshütern am verriegelten Skatepark weitergehen. Auf den Sportplätzen daneben wird weiterhin Fußball, Basket und Volleyball gespielt. Obwohl diese genauso unter die “Sportzentren im Freien” fallen, deren Benützung laut Verordnung Nr. 6 vom 6. Februar untersagt ist, wie Rabini bestätigt. “Theoretisch sind sie auch gesperrt, ja. Aber sie können nicht abgeschlossen werden.” Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 waren die Anlagen allerdings gut sichtbar mit Absperrbändern versehen worden.

“Was, wenn nicht Diskriminierung, ist das?”, fragt sich Matthias Vesco. “Wenn, dann schaut man überall weg oder setzt von Anfang an überall konsequent die Verordnung um. Alles andere ist nicht gerecht.”

Bild
Profil für Benutzer Frei Erfunden
Frei Erfunden Fr., 26.02.2021 - 10:58

Antwort auf von Michael Kerschbaumer

Hallo michael kerschbaumer,
so ausgedrückt klingt die sicht auf bozen sehr provokant, aber ich kann ihnen in gemässigter form beipflichten.
In bozen finden jugendliche kaum freiräume zur entfaltung; entweder werden sie von der grauen elite als konsumenten akzeptiert (ab ins twenty, ab in die lauben zum shopping),
oder die jugendlichen werden in eines der zahlreichen fussballfelder oder sonstigen abgezäunten areale verbannt;
und sonst halt auf die talferwiesen zum chillen (achtung hundekacke).
Wohnraum für junge Erwachsene ist wegen der immobilienspekulation nicht erschwinglich. Freiraum zum tun was sie wollen gibt es kaum. Geschäftsräume werden zum maximalen Ertrag vermietet und nicht aus überzeugung für eine sache. Als beispiel nenne ich die Bäckerei in innsbruck: die räumlichkeiten werden von der fam. Mölg für jugendliche und für kulturarbeit zur verfügung gestellt.
Wo bleiben die wohlhabenden bozner denen das am stadtleben am herzen liegt? Wahrscheinlich beim aperitivo in einer kunstgalerie, oder sie sind wohl auch wieder beim shoppen gelandet.
Aus genannten gründen wandern die jugendlichen von dieser stadt wieder ab. Den wenigen renitenten junggebliebenen wird von ach so schlauen experten das altern und krankwerden in aussicht gestellt.
Meine hoffnung liegt in einer grünen politik die diese stadt für junge leute, und nicht für touristen und greise, attraktiv macht; aber ohne die bozner lobby und ihren einfluss gehts halt nicht. Wollts ihr nicht auch eine lebendige und kreative stadt oder wollts ihr einfach nur alt werden?

Fr., 26.02.2021 - 10:58 Permalink
Bild
Profil für Benutzer G. P.
G. P. Fr., 26.02.2021 - 10:58

"Denn, anders als angenommen, gilt die Anlage seit Kurzem sehr wohl als Sportanlage"
Der Amtsschimmel wiehert. Wie so oft, geht es im Endeffekt nicht um die Eindämmung des Virus, sondern darum, was auf einem Blatt Papier steht.

Fr., 26.02.2021 - 10:58 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Peter Gasser
Peter Gasser Di., 02.03.2021 - 21:45

Es steht geschrieben: „Ein Motorrad, werte Mitbürger, ist auch ein Fahrrad“.
Sie kennen die Straßenverkehrsordnung... Sie dürfen also mit Ihrem Motorrad auf den Fahrradwegen fahren?
Sie haben es gut.

Di., 02.03.2021 - 21:45 Permalink