Gesellschaft | Grüner Pass

Debatte ohne Wenn und Aber?

Skeptiker beklagen das Fehlen einer kritischen Debatte rund um den "Grünen Pass" der EU: Entscheidungsfreiheit, Diskriminierung und Privacy werden infrage gestellt.
Ausweg
Foto: Isacco Gavazzi

Der “Grüne Pass” der EU soll einen gemeinsamen Nachweis für Getestete, Geimpfte und Genesene schaffen. Die Erwartungen sind hoch: Auf europäischer Ebene soll der Pass die Reisefreiheit innerhalb der Union wiederherstellen. So sollen all jene, die ihre Immunität über den “Grünen Pass” nachweisen können, Zugang zu den einzelnen EU-Staaten erlangen.

Auf Staatsebene soll es den einzelnen Staaten überlassen werden, die Freiheiten der verschiedenen Kategorien – Geimpfte, Getestete und Genesene – zu regeln. Hier könnten die Hürden für Getestete höher ausfallen als für Geimpfte oder Genesene: kontinuierliches Testen, Wartezeiten, Quarantäne, vielleicht sogar ein verwehrter Zugang. Gewissheiten gibt es diesbezüglich jedoch noch keine.

Während viele auf eine rasche Umsetzung des “Grünen Passes” drängen, um wirtschaftliche, kulturelle und andere Tätigkeiten wieder hochfahren zu können, betrachten andere das Instrument mit Skepsis. Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, eine Spaltung der Gesellschaft sowie die mögliche Verletzung der Privacy Rechte werden unter anderem infrage gestellt. Bemängelt wird vor allem das Fehlen einer kritischen Auseinandersetzung.

 

Entscheidungsfreiheit, Diskriminierung, Datenschutz

 

Schränkt ein Impfpass, der den Zugang zu gewissen Aktivitäten regelt, die Entscheidungsfreiheit jener Menschen, die sich nicht impfen lassen möchten, ein?

Die Ausstellung eines Impfzertifikats und die damit verbundene Aussicht, durch eine Impfung gesellschaftliche Aktivitäten wieder aufnehmen zu können, schränkt auf direktem Weg niemanden in seiner Entscheidung ein. Jene, die sich nicht impfen lassen möchten, können sich gegen eine Impfung entscheiden. Durch kontinuierliches Testen oder andere Auflagen können sie auch weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Trotzdem: Zu bedenken bleibt, dass die Aussicht auf eine gewisse Benachteiligung gegenüber Geimpften eine Entscheidung gegen eine Impfung zumindest erschwert. Laut Lyn Gartner, der Initiatorin der Petition “Kein Impfpass für Südtirol” entsteht so ein subtiler Impfzwang, der Menschen, die sich nicht impfen lassen möchten, zu einer Impfung drängt.

Die Landtagsabgeordnete der Freiheitlichen, Ulli Mair, die sich "grundsätzlich nicht gegen einen Impfpass" ausspricht, stimmt dieser Argumentation zu. Mehr als auf den Impfpass selbst konzentriert sich Mairs Kritik jedoch auf den medialen Druck, der die Impfung als einzigen Zugang zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Tätigkeiten in den Vordergrund stelle: “Ich verstehe nicht, warum der Impfpass die Debatte rund um den Zugang zu gesellschaftlichen Aktivitäten prägt. Die Möglichkeit, gewisse Freiheiten wiederzuerlangen, muss auch für Getestete kommuniziert werden.” Zudem sei unklar, warum ein Impfpass schon jetzt diskutiert und in Aussicht gestellt werde, wo die Voraussetzungen für dessen Anwendbarkeit noch nicht geklärt seien: “Es gibt weder klare Erkenntnisse darüber, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend sind, noch genügend geimpfte Personen, sodass Aussichten im Bezug auf den Impfpass tatsächlich sinnvoll wären”, so Mair.

Kritiker problematisieren also den Druck, der – entweder durch den Impfpass selbst oder die diesbezügliche Kommunikation – aufgebaut wird. Dieser schränke Menschen in ihrer Entscheidungsfreiheit im Bezug auf die Impfung ein.

 

Ist ein Zertifikat, das die Freiheiten von Geimpften, Genesenen und Getesteten regeln soll, diskriminierend? 

Laut SVP-Senatorin Julia Unterberger kann hier nicht von einer Diskriminierung gesprochen werden, da jeder die Möglichkeit bekäme, sich impfen zu lassen: “Man könnte von Diskriminierung sprechen, wenn die Impfung käuflich wäre. Da in allen europäischen Ländern die Impfungen aber von der öffentlichen Hand und nach nachvollziehbaren Kriterien vorgenommen werden, sehe ich keine Diskriminierung: Den Menschen, die geimpft sind, werden ihre Freiheiten zurückgegeben. Alle werden drankommen”, so Unterberger.

Beschränkt sich unser Augenmerk auf die Lage innerhalb der Europäischen Union, entsteht durch den Impfpass keine Diskriminierung aufgrund der zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Mittel. Trotzdem: Der britische Journalist und Rechtsanwalt David Allen Green weist in einem Beitrag in der Financial Times darauf hin, dass jegliche Zertifikation im Kern darauf abzielt, zwischen verschiedenen Gruppen zu diskriminieren. Aufgrund einer Zertifizierung können politische Entscheidungen im Bezug auf die eine oder andere Gruppe getroffen werden: Für Staatsbürger und Nicht-Staatsbürger, Akademiker und Nicht-Akademiker, Geimpfte, Genesene oder Getestete oder jene, die kein Anrecht auf den "Grünen Pass" haben – Menschen, die ohne gültige Papiere auf fremdem Staatsgebiet feststecken zum Beispiel. Jede politische Entscheidung, die eine Zertifizierung schafft, beinhaltet direkte oder indirekte Folgen dafür, wie Wirtschaft und Gesellschaft die unterschiedlichen Gruppen behandeln. Ob dadurch konkrete Nachteile oder Ungerechtigkeiten entstehen, hängt davon ab, inwiefern Rücksicht auf die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen genommen wird.

Im Bezug auf den “Grünen Pass” seien vor allem jene gesellschaftlichen Gruppen gefährdet, deren Zugang zur Impfung schwierig oder gar verwehrt bleibe: schwangere Frauen, Kinder, aber auch Menschen ohne gültige Papiere beispielsweise. Hier bestehe das Risiko, bestimmte Gruppen weiter aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Auch jene Menschen, die eine Impfung aufgrund ihrer Überzeugung ablehnen, laufen Gefahr, sich aus bestimmten gesellschaftlichen Aktivitäten auszuschließen.

Während das Zertifikat selbst noch niemanden diskriminiert, könnten politische, gesellschaftliche Entscheidungen, die sich auf den “Grünen Pass” stützen, sehr wohl den Ausschluss oder die Benachteiligung bestimmter Gruppen zur Folge haben. Hier gilt es gefährdete Gruppen zu erkennen und gesamtgesellschaftlich aufzufangen.

 

Werden durch ein europäisches digitales Gesundheitszertifikat, so wie der “Grüne Pass” eines ist, die Privacy Rechte der Einzelnen verletzt? 

In Österreich, wo ein digitales Immunitätszertifikat schon ab Mitte April eingesetzt werden soll, um beispielsweise Theater- oder Kinobesuche wieder zu ermöglichen, erheben Datenschutz-Experten Vorwürfe zur konkreten Umsetzung des Konzepts. Auch auf europäischer Ebene könnten diesbezügliche Probleme entstehen. Bis dato gibt es jedoch weder detaillierte Informationen zu den IT-Komponenten, die den digitalen Pass möglich machen sollen noch zum Datenschutzrecht, das diese begleitet. Die Menge der sensiblen Informationen, die in den QR-Code einfließen sollen und je nach Kategorie variieren, macht die technische Umsetzung des Projekts nicht einfach. Trotzdem: Dass die gehandhabten Daten äußerst sensibel sind, steht außer Frage. Ob ein digitales grünes Zertifikat die Privacy der einzelnen Personen verletzt oder nicht, hängt von der konkreten technischen, logistischen und rechtlichen Umsetzung des Zertifikats ab. Diesbezügliche Details stehen noch aus.

 

Differenzierung statt Grundsatzdebatte

 

Nebst Bedenken zu Ethik und Datenschutz eines Passes muss vor allem auch die praktische Umsetzung gegeben sein. Schützt eine Impfung vor der Weiterverbreitung des Virus? Haben all jene, die sich impfen lassen möchten, in näherer Zukunft auch die Möglichkeit, dies zu tun? Ist es möglich, in kurzer Zeit ein sicheres, digitales und europaweites Instrument zu schaffen? Auch die Gegenfrage muss gestellt werden: Was, wenn die öffentliche Hand keine Entscheidung bezüglich des Impfpasses trifft? Wird die Verantwortung einer Entscheidung an Private weitergereicht? Eine Grundsatzdebatte für oder gegen einen Impfpass kann hier wenig Aufschluss geben. Weit interessanter wäre die Bereitschaft, sich differenziert mit den Kriterien, Voraussetzungen und Risiken eines möglichen Impfpasses zu beschäftigen.

Bevor diese und andere Fragen nicht vollständig beantwortet werden können, muss vermieden werden alle Hoffnung auf den “Grünen Pass” zu setzen. Es braucht Alternativen, kritische Auseinandersetzung und vor allem ein Bewusstsein dafür, dass ein auch der “Grüne Pass” keinen einfachen Ausweg aus schwierigen Fragen stellt.

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Georg Holzer Fr., 26.03.2021 - 05:54

Ich habe einen gültigen Reisepass und der garantiert mir das internationale reisen oder hat mir das die Politik unrechtmässig aberkannt? Naja wenn die Farbe des Reisepasses ausschlaggebend ist, dann trifft sich das gut, es ist grad Ostereierfärbenzeit und da werd ich meinen Pass mal kurz in die grüne Ostereierfarbe tauchen... ;-)

Fr., 26.03.2021 - 05:54 Permalink
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Peter Gasser Fr., 26.03.2021 - 07:37

Antwort auf von Georg Holzer

Sie schreiben:
„Ich habe einen gültigen Reisepass und der garantiert mir das internationale reisen oder hat mir das die Politik unrechtmässig aberkannt?“
Richtig ist, dass die Exekutive aufgrund gesetzlicher Regelung im Kampf gegen eine Pandemie die Reisefreiheit *für alle* vorübergehend eingeschränkt hat.
Niemand hat *Ihnen* „unrechtmäßig“ etwas „aberkannt“.
Das ist gleichsam eine individuelle Fake-Nachricht.
Wenn Sie schwer erkrankt sind und Ihr Führerschein deswegen für 6 Monate ausgesetzt wird, sagen Sie dann auch: „Ich habe einen gültigen Führerschein zum internationalen Autofahren, oder hat mir das die Politik jetzt unrechtmäßig aberkannt“?

Fr., 26.03.2021 - 07:37 Permalink
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Georg Holzer Fr., 26.03.2021 - 09:58

Antwort auf von Peter Gasser

Guten Morgen Herr Gasser,
sicher ist wenn ich schwer krank wäre könnte ich nicht reisen und wenn ich Covid hätte müsste ich in Quarantene, bin nicht krank und nicht Covid positiv und kann niemand anstecken, wieso könnte ich dann nicht reisen? Was steht in der Verfassung dass mir als gesunder Bürger verwehrt werden kann?

Fr., 26.03.2021 - 09:58 Permalink
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Peter Gasser Fr., 26.03.2021 - 11:44

Antwort auf von Georg Holzer

Guten Tag, Herr Holzer, ja, es geht halt nicht nur um Sie alleine; es geht um die ganze Gemeinschaft, es geht um ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, inzwischen aber auch um Gesunde und Junge, die es zu schützen gilt...
Stellen Sie sich vor, Sie reisen nach Brasilien und bringen die brasilianische Variante mit...
Und *genau das* steht in der Verfassung, dass der Staat die allgemeine Gesundheit und Unversehrtheit aller vor der Reiselust des Einzelnen stellen muss, und dafür (Prävention) zeitweise die individuellen Freiheitsrechte des Einzelnen zum Schutze aller beschränken darf.
Es geht eben nicht *nur* um Sie, auch wenn das für Sie jetzt schwer zu ertragen scheint.
Empathie? Gemeinsinn?
Vielleicht können Sie meinen Zeilen etwas abgewinnen, das würde mich freuen.

Fr., 26.03.2021 - 11:44 Permalink
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Georg Holzer Fr., 26.03.2021 - 12:49

Antwort auf von Peter Gasser

Ja es geht um uns alle, anstecken und angesteckt werden kann man auch wenn jemand geimpft, getestet oder eine Coviderkrankung hatte. Da hilft kein grüner Pass, deshalb sollte es auch keinen grünen Pass geben wenn man die Gesellschaft nicht teilen möchte! Es geht um Zusammenhalt und um Selbstverantwortung.

Fr., 26.03.2021 - 12:49 Permalink