Wirtschaft | Vinschgerwind

Die Reschenbahn ist möglich

Der Meinung, die Reschenbahn sei nicht machbar, tritt die die Initiativgruppe „Pro Reschenbahn“ entschieden entgegen. Auch mit wirtschaftlichen und politischen Gründen.
Bahnhof Landeck-Zams
Foto: commons.wikimedia.org/Dmitry A. Mottl

Im Hotel „Mein Almhof“ in Nauders trifft der Vinschgerwind Mitte März auf mehrere Mitglieder der Initiativgruppe „Pro Reschenbahn“. Dass darunter auch der Seniorchef eines der größten Hotels in  Nauders zu finden ist, ist bezeichnend. Denn Hans Kröll läuft gleich zu Beginn zu Hochform auf: „Wir sehen die Reschenbahn nicht nur touristisch sondern auch von Vorteil für die Einheimischen. Mit einem Einzugsgebiet von rund 30.000 Einwohnern ist eine solche Bahn von großer Bedeutung. Wenn man bedenkt, dass der oberer Vinschgau und das Tiroler Oberland auch in Zukunft kaum eine nennenswerte Industrie bekommen wird und ein Erwerbszweig die Landwirtschaft ist, kann die Bedeutung des Tourismus gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wenn man“, so formuliert es Hans Kröll, „unten durch fährt, dann wird das gesamte Oberland links liegen gelassen.“ Tatsächlich generieren die beiden Gemeinden Nauders und Graun, also die absolute Peripherie, gemeinsam mehr als eine Million Nächtigungen pro Jahr. 

Mit „unten durch“ spielt Kröll auf einen möglichen Bahnverbindungstunnel Mals-Scuol an. Der ehemalige Interreg-Koordinator Siegfried Gohm aus Landeck hat das Thema Reschenbahn 2019 in die Schlanderser Gespräche gebracht. Ein Echo dazu hat es in der Öffentlichkeit nicht wirklich gegeben. Startpunkt für die Intiative „Pro Reschenbahn“ sei die Veranstaltung am 4. Februar im vorigen Jahr im Landecker Lantech-Innovationszentrum gewesen. Dort hatte regioL den Arbeitskreis „Mobilita Raetica“ zum Thema „Visionen der Alpenüberquerung“ geladen. Unter großer Beteiligung von Bürgermeistern und Akteuren aus den Regionen Vinschgau, Unterengadin/Münstertal und Landeck wurde das Projekt „Reschenbahn“ diskutiert. Dabei wurden auch bereits konkrete Überlegungen einer Aktionsgruppe „Pro Bahnverbindung Scuol-Mals“ vorgestellt. „Da haben wir uns als Aktionsgruppe gefunden“, sagt Gohm. 

 

Eine Bahnverbindung Mals-Reschen-Pfunds-Landeck sei, so Gohm, sehr wohl vorstellbar und auch machbar. Als Normalspurbahn, für die Anbindung an den internationalen Eisenbahnverkehr, für den Tourismus - wenn man bedenkt, dass die Zufahrtsstraße nach Nauders und so die Zufahrt zum Reschen in der Vergangenheit des Öfteren gesperrt war. Natürlich sei der Gedanke an eine Reschenbahn 2.0, wenn schon, ein trilaterales Projekt. Ein Projekt also zwischen Italien, Österreich und der Schweiz – im Kleineren ein Projekt zwischen Nordtirol, Südtirol und Graubünden. Die Reschenbahn müsse auch in Verbindung mit dem Fernpass gedacht werden. Der Nordtiroler Landeshauptmann Günther Platter habe, so Gohm, den ÖBB den Auftrag gegeben, die Planung der Fernpassverbindung in Angriff zu nehmen. „Es ist die Hoffnung, dass mit der Planung der Fernpassverbindung auch die Reschenbahn mitgeplant werden könnte“, sagt Franz Starjakob aus Grins, ein Planungsexperte für Untertagebau. Starjakob hat gemeinsam mit dem Baufachmann und ehemaligen Vorstand der Porr AG Baldur Schweiger mögliche Trassenführungen für eine Reschenbahn studiert, analysiert und eine überschlägige Kostenanalyse vorgenommen. Baldur Schweiger sagt, dass man sich viele Gedanken darüber gemacht habe, wie man eine Planung für die Reschenbahn auf wirtschaftlich sinnvolle Beine stellen kann. Vor allem die Überwindung der Höhendifferenzen - vom Talboden des Tiroler Oberlandes hinauf auf den Reschenpass und dann wieder hinunter nach Mals - sei eine Herausforderung. Mit einem kühnen Kehrtunnel im Sellesbergrücken könnte die Höhendifferenz von Kajetansbrücke bis Nauders überwunden werden. 

Im Sellesberg, so die Überlegungen der Fachmänner, wäre eine Verbindung mit der Rhätischen Bahn ins Unterengadin möglich - ein Kopfbahnhof für die Anbindung in die Schweiz. Die Anbindung Richtung Scuol könnte auch in Meterspur ausgestaltet werden, in einer Spurbreite also, wie sie die Rhätische Bahn nutzt.

Nach Bahnhofs-Anschlüssen in Nauders, Reschen und St. Valentin – auch auf die Skigebiete ausgerichtet – lassen die Reschenbahn-Denker die Trasse mit vier Kehren die Höhendifferenzen auf der Malser Haide überwinden – mit einem Kehrtunnel unter der Spitzigen Lun, mit einem kleineren Kehrtunnel zwischen Burgeis und Schleis. Für Burgeis und damit für das Ski- bzw. Sommergebiet bzw. den Erlebnisberg Watles wäre ein Bahnhof vorgesehen. 

„Auf der Malser Haide könnte man die Bahntrasse überschütten“, sagt Baldur Schweiger. Schweiger tritt damit vorbeugend Kritikern und Skeptikern entgegen, die enormen Kulturgrundverbrauch auf der Malser Haide sehen werden. Bei einer Überschüttung würden Fluchttunnel keine Rolle spielen. 

 

Apropos Fluchttunnel: Die Mitglieder der Initiativgruppe „Pro Reschenbahn“ melden große Bedenken wegen der geschätzten Kosten für den Tunnelbau Mals-Scuol an. Derzeit schwirrt dafür eine Schätzung von einer Milliarde Euro durch die Köpfe. Man wolle zwar niemand irritieren, aber, weil bei der Studie Mals-Scuol bislang keine Fluchttunnel vorgesehen seien, dürften bei Einplanung von Fluchttunnels die Kosten  weit höher liegen. Indikativ bei 1,83 Milliarden Euro.

Diese groben Annahmen haben Starjakob und Schweiger in einer Gegenüberstellung der Planungsvarianten gemacht. Für die Reschenbahn Mals-Landeck kommen die beiden Techniker auf 2,3 Milliarden Euro. Und für den Abschnitt Sellesberrücken-Scuol auf eine Schätzung von 356 Millionen Euro.

 

Zur Erinnerung: Im März 2006 hat der Vinschgerwind die Machbarkeitsstudien „Öffentlicher Verkehr im Rhätischen Dreieck“ vorgestellt, die vom Bahnexperten Paul Stopper als Projektleiter im Rahmen eines INTERREG-II-A-Projektes entstanden sind. Damals und mit großem Schwung wegen des unerwarteten Erfolges der Vinschgerbahn mit den Varianten 1 Mals-Scuol, Variante 2 Taufers-Scuol, Variante 3 Sta. Maria-Scuol und Variante 4 Sta. Maria-Zernez. Paul Stopper hat von rund 900 Millionen Euro gesprochen, mit einer voraussichtlichen Bauzeit von acht bis zehn Jahren.

In der Schweiz wurde das Projekt mehr als stiefmütterlich behandelt und in der Priorität ganz niedrig eingestuft. Einen unmittelbaren Nutzen sah man nicht. Heute, mehr als 15 Jahre nach dieser Studie ist man nicht wirklich weitergekommen. Erst nachdem LH Arno Kompatscher mit der Aussage in der Neuen Züricher Zeitung, dass die EU 75% der Kosten für einen Tunnelbau übernehmen könnte, aufhorchen hat lassen, ist man in der Schweiz aktiver geworden. Denn die Aussicht, dass die Schweizer Seite für die Realisierung des Verbindungstunnels „nur noch“ um die 300 Millionen Euro beisteuern sollte, hat in der Schweiz auch die Aussicht gesteigert, dieses Geld über Kanton und Bund loseisen zu können. Allerdings: Die Antwort der Bündner Regierung in Chur auf eine Anfrage der Großrätin Valérie Favre Accola mit 67 Mitunterzeichner:innen im Dezember 2019 bleibt ernüchternd. Favre Accola hat unter anderem von der Bündner Regierung gefordert, „ein Konzept zur schnellen Zielerreichung der unterschriebenen Absichtserklärung vom 9. September 2020 vorzulegen“. Die Bündner Regierung schießt den Ball  in großem Bogen zurück nach Südtirol: „Die Finanzierung der überwiegend im Ausland gelegenen Streckenabschnitte durch das angrenzende Ausland bildet eine wesentliche Voraussetzung für die Realisierung und muss im Rahmen des nächsten Ausbauschritts (AS STEP 2040/45) sichergestellt werden.“ Jedenfalls, so die Regierung von Graubünden, sollen sich die beteiligten Länder zuerst einmal einigen, bevor man weitere Schritte setzt.

 

„Das Zuckerl, dass 75% der Kosten von der EU und von Italien für den möglichen Tunnel Mals-Scuol aufgebracht werden, wird sich nicht spielen“, sagt Siegfried Gohm. 

Man hoffe deshalb auf die Empfehlungen der technischen Kommission, die diese losgelöst von Emotionen geben wird. Die technische Kommission, der auch Ekkehard Allinger-Csollich, der Vorstand Abteilung Verkehrsplanung beim Land Tirol angehört, wird sich nach Ostern wiederum treffen. Für die Initiativgruppe „Pro Reschenbahn“ ist klar, dass es nur die Reschenbahn sein kann, mit einer Anbindung in die Schweiz.

Hans Öttl, Nauderer Gemeindearzt im Ruhestand und aktiv bei der Initiative „Pro Reschenbahn“, betont, dass man die Entwicklung in Richtung Bahn, auch wegen des Klimawandels nicht verschlafen wolle. „Ich halte die Idee einer Banhverbindung Mals-Landeck für wesentlich mächtiger als eine Ost-West-Verbindung“, sagt Öttl. Eine Verbindung Mals-Scuol sei ein Luxusprojekt. Die Mächtigkeit Mals-Landeck steige nämlich durch eine mögliche Fernpassverbindung. „Eine solche Bahnverbindung bringt in Zukunft den deutschen Gast nach Südtirol.“ Baldur Schweiger sekundiert: „Wir wollen den Verkehr zum Tourismuswechsel wesentlich entlasten können.“

 

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Karl Trojer Sa., 03.04.2021 - 11:02

Wenn der Höhenunterschied zwischen Reschen und der Talsohle des Tiroler Oberlandes sinnvoll lösbar ist, dann dürfte sich die hier dargestellte Reschenbahn für diesen Gesamtraum sehr vorteilhaft auswirken. Wenn dann noch eine Bahn- Kombination über den Fernpass Wirklichkeit würde, so ergäbe sich dieses Gesamtprojekt auch im Sinne des Klimaschutzes als sehr wertvoll.

Sa., 03.04.2021 - 11:02 Permalink
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Stefan S So., 04.04.2021 - 10:21

Ganz im Gegenteil, BBT macht ohne die weitere Ertüchtigung und Ausbau des regionalen Eisenbahnnetzes überhaupt keinen Sinn. Wenn Klimaschutz und qualitativ nachhaltiger Tourismus keine leere Worthülsen bleiben sollen kommt man an solchen Projekten nicht vorbei.
Die Vinschger Bahn ist bestes Beispiel dafür und zeigt deutlich auf das die Nachfrage für diese Art der nachhaltige Infrastruktur deutlich vorhanden.

So., 04.04.2021 - 10:21 Permalink
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Stefan S So., 04.04.2021 - 12:02

Sehe ich auch, da fehlen mutige Visionäre in der Poltik welche nicht nur Ihre kurzfristige Klientelpolitik betreiben.
Das Rechtsgesinnte auf dieses Vehicle aufsteigen sehe ich nicht als Nachteil...

So., 04.04.2021 - 12:02 Permalink