Kultur | Salto Weekend

Versuch einer Schlichtung

Eine Recherche im Salto-Archiv hat eine literarische Rede (2009) zu einer literarischen Rede (1969) ans Tageslicht befördert. Ein Archivfund der ins Jahr 2021 passt.
Maxi Obexer
Foto: FOTO GEZETT

Angefangen hat alles mit einem Gespräch, welches salto.bz als Zwiegespräch der Schriftstellerinnen Maxi Obexer und Sabine Gruber am 21. Februar 2021 veröffentlichte. Die folgenden Zeilen, bzw. die Reduzierung auf die kurze Aussage von Maxi Obexer, haben dann in den vergangenen Wochen für ordentlich Zündstoff gesorgt:

Ausschnitt Salto Gespräch:

Sabine Gruber: […] Die „Brixner Rede“ (N.C. Kaser) ist der Text eines Mannes, der auf eine durch und durch männliche Literaturtradition reagiert.

Maxi Obexer: Ich finde den Hype auf N.C. Kaser, der ein paar Gedichte verfasst hat und sich dann im Suff ertränkt hat, reichlich überzogen und frage mich ernsthaft, womit das zu tun hat. Literarisch hat er für mich keine Rolle gespielt, und ich frage mich, für wen er das hat.

Sabine Gruber: Kasers Texte sind eine Zäsur in der Südtiroler Literatur, er selbst taugt schon deshalb zum Mythos, weil er zu Lebzeiten kein einziges Buch veröffentlicht hat. […]

Während vereinzelt der Kaser-Sager mit dem Rücktritt Maxi Obexers bei der Südtiroler AutorInnenvereineigung (SAAV) in Zusammenhang gebracht werden wollte, entflammte im Netz eine glühende Diskussion um den Dichter, sein Schaffen und seine "Schlachtung". Doch wo blieb die Schlichtung? Es hagelte Entgegnungen und Entgegnungen auf Entgegnungen...

Ich denke, Kaser und ich hätten uns gut verstanden. 
[Maxi Obexer]

In einer Archivaufnahme vom 27. August 2009 kann nachfolgend eine Rede Maxi Obexers nachgehört werden, die sie im Rahmen einer n.c. kaser gewidmeten Veranstaltung in der Festung Franzensfeste – anläßlich des 40. Jubiläums seiner "Brixner Rede" (1969) – neben anderen TeilnehmerInnen gehalten hatte. Salto hat die Auseinandersetzung Obexers mit Kasers Schlachtrede aus dem Archiv gezaubert, der Schriftstellerin zugeschickt und um Veröffentlichung angefragt. Zurückgekommen ist ein O.K. inkl. Kommentar.

Aus einem langen Gespräch mit Sabine Gruber und mir (salto.bz) wird ein Satz herausgepflückt, der alles andere, was darin gesagt wird, überschreiben soll. Darin der Pioniergeist einzelner Frauen im Kampf um eine weibliche Autorschaft in Südtirol. Darin ein neuer Aufbruch in andere Erfahrungen und Wirklichkeiten, ein Aufbruch zu neuen Narrativen und neuen literarischen Formen. Vieles mehr wird darin gesagt, es soll Zeiten ausleuchten und Strukturen. Meiner Bemerkung über den zweifelhaften Hype von N.C. Kaser wird von Sabine Gruber widersprochen, sie räumt ein, dass Kaser eine Bedeutung hatte für diese Zeit. Das bleibt so stehen, Rede und Gegenrede. Ein Dialog, ein gemeinsames Gefüge, eine Replik benötigt die andere. Der genuine Start einer Meinungsvielfalt. Wochen später dann ein Artikel in der Tageszeitung, bei dem ein herausgepflückter Satz die Geschichte einer weiblichen und literarischen Emanzipation auslöscht. Ihn willkürlich verbindet mit meinem Rücktritt von der Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung, und mit dem Vorwurf der Cancel Culture auflädt.
Das Überblenden dessen, worum es uns ging, die Belehrung, der Gestus, in dem gerichtet und geredet wird, und keine Widerrede - vieles spricht dagegen, dass es wirklich um N.C. Kaser ging. 
Welche Spuren hinterlässt N.C. Kaser? Bei wem?

Die Zeit als Herausforderung verstehen heißt auch, ihren Veränderungsbedarf zu erkennen.

Mit Sicherheit bei mir. Niemals würde es mir um die Herabwürdigung eines Schriftstellers gehen. Befremdlich finde ich die Heiligenverehrung. Das entfremdet sie von den Menschen und von den gegenwärtigen AutorInnen. Kunst und Literatur gehören nicht auf den Altar, sondern auf die Straße, wo sie auf die Menschen trifft, und auf deren Nöte.
Ich denke, Kaser und ich hätten uns gut verstanden. 

 


Auszug

Was sich in Kasers Rede formuliert ist eine Herausforderung. Kaser fühlte sich herausgefordert und wollte selbst auch herausfordern. Ein Künstler wird dann herausgefordert sein, wenn er beginnt, die gegenwärtige Situation in ihren Verletzungen zu sehen, ihren Krankheiten und Unerlöstheiten, und wenn er Gründe und Ursachen dafür ausmachen kann. Wenn er zu ihren Fragen findet, und zu Ansprüchen zurückfindet. Die Zeit als Herausforderung verstehen heißt auch, ihren Veränderungsbedarf zu erkennen. Und dies bedeutet mitunter, gegen die Selbstverständlichkeit des Gegebenen zu opponieren. Er muss kein Widerstandskämpfer sein, um damit automatisch politischen und institutionellen Konventionen zu widersprechen. [Maxi Obexer, Rede zu Kasers „Brixner Rede“ vom 27.08.2009]

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Max Benedikter Mi., 14.04.2021 - 14:51

Danke für diese notwendige Rekonstruktion.
Ich hatte das Gespräch zwischen Obexer und Gruber auf salto.bz mit großem Interesse gelesen. Dann auch den erfrischenden Podcast von Maxi Obexer über die Brixner Rede von Kaser zufällig erwischt. Hatte aber nicht verstanden, dass diese 2009 aufgenommen wurde.
Ich selbst komme aus einer sehr belesenen Familie, obwohl ich selber diesem Vorbild nur stockend gefolgt bin, weshalb ich die Nachrichten um die Südtiroler AutorInnenvereineigung (SAAV) nur spärlich verfolge. Mein Vater aber kannte und frequentierte Kaser. Jedes mal wo es am Tisch über Kaser ging, schwärmte mein Vater über ihn mit Bewunderung, während meine Mutter sich nie einen sarkastischen Kommentar über seine ungenierten frauenfeindlichen Manieren verkneifen konnte.
Schon interessant, dass heute noch einige Literaturkritiker in diesem Land das Patriarchat mit subtieler Perversion verteidigen und den Rücktritt von Maxi Obexer verlangen.

Mi., 14.04.2021 - 14:51 Permalink
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Werner Menapace Sa., 17.04.2021 - 11:39

Antwort auf von Max Benedikter

Bitte keine Sachen aus der Luft greifen und haltlose Anschuldigungen erheben:
a) die Literaturkritiker verteidigen nicht „das Patriarchat mit subtieler (sic!) Perversion“, sondern die Würde der Person und das Werk n. c. kasers;
b) niemand hat den Rücktritt von Maxi Obexer verlangt. Sie ist aus eigenen, freien Stücken, unabhängig von und nicht im Zusammenhang mit der Kontroverse um ihre Aussage zu n. c. kaser zurückgetreten.

Sa., 17.04.2021 - 11:39 Permalink