Umwelt | Gastkommentar

Ein Höhepunkt der Gerichtsbarkeit

Der 28. Mai 2021 war ein guter Tag für kritischen Journalismus und für die freie Meinungsäußerung. Ein Kommentar zum Ausgang des Südtiroler Pestizidprozesses.
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Foto: Umweltinstitut München
Wir waren alle baff! Sarah Wiener (Abgeordnete EU-Parlament), Margarete Bause (Abgeordnete Deutscher Bundestag), Claudia Köhler, Rosi Steinberger (beide Abgeordnete des Bayrischen Landtags) und ich waren als Prozessbeobachter im Saal B des Landesgerichtes anwesend, als Richter Frederico Secchi nach kurzem Prozess Alexander Schiebel vom Vorwurf der erschwerten üblen Nachrede freisprach.
Zur Erinnerung: Alexander Schiebel hatte in seinem Buch „Das Wunder von Mals“ den konventionellen Obstproduzenten „Tötung durch vorsätzliches Ignorieren von Tatsachen„ vorgeworfen, der das Empörungs-Fass der Südtiroler Obstindustrie zum Überlaufen brachte. Über 1300 Personen erstatteten Anzeige, Landesrat Schuler verkündete öffentlich, dass Herr Schiebel ob seiner Aussage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verurteilt würde. Eine grobe Fehleinschätzung wie sich nun herausstelle!
Eine gute Stunde früher hatten wir uns im Saal A des Landesgerichtes getroffen, wo die zweite Verhandlung gegen Karl Bär unter Vorsitz von Richter Ivan Perathoner stattfinden sollte. Wir warteten gespannt, ob es Landesrat Schuler gelungen war, auch die Gebrüder Gritsch aus Naturns zur Rücknahme der Anzeige zu bewegen. Es stellte sich aber heraus, dass dem nicht so ist und Richter Perathoner setzte das Verfahren mit der Zeugenaufnahme fort.
 
 
Die Staatsanwältin nannte die Namen einiger Personen, darunter pikanterweise auch jene der Gebrüder Gritsch. Rechtsanwalt Nicola Canestrini, der Karl Bär vertritt, legte eine Liste mit 88 Zeugen vor, darunter große Namen aus der Wissenschaft und aus der Politik. Richter Perathoner akzeptierte beide Zeugenlisten und setzte den nächsten Verhandlungstermin für den 22. Oktober 2021 fest. Soweit war es ein gewöhnlicher und nicht besonders aufregender Prozesstag.
In Saal B hingegen tat sich wenig später Erstaunliches. Richter Secchi schlug gleich zu Beginn der Verhandlung den Streitparteien die Einstellung des Verfahrens vor. Sowohl die Staatsanwältin als auch Rechtsanwalt Markus Vorhauser, der die Gebrüder Gritsch aus Naturns zu vertreten hatte, lehnten das Angebot ab. Der Prozess nahm daraufhin seinen Lauf.
Es folgte eine kurze Anhörung der Streitparteien, die ihre Positionen nochmals bekräftigten: Rechtsanwalt Vorhauser erklärte, dass die Aussage von Alexander Schiebel im Buch „Das Wunder von Mals“ nicht nur den Gebrüdern Gritsch sondern der gesamten Südtiroler Obstindustrie geschadet habe. Rechtsanwalt Nicola Canestrini wies auf die Tatsache hin, dass chemisch-synthetischen Pestizide sehr wohl für die Gesundheit der Menschen als auch für die Umwelt eine Gefahr darstellen und dass Herr Schiebel als Autor sein gutes Recht auf freie Meinungsäußerung beansprucht habe.
 
 
Was dann folgte, kann durchaus als Höhepunkt der italienischen Gerichtsbarkeit bezeichnet werden. Richter Frederico Secchi zog sich zurück, um nach zehn Minuten zu erscheinen und das Urteil zu verkünden. Freispruch für Alexander Schiebel! Schiebels Aussagen über die Südtiroler Pestizidwirtschaft sind keine üble Nachrede und fallen unter das Recht der freien Meinungsäußerung. Punkt! Richter Secchi schloss das Verfahren nach einer knappen Stunde mit dem Hinweis ab, die Begründung des Urteils werde innerhalb von 90 Tagen folgen.
Es war  ein schlechter Tag für all jene, die mit SLAPP-Anzeigen kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft einschüchtern wollen.
Freitag, 28. Mai 2021 war ein guter Tag für Alexander Schiebel, ein guter Tag für kritischen Journalismus und ein guter Tag für die freie Meinungsäußerung. Es war hingegen ein schlechter Tag für all jene, die mit SLAPP-Anzeigen kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft einschüchtern wollen.
 
Hanspeter Staffler ist Landtagsabgeordneter der Südtiroler Grünen.
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Profil für Benutzer Manfred Klotz
Manfred Klotz Di., 01.06.2021 - 07:34

Seien Sie ehrlich Herr Staffler, es handelt sich nicht um eine Bestätigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung - die zu keiner Zeit in Gefahr war, sondern um eine juristische Erwägung, nämlich die, dass Schiebel keine identifizierte oder identifizierbare Person angesprochen hat und damit - laut einem Urteil des Kassationsgerichts von 2019 - der Tatbestand der üblen Nachrede nicht gegeben ist. Mal schauen, ob der Staatsanwalt in Berufung geht.

Di., 01.06.2021 - 07:34 Permalink