Jugend
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Gesellschaft | fritto misto

Lob der Jugend

Verunglimpft, vergessen, verdrängt: Dabei haben die Jungen in dieser Krise Beachtliches geleistet.

Ich könnte auf den Balkon gehen und eine Viertelstunde lang klatschen. Ich könnte euch anerkennend auf die Schulter klopfen, wenn ich euch auf der Straße begegne. Oder ich könnte ein Loblied an euch auf YouTube hochladen. Weil wohl alle drei Sympathiebekundungen als (akustische, physische, akustische) Belästigung wahrgenommen würden, packe ich meine Dankbarkeit an euch einfach in diese Kolumne. Liebe Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene: Wie ihr die Pandemie gemeistert habt, dafür habt ihr meine aufrichtige Bewunderung. Ich meine, ihr wart nie die gefährdetste Altersgruppe. Zwar gibt es auch unter euch schwere Verläufe und vereinzelt leider auch Todesfälle, aber im Großen und Ganzen habt und hattet ihr gesundheitlich durch Corona wenig zu befürchten. Umso schwerer wogen die Maßnahmen, an die ihr euch jetzt schon seit eineinhalb Jahren zu halten hattet. Kaum Präsenzunterricht für die Oberschüler, kein physischer Kontakt mit euren Freunden, keine Party, kein Auslandsjahr, usw.

Ob die älteren Semester ebenso bereitwillig auf ihre Freiheiten und Rechte verzichtet hätten, beträfe Corona vorwiegend die Jüngeren und wären sie selbst mehr oder minder davor gefeit?

Besonders für die Teenager, die ja naturgemäß danach streben, flügge zu werden und die Welt zu entdecken, für die der Freundeskreis plötzlich so viel wichtiger wird als die Eltern, muss es unglaublich hart gewesen sein, für so lange Zeit regelrecht von der Außenwelt abgeschottet gewesen zu sein. Statt beim Ausgehen Leute kennenlernen und die eigene Persönlichkeit zu entwickeln zuhause mit Mama und Papa zu hocken und sich wieder zu fühlen wie mit 12. Nicht nur tage-, wochen-, sondern monatelang. Ich weiß nicht, wie ich damit zurechtgekommen wäre. Nicht sehr gut, wahrscheinlich. Es erstaunt mich im Nachhinein, dass ihr so ruhig geblieben seid, dass da nicht mehr Auflehnung war, nicht mehr Rebellion, für die in diesem Alter ja weitaus geringere Anlässe genügen. Aber ihr wart zum wirklich größten Teil vernünftig, verständnisvoll. Wolltet Oma und Opa schützen, solidarisch sein. Ob die älteren Semester ebenso bereitwillig auf ihre Freiheiten und Rechte verzichtet hätten, beträfe Corona vorwiegend die Jüngeren und wären sie selbst mehr oder minder davor gefeit, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es für manche schon eine Zumutung war, im Geschäft eine Maske zu tragen oder sich testen zu lassen, während ihr Zeit verloren habt, die euch wohl niemand mehr zurückgeben kann.

 

Ein Jahr, nein eineinhalb Jahre für eine*n Sechzehnjährige*n, das ist ein ganzes Universum an neuen Begegnungen, Erfahrungen, Eindrücken, die euch in der Corona-Monotonie versagt geblieben sind. Ein Fünfzigjähriger fliegt dann eben nächstes Jahr auf die Malediven, die Sechzigjährige verschiebt die lang geplante Hüttenwanderung. Es wird im Nachhinein keine große Rolle spielen. Euch aber fehlt ein Stück eurer Biografie, das sich nicht einfach so nachholen lässt, weil ihr in ein paar Jahren ganz andere Menschen sein werdet. Trotzdem schaut ihr mutig nach vorne, so zumindest mein Eindruck. Lasst euch impfen mit dem Impfstoff, den die Älteren verschmähen, obwohl er für sie unbedenklich ist und für euch Risiken, wenn auch sehr geringe, birgt. „Statistisch gesehen gewinne ich eher im Lotto“, meint ihr lapidar, und legt damit genau die Pragmatik und Reife an den Tag, an der sich so manche impfunwillige Senioren ein Beispiel nehmen sollten. Meldet euch für Aktionen, bei denen es heißt, man gebe euch die Möglichkeit „viel früher viel früher zu einer schützenden Impfung zu kommen, als es bisher im Impfplan vorgesehen war“, obwohl nur eine Woche später – Überraschung! – dann doch alle Impfstoffe für alle freigegeben werden. Doch da ist kein Murren, keine Wut. Dafür habt ihr jetzt vermutliche keine Zeit, ihr wollt einfach nur da weitermachen, wo ihr aufhören musstet. Allen gelingt das nicht.

Liebe Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene: Wie ihr die Pandemie gemeistert habt, dafür habt ihr meine aufrichtige Bewunderung.

Den Schulversager*innen, für die der Fernunterricht eben nicht funktioniert hat und die jetzt hoffentlich aufgefangen statt abgestraft werden. Denjenigen, die psychische Probleme entwickelt haben, bei denen Selbstverletzung, Essstörungen, Depressionen aufgetreten sind. Die vermehrt zu Drogen gegriffen haben, weil sie mit der Situation eben nicht so gut zurechtgekommen sind wie die Erwachsenen, die die Zeit genutzt haben um ihr eigenes Bier zu brauen oder ihre Autobiografie zu schreiben oder weiß der Kuckuck welche Muse hatten, aus der Krise eine Chance zu machen. Bad Bachgart ist voll mit jungen Patienten: Geben wir zu, die Jugend haben wir zu wenig unterstützt in dieser Krise, wir haben ihr zu wenig Gehör geschenkt. Wenn sie thematisiert wurde, dann vor allem als Infektionstreiber, als verantwortungsloses Partyvolk, das sich nicht an die Regeln hält. Dabei wartet schon die nächste Krise auf sie, eine Erschütterung gegen die Corona wie ein lächerlicher Rülpser des Planeten wirkt: Die Älteren werden sich durch ihr Ableben weitgehend der Klimakrise entziehen können, für die Jungen wird sie lebensbestimmend werden. Auch deshalb müssen wir sie jetzt stärken und wertschätzen, und sei es nur durch Aktionen wie jene der Stadtgemeinde Bruneck, die Kindern und Jugendlichen als Zeichen der Dankbarkeit heuer freien Eintritt ins Freibad gewährt. Eine schöne Geste. Wer zieht mit, wer macht‘s nach? Wir sind es euch schuldig, dass wir jetzt für euch da sind.    

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Paolo Ghezzi Fr., 04.06.2021 - 10:26

Schön und genau gesagt. Lode ai ragazzi e alle ragazze del biennio perduto (es war KEIN Krieg, anders wie in 1914-18, sie leben noch) aber es war lang und schwer...

Fr., 04.06.2021 - 10:26 Permalink
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Mattia Frizzera Fr., 04.06.2021 - 10:45

Un esercizio molto semplice da fare sarebbe pensare a cosa abbiamo fatto tutti noi fra i 16 ed i 19 anni. Confido nella pazienza dei ragazzi e spero se la possano godere con gli interessi ;-)

Fr., 04.06.2021 - 10:45 Permalink