Politik | Maskenskandal

Aktion Vertuschung

Der Untersuchungsausschuss des Landtages hat die Machenschaften der Sanitätsspitze lückenlos dokumentiert. Vor allem den Versuch, die Sache zu vertuschen. Die Chronik.
Prüfbericht
Foto: ARWT
Florian Zerzer & Co dürften jetzt ein Problem mehr haben.
Der Bericht ist wirklich ausgezeichnet gemacht“, heißt es aus der Bozner Staatsanwaltschaft, wo seit über einem Jahr die Ermittlungen gegen den Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes und den Geschäftsführer der Oberalp AG, Christoph Engl laufen.
Der von der gesamten Opposition im Untersuchungsausschuss des Landtages gemeinsam genehmigte Minderheitenbericht ist auch für die Ermittler ein Logbuch durch den sogenannten Maskenskandal. Anhand von Dokumenten und noch deutlicher durch Aussagen Dutzender Personen, die der Ausschuss angehört hat, wurden die zentralen Punkte, die von Salto.bz bereits vor 15 Monaten aufgedeckt wurden, mehr als nur bestätigt.
Vor allem die Tatsache, dass Florian Zerzer versucht hat, die negativen Gutachten zur Oberalp-Maskenlieferung bewusst vor der Öffentlichkeit und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sanitätsbetriebes zurückzuhalten, wird in dem von Ausschusspräsident Franz Ploner verfassten Bericht mustergültig herausgearbeitet.
Ebenso klar wird jetzt, warum die Gutachten nicht bekannt werden durften. Zerzer & Co hatten zu diesem Zeitpunkt bereits eine zweite Bestellung für dieselben Schutzmaterialien über 25 Millionen Euro bei dem Südtiroler Sportartikelhersteller in Auftrag gegeben. Eine Bestellung, die man selbst nach dem Ausbruch des Maskenskandals wochenlang geheim gehalten hat. Und an die sich Florian Zerzer & Co selbst heute nicht mehr erinnern wollen.
 

Zerzers Märchen

 
Am 8. April 2020 enthüllt Salto.bz unter dem Titel „Die Vertuschung“, dass Florian Zerzer den negative Prüfbericht des Wiener „Amtes für Rüstung und Wehrtechnik“ (ARWT) bewusst verschwinden hat lassen.
 
 
 
 
Der Eingang der Gutachten wurde im Sanitätsbetrieb zwei Wochen lang nicht protokolliert, vor allem aber wurden nach einer Krisensitzung in der Sanitätsdirektion alle Personen kontaktiert, denen durch einen Fehler das Prüfbericht weitergeleitet worden war. Das Ansinnen von Florian Zerzer persönlich: Die Empfänger sollen die Mail und das Gutachten umgehend löschen. Ebenso erteilte der Generaldirektor seinem Sekretariat noch am selben Tag den Auftrag den Wiener Prüfbericht und die Übermittlungsmail auf seinem Computer zu löschen.
„Leider Gottes ist das, wie vieles andere im Bericht von Christoph Franceschini, falsch dargelegt“, reagierte Florian Zerzer damals im Morgengespräch auf RAI-Südtirol  auf diese Enthüllung. Er habe die Angerufenen nur um Vertraulichkeit ersucht und auch die Mail und das Gutachten des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik auch nicht löschen lassen. Zerzer zur RAI: „Ich habe das Mail archiviert, es findet sich in meiner Ablage und ich habe es aus meinem Mailordner herausgelöscht“..
Im Untersuchungsausschuss des Landtages wurde diese Behauptungen von Florian Zerzer jetzt widerlegt und die Darstellung von Salto.bz detailliert bestätigt. Im Abschlussbericht heißt es:
 „Die Chronologie dieser Ereignisse zeigt, dass die Führung des Sanitätsbetriebes in dieser Situation fahrlässig gehandelt hat, indem sie die Ergebnisse der Prüfberichte den Mitarbeitern*innen zu verheimlichen suchte“.
 

Chronik eines Skandals

 
Anhand des E-Mail-Verkehrs und der Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss lässt sich die Chronik der Ereignisse genau nachvollziehen.
Am Sonntag, den 29. März 2020 schickt der CEO der Oberalp AG Christoph Engl um 15.25 Uhr eine E-Mail an Florian Zerzer. Der Inhalt: Gleich zwei negative Gutachten zu der von Oberalp sechs Tage zuvor aus China importierten Maskenlieferung. Es handelt sich um den Prüfbericht des Wiener ARWT und ein zweites Gutachten der deutschen Prüfanstalt DEKRA.
Weil Florian Zerzer an diesem Sonntag nicht gleich erreichbar ist, die zuständige Beamtin in der Generaldirektion aber die Brisanz der beiden Gutachten umgehend erfasst, passiert das was nicht geschehen sollte.
 
 
Um 15.36 Uhr schickt die Sekretärin die E-Mail und die Gutachten an Verwaltungsdirektor Enrico Wegher. Mit der Frage an wen die beiden Prüfberichte weiterzuleiten sind. Eine Stunde später antwortet Wegher und gibt die Dienstanweisung die Gutachten an den Leiter der Task Force, Marc Kaufmann, Sanitätsdirektor Paolo Bertoli, Pflegedirektorin Marianne Siller und an die Leiter der sieben Südtiroler Krankenhäuser zu schicken.
So gehen die Gutachten per Mail um 16.30 Uhr an diesen Personenkreis. Um 16.58 Uhr antwortet der Leiter des Krankenhauses Sterzing, Michael Engl. Engl schreibt, dass er nach dem Erhalt des Prüfberichtes verunsichert sei und um Anweisung ersuche, wie die Masten zu verwenden seien.
Unmittelbar danach meldet sich die Pflegedirektorin des Südtiroler Sanitätsbetriebes Marianne Siller telefonisch im Generalsekretariat und ersucht allen Empfängern des Gutachtens mitzuteilen, dass diese Nachricht absolut vertraulich zu behandeln sei. Um 17.19 Uhr geht eine entsprechende Mail an über ein Dutzend Personen.
Der Generaldirektor echauffiert sich gegenüber seiner Mitarbeiterin, dass dieses E-Mail mit dem Prüfbericht nicht hätte weitergeleitet werden dürfen.
Um 18:13 Uhr meldet sich dann Florian Zerzer telefonisch im Generalsekretariat des Sanitätsbetriebes. Der Generaldirektor echauffiert sich gegenüber seiner Mitarbeiterin, dass dieses E-Mail mit dem Prüfbericht nicht hätte weitergeleitet werden dürfen, schon gar nicht in seinem Namen.
Spätestens jetzt beginnt die Aktion Vertuschung.
 

Für den Landesrat: Vertraulich!

 
Um 18.58 Uhr schickt Florian Zerzer per Mail die negativen Prüfberichte an Landesrat Thomas Widmann und an dessen persönliche Referentin Verena Lazzeri. Der Betreff: „Für Euch vertraulich“. Im Begleitschreiben an Widmann kündigt der Generaldirektor auch an, für 19.30 Uhr eine Telefonkonferenz mit Taskforceleiter Marc Kaufmann, Sanitätsdirektor Paolo Bertoli, Pflegedirektorin Marianne Siller und dem der medizinische Geschäftsführer der Tirol Kliniken - Innsbruck, Christian Wiedermann, einberufen zu haben.
 
 
In dieser Krisensitzung wollte man von Wiedermann, der lange als Primar am Bozner Krankenhaus tätig war, dass die Uniklinik Innsbruck die Masken sozusagen in extremis zertifizieren sollte. Einen Versuch, den Wiedermann aber abblockte.
Unmittelbar nach der Sitzung meldet sich Florian Zerzer um 21.16 Uhr erneut in seinem Sekretariat, um die Namen alle Personen zu erfahren, an denen die Mail von Christoph Engl und die Gutachten weitergeleitet wurden. Zerzer erklärt dabei wörtlich, dass „er alle persönlich anrufen werde“. Gleichzeitig gibt der Generaldirektor aber eine weitere Dienstanweisung: Die Mitarbeiterin soll die Gutachten ausdrucken und alle E-Mail dazu umgehend löschen. Um 21.36 Uhr folgt die Beamtin dieser Anweisung und legt das ausgedruckte, vertrauliche Dokument auf Zerzers Schreibtisch.
Florian Zerzer und Pierpaolo Bertoli rufen noch am selben Abend alle Empfänger der E-Mail mit den Gutachten an. Aus einigen Aussagen der Angerufenen im Untersuchungsausschuss geht eindeutig hervor, dass der Generaldirektor die Krankenhausleiter dabei ersucht, die Mail und die Gutachten ebenso zu löschen.
Es wurde versucht, diese weitergeleiteten Informationen über die Generaldirektion rückgängig zu machen bzw. zu verschleiern. Den Adressaten*innen wurde das Gebot der Vertraulichkeit auferlegt“, heißt es dazu im Minderheitenbericht.
Einer der angehörten Ärzte umschreibt im Landtag die bizarre Situation mit Humor: „Ein guter Geist hat dieses Mail geschickt.“
 

Schwindelig Angebotseinholung

 
Bis heute stellt man sich die Frage, warum die beiden Gutachten nicht bekannt werden durften. Auch dafür gibt es aber eine Antwort.
Denn an diesem Sonntagabend im März 2020 wird allen Beteiligten plötzlich bewusst, wie sehr man sich in die Nesseln gesetzt hat. In Wirklichkeit geht es vordergründig nicht nur um die 9,3 Millionen Euro Lieferung an Schutzmaterial, die Oberalp am 23. März über Wien nach Südtirol gebracht hat. Sondern es geht um eine zweite weit größere Lieferung von Schutzbehelfen, die die Verantwortlichen bis heute mit allen erdenklichen Mitteln auszublenden versuchen.
Nachdem Salto.bz Anfang April 2020 den Wiener ARWT-Prüfbericht veröffentlicht, platzt der Südtiroler Maskenskandal. Sechs Wochen lang verschweigen danach Florian Zerzer, die Spitze des Sanitätsbetriebes, aber auch der zuständige Landesrat Thomas Widmann, die Existenz einer bereits bei Oberalp gemachten zweiten Lieferung im Wert von mehr als 25 Millionen Euro.
Erst als Salto.bz am 15. Mai 2020 detailliert über diese zweite Bestellung berichtet und Firmen-Inhaber Heiner Oberrauch die Nachricht bestätigt, muss man Farbe bekennen.
Wir haben Erhebungen gemacht, welche Mengen wir brauchen. Und wir haben uns mit diesen Erhebungen auch an Oberalp gewandt. Eine Bestellung in dieser Form ist nicht mehr ergangen“, windet sich Florian Zerzer damals in einem „Südtirol heute“-Interview. Es ist die Sprachregelung bei der man bis heute geblieben ist.
 
 
So verneinen Generaldirektor Florian Zerzer, Sanitätsdirektor Pierpaolo Bertoli, Verwaltungsdirektor Enrico Wegher und Pflegedirektorin Marianne Siller bei ihren Anhörungen vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages unisono, eine Auftragserteilung an die Firma Oberalp AG für die zweite Bestellung.
Auch im offiziellen Abschlussbericht des Ausschusses, vom SVP-Abgeordneten Franz Locher verfasst, macht sich diese Auslegung zu eigen. Dort ist von einer „Angebotsanfrage von SABES an Oberalp“ die Rede und von einem „Vertragsentwurf, der allerdings nie finalisiert wurde“.Schaut man sich die vorliegenden Dokumente aber genauer an, so tritt eine völlig andere Realität zu Tage.
 

Die Aufstockung

 
Am Nachmittag des 23. März 2020 landen zwei Maschinen der AUA in Wien mit dem Großteil der ersten Bestellung. Die Euphorie über den geglückten Deal ist so groß, dass man der Sanitätsbetrieb noch am selben Abend eine Folgebestellung beim Unternehmen Oberalp in Auftrag gibt.
Um 23.12 Uhr kommt von Dr. Kaufmann die Bestellung über einen weiteren großen Auftrag. Um 23.19 Uhr bestätigt Engl den Auftrag via Mail“, sagt Oberalp-Besitzer Heiner Oberrauch im Untersuchungsausschuss aus. Diese Bestellung ist in der Form identisch mit jener, die Kaufmann acht Tage zuvor für die erste Lieferung per Mail erteilt hatte. Auch die Produkte sind absolut identisch. Der Sanitätsbetrieb bestellt an diesem Abend 3 Millionen chirurgische Masken, eine Million KN95-Atemschutzmasken, 800.000 Einweganzüge und 400.000 Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch. Der Gesamtpreis: 28.490.000 Euro.
Was dann aber passiert, wird bis heute ganz bewusst ausgeblendet.
 
 
Denn aus den offiziellen Dokumenten geht hervor, dass es acht Tage später, am 31. März 2020 zu einem Treffen der Spitzen des Sanitätsbetriebes mit den Vertretern der Unternehmens Oberalp kommt, bei dem die zweite Lieferung noch einmal detailliert schriftlich präsentiert wird. Dabei werden die Liefermengen noch einmal deutlich korrigiert.
Weil Marc Kaufmann sich bei der ursprünglichen Bestellung anscheinend vertippt hatte und anstatt 40.000 aseptischen Schutzanzüge. 400.000 bestellt hatte (Stückpreis 27,90 Euro), bessert der Sanitätsbetrieb hier nach. Am Ende einigt man sich beim Treffen auf 100.000 aseptische Schutzanzüge. Der finanzielle Unterschied der Änderung: 8,3 Millionen Euro weniger.
Gleichzeitig erhöht man aber die Mengen der anderen Produkte.
Aus den ursprünglich bestellten 800.000 Einweganzüge werden 1 Million, aus dem ursprünglichen 3 Millionen chirurgische Masken werden 4,5 Millionen und aus der einen Million KN95-Atemschutzmasken, 1,5 Millionen.
Damit verringert sich der Gesamtpreis auf 25.085.000 Euro.
 

Engls Verantwortungsbewusstsein

 
Zur Erinnerung: Am 29. März 2020 erhält der Sanitätsbetrieb zwei schriftliche Gutachten, die bescheinigen, dass die Masken schadhaft sind und zwei Tage später, am 31. März 2020 stocken Zerzer & Co eine zweite Lieferung genau dieser Masken auch noch auf.
Kann man noch fahrlässiger handeln?
 
 
Wobei man dazu sagen muss, dass es ausgerechnet der Verkäufer war, der den Käufer über die negativen Prüfberichte informiert hat. Christoph Engl hätte die Gutachten nicht an Florian Zerzer schicken müssen. Obwohl dem Oberalp-CEO bewusst war, dass damit ein 35-Millionen-Deal in Gefahr gerät, hat Engl das aus Verantwortungsbewusstsein aber getan.
Diese Eigenschaft scheint hingegen an der Sanitätsspitze dünn gesät zu sein.
Nur so ist das dokumentierte weitere Vorgehen erklärbar.
Denn am 2. April 2020 bestätigt Verwaltungsdirektor Enrico Wegher nochmals schriftlich die zweite Bestellung in allen Details. Zudem übermitteln Wegher und der zuständige Amtsdirektor Renato Martinolli am 7. April 2020 per Pec-Mail einen entsprechenden Vertragsentwurf an Oberrauch.
Oberalp Geschäftsführer Christoph Engl zeigte in dieser kritischen Situation Verantwortungsbewusstsein. Was man von der Spitze des Sanitätsbetriebes nicht sagen kann.
Dort steht als Sachbearbeiterin der Name von Sophie Biamino. Die Direktorin des Amtes für den Ankauf sanitärer Verbrauchsgüter im Sanitätsbetrieb Bozen sollte ursprünglich für den Ankauf der Oberalp-Schutzmaterialen zuständig sein. Weil Biamino ihre Vorgesetzten aber bereits vorher mehrmals darauf hingewiesen hat, dass manche Vorgangsweise rechtswidrig seien, wurde ihr der Oberalp-Auftrag von ihren Vorgesetzten aus der Hand genommen.
Als Biamino Monate später aber diesen Vertragsentwurf sieht, in dem sie als Sachbearbeiterin angeführt wird, obwohl sie das Schriftstück weder vorher gesehen und schon gar nicht bearbeitet hat, erstattet die Amtsdirektorin im Juli 2020 Strafanzeige wegen Falschbeurkundung (denuncia di falso) gegen Unbekannt.
Ob damit die Chimäre der „Angebotsanfrage“ (Franz Locher) oder der „Erhebung“ (Florian Zerzer) in einem drohenden Zivilverfahren um die Zahlung der 25 Millionen Euro standhält, kann man vor diesem Hintergrund mit Fug und Recht bezweifeln.
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Profil für Benutzer Anonymous Südtirol
Anonymous Südtirol Mi., 16.06.2021 - 08:55

Bravo C. Franceschini!
Das ist Qualitätsjournalismus, etwas das man im heiligen Ländlein Südtirol selten findet.
Hoffentlich bleibt salto.bz uns erhalten, noch lange erhalten.
Wir von Anonymous stehen 100% hinter salto.bz und C.F.

Mi., 16.06.2021 - 08:55 Permalink
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Profil für Benutzer Sebastian Felderer
Sebastian Felderer Mi., 16.06.2021 - 19:29

Antwort auf von Anonymous Südtirol

Anonymous ...... ich würde zuerst dem Kind seinen echten Namen geben. Dann wäre der Kampf "an mehreren Fronten" durchschaubarer und glaubwürdiger. Dieses Angebot an finanzieller Unterstützung klingt fast wie aus dem Schnabel des großen Vogels. Der kreist bedrohlich über Zwölfmalgrein und kann jeden Moment zum Sturzflug ansetzen. Ob da Cryptowährung im Spiel ist, kann ich nicht beurteilen. Betuchte Leute sind bestrebt, mehrspurig zu fahren. Dies bei den Finanzen und auch bei der Macht. Deshalb liegt Frau Herta punktgenau richtig mit einem salto-Abo zur Stärkung der Demokratie.

Mi., 16.06.2021 - 19:29 Permalink