Gesellschaft | Gastbeitrag

Schlechter als jedes Tier im Stall

Einer der Bewohner des Obdachlosenheims in der Bozner Comini-Straße beschreibt die menschenunwürdigen Zustände dort. Ein Bericht zum Schämen für das reiche Südtirol.
Via Comini
Foto: Thomas Werner
Mein Name ist Thomas Werner und ich lebe nun schon 14 Jahre in Bozen. 
Leider kam ich im vergangenen Jahr für drei Wochen ins Krankenhaus und dort wurde meine Diabetes festgestellt. Nach dem Krankenhaus lebte ich 3 Wochen auf der Straße, da während meines Krankenhausaufenthaltes durch einige private Ereignisse alles verloren war. Wohnung usw. alles weg. Zu Ostern 2020 war ein Platz für mich in der Messe frei unter Leitung des Roten Kreuzes und es war alles gut organisiert. 
Am 8.07.2020 kam ich in die Via Comini, wo ich bis heute bin. Und hier begann das Chaos. 
Das Gebäude, ein ehemaliges Sägewerk unter Leitung von Volontarius. Toiletten nur ein Loch im Boden, Duschen haben entweder nur kochend heißes Wasser, eiskaltes Wasser oder kein Wasserdruck vorhanden.  
 
 
Das Essen wird von einem Pakistaner geliefert und besteht aus Reis oder Pasta, die ungenießbar ist. Für Diabetiker, wie mich gibt es mittags jeden Tag den gleichen Salat ohne Öl Essig, Salz und Pfeffer. Der Salat ist so hart, dass eine Plastikgabel abbricht, wenn man rein sticht. Abends gibt es gar nichts was ich essen könnte ohne meine Blutzuckerwerte auf 300 zu bekommen.
So waren die Zustände bis 12.04.2021.
Seit diesem Datum müssen wir alle das Gebäude morgens um 8:00 Uhr verlassen und dürfen erst um 20:30 Uhr wieder zurück. Das sind 12,5 Stunden draußen egal welches Wetter. Weiterhin sind die Schränke hier so klein, das nicht mal das nötigste Platz hat, das heißt für uns den ganzen Tag mit Gepäck von ca. 20 Kilo draußen zu sein, da wir alles, was nicht in den Schrank passt mitnehmen müssen. Denn wenn wir etwas auf dem Schrank oder dem Bett lassen wird es weggeworfen. Hier leben Menschen, die schwer krank sind (Herzoperation, Schlaganfall, Verlust von Gliedmaßen durch Unfälle) und alle müssen den ganzen Tag raus. 
 
 
Das ist ein menschenunwürdiges Leben hier, jedes Tier wird besser behandelt.
 
Das Putzen der Räumlichkeiten müssen wir selbst machen und man wird jeden Tag eingeteilt. Machen wir es nicht, so wird ein Brief geschrieben, den wir unterschreiben müssen, dieser kommt zu unseren Akten, bei 3 Briefen fliegt man raus, egal ob krank oder gesund.
Wir haben hier weniger Rechte und eine schlechtere Behandlung als jedes Tier im Stall. Das ist ein menschenunwürdiges Leben hier, jedes Tier wird besser behandelt.
 
 
Zum krönenden Abschluss noch eines. Ich bekomme 205 Euro Taschengeld jeden Monat. Ich muss davon Essen kaufen für 3 Mahlzeiten am Tag, mein Handy aufladen und und und. Wie soll ich das machen?
Wir sind Menschen und keine Monster. Auch wir wollen ein normales Leben führen, was hier unter diesen Umständen nicht möglich ist.
Dazu kommt, dass hier im Büro ein Platz ist für einen Kühlschrank in dem ich mein Joghurt lagere, was ich selber kaufe. Nachts hat nur Personal dort Zutritt. Ich habe abends den Bestand kontrolliert und morgens wieder. 2 Mal schon fehlte am Morgen ein Joghurt, doch außer Personal kann nachts keiner ins Büro, also ist für mich klar, wem mein Joghurt geschmeckt hat.
Wir benötigen dringend Unterstützung um in unserer Situation ein menschenwürdiges Leben zu führen. Wir sind 95 Personen, die durch irgendwelche Umstände in diese Situation gekommen sind. Aber wir sind Menschen und keine Monster. Auch wir wollen ein normales Leben führen, was hier unter diesen Umständen nicht möglich ist.

 

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Ludwig Thalheimer Fr., 18.06.2021 - 07:59

Ich zitiere dazu ein paar Aussagen unserer „besorgen“ Politiker:

„Ich glaube, dass es wenige Städte in Italien gibt, die sich so ernsthaft mit dem Problem der Obdachlosen in den Wintermonaten auseinandersetzen wie Bozen.“ Renzo Caramaschi, Bürgermeister der Stadt Bozen [Quelle: Beschlüsse des Stadtrats, Pressekonferenz vom 05.11.2019]

“Abbiamo letto degli appelli delle associazioni e li condividiamo. Siamo preoccupati.” Juri Andriollo, Sozialstadtrat der Gemeinde Bozen [Quelle: „Alto Adige“ Online-Ausgabe, 03.12.2020]

“Il Covid-19 ha reso tutto più complicato, ma con impegno e solidarietà abbiamo lavorato per offrire un tetto a chi non ce l’ha. Bolzano c’è, Bolzano aiuta. Bolzano lavora per andare oltre l’emergenza.” Juri Andriollo, Sozialstadtrat der Gemeinde Bozen [Quelle: Instagram, 13.12.2020]

“Superare l’emergenza. Dare aiuto e sostegno rapido a chi ha urgente bisogno.” Juri Andriollo, Sozialstadtrat der Gemeinde Bozen [Quelle: Instagram, 18.01.2021]

“Bolzano c’è e aiuta con tanta solidarietà e la voglia di non lasciare indietro nessuno.” Juri Andriollo, Sozialstadtrat der Gemeinde Bozen [Quelle: Instagram, 20.01.2021]

“Uscire dall’emergenza, migliorare i servizi. È il dovere di una società civile e solidale. Ho presentato oggi in giunta comunale un promemoria per riorganizzare e ottimizzare gli interventi per i senzatetto e per la prossima stagione invernale.” Juri Andriollo, Sozialstadtrat der Gemeinde Bozen [Quelle: Facebook, 01.03.2021]

„Es braucht eine intensive Vernetzung und ein gutes Zusammenspiel aller Akteure, um den Menschen auf der Straße unmittelbar helfen zu können.“ Waltraud Deeg, Landesrätin für Familie, Senioren, Soziales und Wohnbau der Autonomen Provinz Südtirol [Quelle: News Südtiroler Landesverwaltung, 11.01.2021]

Fr., 18.06.2021 - 07:59 Permalink
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Sebastian Felderer Fr., 18.06.2021 - 10:41

Nun, lieber Tom, auch bei den Tieren im Stall gibt es erhebliche Unterschiede. Die einen laufen im luftigen Freistall herum, die anderen sind im dunklen, muffigen Stall ohne Fenster eingesperrt. Auch bei den Hühnern dasselbe. Freigehege oder Legebatterie.
Dass im reichen Südtirol solche Zustände möglich sind, ist darauf zurückzuführen, dass die Leitung solcher Einrichtungen an Organisationen übergeben werden, die sehr oft schauen müssen, wie sie über die Runden kommen oder eben ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind.
Ich differenziere sehr bei den Aussagen. Klos des abgebildeten Typs habe ich auch beim Wehrdienst erlebt, das ist nicht so schlimm. Dass für Ordnung und Sauberkeit gesorgt wird, finde ich richtig. Das Taschengeld hat sicher nichts mit der Organisation zu tun. Die Anschaffung von größeren Abstellkästen und die Regulierung der Wassertemperatur bei den Duschen dürfte ein organisatorisches Problem sein.
Will abschließend nur sagen, dass für jeden in diesem Lande das Leben komplizierter und härter geworden ist. Die wirklich Verantwortlichen sind dafür kaum zur Rechenschaft zu ziehen. Deshalb wird es nur darum gehen, sich mit Rücksicht auf die Gemeinschaft zu wehren und das Beste aus "unserem Paradies" zu machen.

Fr., 18.06.2021 - 10:41 Permalink
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Harald Knoflach Fr., 18.06.2021 - 10:56

Lieber Herr Werner, ich wünsche Ihnen, dass sie einen Weg aus dieser Situation finden und dass ihr Beitrag Wirkung zeigt und die Zustände verbessert werden.
Lediglich die Sache mit der Toilette kann ich nicht ganz nachvollziehen. Das ist kein "Loch im Boden", sondern eine - wie mir scheint ordentlich gewartete und saubere - Hocktoilette, die aus medizinischer Sicht gesünder ist, als die bei uns gängigen Sitztoiletten und - falls richtig benutzt - auch hygienischer, da es zu keinem Hautkontakt kommt.

Fr., 18.06.2021 - 10:56 Permalink
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Karl Trojer Fr., 18.06.2021 - 11:37

Unsere Gesellschaft hat ein generelles Problem : die Schwächsten erfahren zu wenig Solidarität von denen die ihnen helfen könnten. Die freiwilligen Helfer sind überfordert, die Politik muss handeln !

Fr., 18.06.2021 - 11:37 Permalink
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Factum Est Fr., 18.06.2021 - 11:44

In der Annahme dass Herr Werner Thomas ein deutscher Bundesbürger ist sollte Er sich umgehend mit der deutschen Botschaft in Verbindung setzten um in sein Heimatland überstellt zu werden. Er wird dort dann sicher mehr begleitende soziale Führsorge finden.
Wir leben zwar in der EU was aber nicht voraussetzt dass man in jedem der Staaten bildungsbedingt leben MUSS.

Fr., 18.06.2021 - 11:44 Permalink
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Profil für Benutzer Massimo Mollica
Massimo Mollica Fr., 18.06.2021 - 19:33

Faccio i migliori auguri al sig. Tomas, che possa vivere tempi migliori. Personalmente non ho la minima speranza nei confronti del genere umano. Nella disgrazia della situazione, chi ha scritto quello che prova si trova comunque in una situazione migliore di altri, che magari hanno una pelle differente o altre origini. A Bolzano ha trovato almeno un posto dove dormire, perché nel resto della provincia sono tutti impegnati a cercare di uccidere lupi e orsi. E lì lo straniero è ben accetto solo se porta soldi, tanti soldi. Per quanto imperfetta grazie Bolzano Bozen.

Fr., 18.06.2021 - 19:33 Permalink