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Das Verschwinden einer Seemacht

Der 25. Juni ist der Internationale Tag der Seefahrt. Grund genug ausnahmsweise nach Österreich zu schippern.
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Foto: Edition Winkler-Hermaden

Österreich und Ungarn gehören zu den Binnenstaaten Europas. Erstaunlich, dass sie, als sie noch ein gemeinsames Reich bildeten, die achtgrößte Seemacht der Erde stellten. Auch über Häfen verfügten sie: Triest und Rijeka (italienisch: Fiume) für die Handels-, Pula (Pola) und Kotor (Cattaro) für die Kriegsflotte. Der Umstand, dass Österreichs Marine Pula als Standort auswählte, verhalf dem Tausendseelenfischerdorf an der Südspitze Istriens zu ungeahntem Aufschwung. Binnen weniger Jahrzehnte wuchs die Einwohnerzahl auf jene rund 60 000, welche die schmucke Halbinselmetropole auch aktuell aufweist. Sämtliche Prachtbauten dienten wie die komplette Infrastruktur rein militärischen Zwecken. Heute erfreuen sie die Touristen und lassen etwas von dem mondänen Glanz wiederaufleben, den Pula einst ausströmte. Auch Straßennamen wie Arsenalska stehen für das k. u. k. Erbe aus Werften und Waffenkammern, Kasernen, Kontoren und Offizierskasinos.
Felix Austria war erst spät zur Seemacht geworden; der Status wie gehabt kein erworbener. Diesmal wurde jedoch nicht von einer Heirat profitiert, sondern einer Erbschaft: Im Frieden von Campo Formio 1797 fiel den Habsburgern die komplette venezianische Flotte in den Schoß. Viel Freude hatten sie in Wien zunächst nicht an diesem Geschenk. Die bürgerliche Revolution entwickelte sich in Italien zu einer nationalistischen. Bald meuterten auch die fast ausschließlich italienischen Schiffsbesatzungen gegen Habsburg. Erst in der Schlacht von Novara am ersten Frühlingstag 1849 rettete der siegreiche Feldmarschall Josef Wenzel von Radetzky dem gerade auf den Thron gestiegenen Kaiser Franz Joseph Front und Flotte. Novara sollte schließlich auch Pate für den Aufschwung stehen, den die von Italienern bereinigte und mit Truppen aus allen Teilen der Doppelmonarchie aufgefüllte Marine künftig nehmen sollte. 

In den Friedensverträgen von Saint Germain und Trianon wurde die k.u.k. Flotte aufgelöst und die Schiffe, die so vielen Gefahren getrotzt und Angriffen entkommen waren, den Siegermächten Italien, Frankreich und Großbritannien übergeben.

Erstmals von sich reden machte die Macht in spe durch eine Weltumrundung. Von Triest aus segelte die Novara im Frühjahr 1857 los, zunächst nach Westen bis Gibraltar, dann mit Kurs auf das südliche Afrika, durch den Indischen, Pazifischen und ab dem Kap Hoorn auch Atlantischen Ozean wieder zurück ins Mittelmeer. Es war eine gefeierte Heimkehr. Triest als symbolisches Tor zur Welt hatte damit Venedig als adriatischem Haupthafen endgültig den Rang abgelaufen. 
Es gab auch Rückschläge. Ein Jahrzehnt nach dem hoffnungsvollen Aufbruch kehrte die Novara mit einer traurigen Last nach Triest zurück. An Bord war die Leiche von Erzherzog Maximilian. Franz Josephs jüngerer Bruder hatte hinter dem Erstgeborenen zurückstecken müssen, dafür aber auf abenteuerlichen Umwegen im Dienst der Großmacht Frankreich einen anderen Thron okkupiert: den von Mexiko. Bald war Mexiko wieder Republik und Maximilian tot, füsiliert von einem Exekutionskommando auf Betreiben der nationalbürgerlichen Revolutionäre unter Benito Juárez. In seinem Schloss Miramare nördlich von Triest fand Maximilian, der sich sehr um den Ausbau der Flotte verdient gemacht hatte, seine letzte Ruhe. 
Kurz zuvor hatte die noch junge Marine eine ernsthafte militärische Prüfung bestanden. Vor der Adriainsel Lissa triumphierte die österreichische Flotte unter Konteradmiral Wilhelm von Tegetthoff, einem gebürtigen Untersteirer, über die italienische. Es war die größte maritime Schlacht seit Trafalgar und für die k. u. k. Seemacht nicht nur die erste, sondern auch die letzte; ein Umstand, der sie auch Kriegsgegnern sympathisch machen müsste. 
In der Folge fehlte es einfach an den ganz großen belliziösen Herausforderungen. Im Ersten Weltkrieg war die Flotte durch die Seesperre von Otranto in der Osthälfte der Adria eingesperrt; ähnlich dem Verbündeten Deutschland, der aufgrund der Atlantikblockade den großen Teich nur noch unterseeisch befahren konnte –  was wiederum indirekt mittels Versenkung des US-Schiffes Lusitania durch ein deutsches U-Boot zum ausschlaggebenden Kriegseintritt der Vereinigten Staaten führte. Im Mittelmeer hielt die k.u.k. Marine allen Herausforderungen stand, verhinderte Angriffe französischer und italienischer Schiffe auf die Küste und sorgte dafür, dass die Adria ein durch und durch kaiserlich-königliches Meer blieb. Es kam zwar noch zu einzelnen Gefechten, auch größeren, doch hielten sich die Verluste trotz teilweise starker feindlicher Übermacht in Grenzen.   


In den Friedensverträgen von Saint Germain und Trianon wurde die k.u.k. Flotte aufgelöst und die Schiffe, die so vielen Gefahren getrotzt und Angriffen entkommen waren, den Siegermächten Italien, Frankreich und Großbritannien übergeben. Sinnbildlich für den Zerfall war die Versenkung der Viribus Unitis durch einen Sprengstoffanschlag italienischer Kampftaucher, die den Auftrag hatten, die geplante  friedliche Übergabe des Flaggschiffs an den im Entstehen begriffenen jugoslawischen SHS-Staat zu verhindern. Die neue Großmacht Italien, im Weltkrieg nur durch glückliche Umstände halbwegs ungeschoren davongekommen, duldete in der Adria keine Konkurrenz mehr.

Es ist ein sehr vergnüglicher Ausflug mit Bildungscharakter...

In seinem Buch Österreichs Kriegsmarine beschreibt Wilhelm Donko das „erstaunlich unspektakuläre Verschwinden einer Seemacht“. Der Autor fragt sich, ob die gigantische maritime Anstrengung „ihr Geld überhaupt wert, das heißt die beachtlichen Mittel gerechtfertigt, die in den Bau der Flotte geflossen waren?“ Donko ist souverän genug, die Antwort dem Leser zu überlassen. Zuvor führt er ihn in Die Welt von gestern des auch von ihm offenbar gern zitierten Stefan Zweig. Es ist ein sehr vergnüglicher Ausflug mit Bildungscharakter, in dem Donko nicht weniger unterhaltsam als lehrreich schildert, wie der Mikrokosmos Marine als repräsentativer Teil des großen Ganzen, sprich: k.u.k. Imperiums funktionieren konnte. 
Donko ist laut Verlagnotiz aktuell Botschafter Österreichs in Norwegen. Sein Dienstsitz liegt direkt am Oslofjord, und wenn er bei klarem Wetter aus dem Fenster schaut, müsste er theoretisch bis zur Festung Oscarsborg blicken können. Deren damals schon altersschwache Batterien landeten im April 1940 einen Volltreffer, als im Vorfeld der deutschen Invasion Norwegens der Schwere Kreuzer Blücher in den Fjord eingefahren war, um die norwegische Regierung zu verhaften. Das Schiff sank sehr rasch und liegt noch heute dort auf Grund. Ironie der Geschichte: Am Ende war die Blücher ein Opfer deutscher Wertarbeit (und norwegischen Heldenmuts) geworden, denn die Firma Krupp hatte die unverwüstlichen Kanonen anno 1893 nach Oscarsborg geliefert. In der Folge konnte das komplette Kabinett von Ministerpräsident Johan Nygaardsvold zunächst per Zug, dann mit dem Schiff nach England fliehen, um von dort aus den Widerstand gegen die Okkupation zu organisieren. Aber das ist eine andere Geschichte. Wäre es nicht schön, wenn Donko sie uns ebenfalls erzählen und in der Edition Winkler-Hermaden publizieren würde?    

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a richter Sa., 26.06.2021 - 18:12

Na ja, alles ist relativ und ein bisschen Nationalstolz ist auch richtig.
Auf jedem Fall ist in jedem Krieg die Wahrheit immer das erste Opfer

Das Eingeschlossen sein der KuK Kriegsmarine in der östlichen Adria durch die Sperre von Otranto war nich eine Heldentat. Die Kriegsmarine wurde ja so ausser Gefecht gesetzt und die schoene Szent Istvan, Stolz der Flotte bei einem Durchbruchversuch versenkt

Sa., 26.06.2021 - 18:12 Permalink
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Quo Vadis Südtirol Mo., 28.06.2021 - 21:13

Komplimente für solche Beiträge, die für ein besseres Geschichtsbewustssein gut täten, würden sie bloß von mehreren Leuten gelesen. Denn meine Erfahrung ist, dass die (allermeisten) Südtiroler keinen Bezug zur Geschichte haben und wesentliche Dinge nicht wissen oder durcheinander bringen. Dies reicht teilweise sogar so weit, dass durch die mittlerweile immer stärker stattfindende Identifikation mit dem Staatsvolk Österreich als das Fremde empfunden wird und Italien als "Vaterland". So hört in den Köpfen so vieler Südtiroler das Pustertal bei der Staatsgrenze auf und nicht etwa in Lienz, sind sogar überrascht, wie es denn sein kann, dass es "auch noch da drüben" gleich heißt... während auf der anderen Seite es als selbstverständlich genommen wird, "Sizilien" (nichts gegen diese wunderbare Insel) als Teil des Eigenen gesehen wird. Wird diese Denkweise Allgemeingut (ist sie es bereits?), dann hat die Autonomie ausgedient, die Legitimation dafür kommt abhanden.

Mo., 28.06.2021 - 21:13 Permalink