Gesellschaft | Interview

„Etwas, was uns noch lange bewegen wird“

Mathilde Schwabeneder leitete das ORF-Studio in Rom, wurde zur Vorsitzenden von „SOS Menschenrechte“ gewählt – und schreibt seit Kurzem für salto als Kolumnistin.
Schwabeneder. Mathilde
Foto: Privat

salto.bz: Frau Schwabeneder, Sie haben 25 Jahre in Rom gelebt, und für den ORF unter anderem aus Italien und dem Vatikan berichtet. Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer „zweiten Heimat“?

Mathilde Schwabeneder: Ich würde das gar nicht als zweite Heimat bezeichnen, sondern ich fühle mich sowohl in Italien, wie auch in Österreich zuhause. Das Verhältnis ist nur leider durch die  Coronapandemie ein gestörtes – ich war seit meiner Übersiedelung nicht mehr in Rom, und das tut mir sehr leid.

Und ihr Verhältnis zu Südtirol?

Ich habe immer wieder einmal über Südtirol oder aus Südtirol berichtet. Der ORF hat ja in Italien – wie sonst in keinem anderen Land – zwei Standbeine. Es gibt das Korrespondentenbüro in Rom und das ORF-Landesstudio Südtirol. Insofern habe ich immer wieder mal beruflich mit Südtirol zu tun gehabt. Auf der persönlichen Seite bin ich immer wieder gerne in Südtirol, es ist ein wunderschönes Land. Aber auch hier kann ich im Moment nicht hin.

Ich habe immer einen höllischen Respekt vor dem geschriebenen Wort gehabt.

Zwei Motive, die sich immer wieder durch Ihre Berichterstattung und Ihre Bücher ziehen sind die Ungerechtigkeit und der Mut, sich dagegen aufzulehnen. Sie kommen vor, wenn sie über Menschen berichten, die gegen die Mafia kämpfen, aber auch wenn sie zum Thema Migration schreiben. Warum liegt Ihnen das am Herzen?

Das hängt sicherlich auch mit meiner Kindheit und mit meiner Erziehung zusammen. Meine Eltern, speziell meine Mutter, haben sehr viel Wert gelegt auf Respekt vor den anderen oder dem Anderen, und auch auf dieses Gespür für soziale Gerechtigkeit. In meiner Jugendzeit hat das außerdem den Zeitgeist geprägt, in den 70er und 80er Jahren waren die vielen Diktaturen in Lateinamerika, die Thema waren in Europa präsent. Das hat sicherlich auch bei mir viel bewirkt.

Haben Sie das Gefühl, als Journalistin einen positiven Beitrag leisten zu können?

Ich glaube schon. Man kann die Welt nicht verändern, aber im Kleinen kann man schon was verändern. Als ich 2015 mit meinem Kollegen aus Ägypten das Buch „Auf der Flucht“ geschrieben habe, hatten wir viele Buchpräsentationen und Begegnungen. Da habe ich erfahren, dass man Diskussionen anregen kann; und dass man Menschen zum Nachdenken bringen kann. Viele Male haben sich Menschen bei mir persönlich bedankt und haben gesagt: Sie haben mir geholfen, Argumente in meiner Familie oder Bekanntenkreis zu bringen, und zu meinen eigenen Ansichten zu stehen. Oder sie haben gesagt: Ich habe jetzt einen ganz anderen Blick auf das Thema.

 

Gerade wurden Sie zur neuen Vorsitzenden des österreichischen Vereins „SOS Menschenrechte“ gewählt. Glauben Sie, so mehr mitzugestalten zu können im Vergleich zu ihrer Schreibenden Tätigkeit?

Es ist ein anderer Zugang, aber dasselbe Thema. Mir liegt am Herzen, dass man die Menschenrechte und die Geflüchteten nicht vergisst. Weil genau diesen Eindruck hatte ich: In Zeiten der Pandemie und des Lockdowns ist das Thema sehr in den Hintergrund geraten. Aber die Menschen machen sich trotzdem auf dem Weg, das haben wir ja jetzt laufend gesehen. Das ist etwas, was uns noch lange Zeit bewegen wird.

Mir liegt am Herzen, dass man die Geflüchteten nicht vergisst. In Zeiten der Pandemie  ist das Thema sehr in den Hintergrund geraten. Aber die Menschen machen sich trotzdem auf dem Weg

Sie sprechen sich für „humanitäre Korridore“ und die geordnete Aufnahme Geflüchteter in Österreich aus. Geht mit humanitärer Flüchtlingsaufnahme auch strengeres Durchgreifen bei illegaler Migration und Grenzkontrolle einher?

Die humanitären Korridore habe ich in Italien kennengelernt, da war ich in der Anfangsphase als Journalistin dabei. Ich finde, das ist ein guter Weg, um schutzbedürftige Menschen, legal, ohne, dass sie sich großen Gefahren aussetzen müssen, nach Europa zu bringen. Härtere Vorgangsweisen...wenn Sie die Rückschiebungen meinen: Nein.

Dabei ist die Debatte sehr polarisiert, moderate Positionen finden kaum Platz. Sobald sich jemand für Obergrenzen ausspricht, wird er schnell in die rechte Ecke gedrängt.

Diese Thematik wird schnell politisch missbraucht, ja. Ich denke, niemand redet einem ungezügelten Zuzug das Wort. Auch Menschen, die sich für Aufnahme aussprechen, sagen nicht: Wir machen die Grenzen für alle und jeden auf. Das ist unrealistisch, wir brauchen eine Art von geregelter Aufnahme.

Wie bewerten Sie den Umgang Europas mit Migration?

Wir haben eine relativ gute Gesetzgebung, auch auf der europäischen Ebene; es muss nur alles von allen umgesetzt werden. Was auch nicht geht: Dass man Italien mit dieser Frage allein lässt. Das hört man in Mitteleuropa nicht so gern, aber de facto ist das so.

Als Journalistin kann man die Welt nicht verändern, aber im Kleinen kann man schon was verändern.

Seit letztem Sommer sind Sie in Pension, doch langweilig wird Ihnen sicher nicht. Unter anderem schreiben Sie seit kurzem als Kolumnistin für salto.bz. Wie sind Sie dazu gekommen?

Über meine Beziehungen zu verschiedenen Südtirolern. Ich bin auch schon zu meinem letzten Mafia-Buch von Salto interviewt worden, seither ist es mir ein Begriff. Ich finde es toll, dass es ein Medium gibt, das online ist und daher von überall zugreifbar; aber vor allen Dingen, dass es zweisprachig ist und diese Realität abbildet, die es in Südtirol gibt. Und es ist inhaltlich sehr breit aufgestellt. Das macht mir Freude.

Was darf die Salto-Leserschaft sich von Ihrer Kolumne erwarten?

Als Leiterin des ORF-Korrespondentenbüros habe ich natürlich über alle Themen berichtet, die mit Italien zu tun haben, auch über den Vatikan und Malta. Man bekommt Einblick in viele verschiedene Realitäten – dieses gesamte Spektrum kann ich als Journalistin einbringen. In Bezug auf Salto können Dinge besonders relevant sein, die mit Italien und mit Südtirol zu tun haben, Stichwort: Mafia. Aber auch der Vatikan, wo ich gesehen habe: Da ist nicht ganz so viel abgedeckt.

Sie kommen aus dem Hör- und Rundfunk. Ist es seltsam, jetzt für ein lesendes, statt ein hörendes oder zusehendes Publikum zu schreiben?

Es ist eine andere Ebene, aber für mich eine faszinierende. Ich habe ein Romanistikstudium absolviert, das heißt ich komme von der Seite der Literatur, und habe immer einen höllischen Respekt vor dem geschriebenen Wort gehabt. Das hängt vielleicht mit meiner Generation zusammen, da hat das geschrieben Wort ein unglaubliches Gewicht.

Heute ist es nicht mehr so?

Ein bisschen hat sich das, glaube ich, verändert. Auch durch die sozialen Medien. Man sieht ja auch wie sich die Sprache verändert, verkürzt. Da ist schon einiges im Gange. Aber bei mir war der Respekt ein Grund, warum ich so lange kein Buch veröffentlicht habe. Ich wurde schon öfter versucht zu überreden, aber ich habe mich irgendwie lange nicht getraut.

 

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Karl Trojer Di., 13.07.2021 - 10:12

vor allem dürften in Europa angekommene Flüchlinge nicht wieder zurückgeschickt werden, wie es letztlich absuder Weise mit SchülerInnen in Österreich geschah !

Di., 13.07.2021 - 10:12 Permalink
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Quo Vadis Südtirol Di., 13.07.2021 - 12:37

Ich freu mich auf jeden Fall über die Beiträge von Frau Schwabeneder. Aber mit Verlaub, brauchen wir wirklich noch mehr Berichte mit „…In Bezug auf Salto können Dinge besonders relevant sein, die mit Italien und mit Südtirol zu tun haben, Stichwort: Mafia. …“? Ist Südtirol nicht schon viel zu viel italienbzogen, brauchen wir nicht Inputs und mehr Information von anderen Ländern und Regionen? So stelle ich oft mit Erstaunen fest, wie wenig die Südtiroler zum Beispiel von ihrem unmittelbaren Nachbarn Graubünden kennen. Dabei wäre Graubünden gerade für Südtirol hochspannend, ist es doch dreisprachig.

Di., 13.07.2021 - 12:37 Permalink