Politik | Interview

"Sonst geht dieses Theater ewig weiter"

Julia Unterberger hat mit ihrer Stimme eine Aufschiebung der Legge "Zan" im Senat verhindert. Mit Salto.bz spricht sie über Lösungsvorschläge und das politische Theater.
Unterberger, Julia
Foto: salto

Seit dieser Woche wird das umstrittene Anti-Diskriminierungsgesetz (Ddl Zan) im italienischen Senat behandelt. Bis dato wurden bereits drei Anläufe unternommen, um die weitere Behandlung des Gesetzesentwurfs zu stoppen oder zumindest bis auf Weiteres aufzuschieben. Die dritte Abstimmung zur Aufschiebung des Gesetzes wurde mit 164 Ja-Stimmen zu 165 Nein-Stimmen abgelehnt. Eine der Nein-Stimmen war jene der SVP-Senatorin Julia Unterberger, die sich klar für das Gesetz ausspricht und sich damit gegen die Position ihrer Parteikollegen im Senat stellt.

 

Salto.bz: Frau Unterberger, anders als ihre Partei- und Senatskollegen Meinhard Durnwalder und Dieter Steger, sprechen Sie sich für den von Alessandro Zan eingebrachten Gesetzesentwurf zum Schutz gegen Diskriminierung aus. Warum?

Julia Unterberger: Der Gesetzesentwurf erweitert die in der Legge Mancino vorgesehenen Straftat der Anstiftung zu Gewalt, Hass und Diskriminierung aus rassistischen, religiösen und ethnischen Gründen auf andere von Gewalt und Diskriminierung betroffene Gruppierungen: Frauen, Homosexuelle, Transsexuelle und Menschen mit Beeinträchtigungen beispielsweise; auf all jene die “anders” sind und deshalb von Diskriminierung und Hassdelikten betroffen sind.

Inwiefern ist der Gesetzesentwurf mehr als eine bloße Erweiterung des Anti-Diskriminierungsgesetzes aus dem Jahr 1993?

Gesetzgebung gegen Hass gibt es in ganz Europa unter verschiedenen Namen und in unterschiedlichen Formulierungen. Manche zählen die betroffenen Personengruppen genau auf. Andere sind generell formuliert. Der eingebrachte Gesetzesentwurf ist eine Möglichkeit, so ein Hassdelikt zu gestalten. Dasselbe Ziel kann aber auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Viele linke Politiker sind aber darauf fixiert, den Gesetzesentwurf genau so, wie er ist, in ein Gesetz umzuwandeln.

 

Sie befürchten, dass dann jeder jederzeit das Geschlecht ändern könnte und somit Frauenquoten oder getrennte Toiletten obsolet würden. So sehen das auch meine Kollegen. Das ist blanker Unsinn. 

 

Sie beziehen sich hier auf den Begriff “identità di genere”, der im rechten Lager verschmäht, im linken Lager jedoch unbedingt beibehalten werden soll?

Ja, die Rechten sehen bei diesem Begriff die von Gott gegebene Differenzierung zwischen Mann und Frau in Gefahr. Sie befürchten, dass dann jeder jederzeit das Geschlecht ändern könnte und somit Frauenquoten oder getrennte Toiletten obsolet würden. So sehen das auch meine Kollegen. Das ist blanker Unsinn. Eine Geschlechtsumwandlung sieht ein langwieriges Gerichtsverfahren vor. Aber: Wenn der Begriff “identità di genere” ein rotes Tuch für das rechte Lager darstellt, muss eine Lösung gefunden werden, die den Begriff umschreibt, jedoch denselben Schutz für Menschen bietet, die sich entgegen ihrem biologischen Geschlecht als Mann oder Frau identifizieren. Bei allen vorbehalten: Matteo Salvini hat ausdrücklich gesagt, dass er mit dem Schutz aller diskriminierten Bevölkerungsgruppen einverstanden ist, das Wort “identità di genere” jedoch nicht akzeptieren kann. Die Linken sollten die Größe zeigen, das Wort herauszunehmen, während das Konzept beibehalten wird.

Wer würde durch so eine Änderung vom Schutz gegen Diskriminierung ausgeschlossen?

Niemand. An der Substanz ändert sich nichts. Die Linken können nicht behaupten, dass der Schutz der diskriminierten Gruppen von der Einführung des Begriffs “identità di genere” abhängt.

Was ist mit dem Schutz jener Menschen, die sich entgegen ihr biologisches Geschlecht als Mann oder Frau fühlen, dieses Gefühl jedoch ohne eine Geschlechtsumwandlung ausleben?

Die sind auch mit anderen Formulierungen geschützt. Die Rechten haben einen erstaunlich guten Vorschlag eingebracht: Jede Person soll vor Diskriminierung aufgrund von “sesso und genere”, also aufgrund des biologischen und kulturellen Geschlechts, geschützt werden. Ich mache Ihnen ein konkretes Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Mann wird angegriffen, weil er Frauenkleider trägt. Das ist eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und wird im Rahmen dieses Gesetzes auch ohne den Begriff “identità di genere” als solche gewertet. Ratio und Grund des Gesetzes bestehen darin, Menschen vor Diskriminierung zu schützen. Ohne diesen Begriff ändert sich an der Substanz des Gesetzes nichts.

 

Das Problem ist, dass die Linksparteien die Rechten dazu bringen wollen, das Konzept der Geschlechterfluidität zu akzeptieren.

 

Warum hält man dann so vehement an diesem Begriff fest? 

Das Problem ist, dass die Linksparteien die Rechten dazu bringen wollen, das Konzept der Geschlechterfluidität zu akzeptieren. Die Rechten wollen dieses Konzept aber nicht akzeptieren. Die Frage ist: Versenke ich das Gesetz gegen Diskriminierung, um diese Diskussion zu führen? Meiner Meinung nach muss diese Diskussion nicht im Rahmen dieses Gesetzesentwurfes geführt werden. Es könnte hingegen, wie es in anderen Staaten der Fall ist, ein Gesetzesvorschlag zur Einführung des dritten Geschlechts eingebracht werden.

Die Debatte um den Begriff der Genderidentität ist nur ein Teil der Kritik, die an diesem Gesetzesentwurf geäußert wird. Ein anderer Kritikpunkt trifft den Artikel vier, der die Meinungsfreiheit schützen soll, nun aber als Vorstoß gegen die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit gewertet wird.

Der Artikel vier wurde eingeführt, um die Vertreter des rechten Lagers zu beruhigen: Die freie Meinungsäußerung ohne Aufruf zu Diskriminierung, Hass und Gewalt ist keine Straftat. Nun wird reklamiert, dass dieser Artikel das von der Verfassung garantierte Recht auf Meinungsfreiheit schwächt. Wenn das so ist, können wir den Artikel ganz einfach wieder streichen.

 

Es ist nicht so schwer zu verstehen, wann etwas eine objektive Meinung ist und wann ein Aufruf zu Gewalt oder Hass.

 

Der Artikel versucht eine klare Linie zwischen Meinungsfreiheit und Diskriminierung zu ziehen. Kann hier eine präzise Linie gezogen werden?

Es gibt kein Gesetz, das nicht durch die Gerichte mit Inhalt gefüllt wird. Gesetze sind eine abstrakte Schublade, den Inhalt liefern die Gerichte. Wie sich aus Präzedenzfällen zeigt, sind die Gerichte häufig viel fortschrittlicher als der Gesetzgeber selbst. Deshalb glaube ich nicht, dass die Interpretation in Bezug auf die Legge-Zan in die falsche Richtung gehen würde.

Es könnte aber sein, dass sich gewisse Parlamentarier durch das, was Sie “fortschrittliche Interpretation des Gesetzes” nennen, in ihrem Verständnis von Meinungsfreiheit angegriffen fühlen.

Es ist nicht so schwer zu verstehen, wann etwas eine objektive Meinung ist und wann ein Aufruf zu Gewalt oder Hass. Jene Stimmen, die hier laut werden, sind auch jene, die den Unterschied zwischen sexueller Belästigung und Galanterie verkennen; die sagen: Wir wissen nicht mehr, wo die sexuelle Belästigung anfängt und die Galanterie aufhört. Das ist die Sorge von Menschen ohne einen Moralkodex. Aber wie gesagt, ich bin dafür, den Artikel zu streichen. Die Meinungsfreiheit wird von der Verfassung garantiert. Aufrufe zu Hass und Hetze werden hingegen unter Strafe gestellt. Ich habe hier überhaupt keine Bedenken, dass es zu Fehlinterpretationen kommen könnte.

Der Gesetzesentwurf sieht zudem vor, dass ein Tag gegen Homo- und Transphobie eingeführt werden soll, der auch an den Schulen thematisiert wird. Inwiefern stellt diese Forderung – wie unter anderem der Vatikan argumentierte und verschiedene rechte Politiker unterstreichen – die Schulautonomie in Frage?

Überhaupt nicht. Inzwischen gibt es Tage für fast alles. In Zukunft soll es einen zusätzlichen Tag gegen Homo- und Transphobie geben. Jede Schule wird sich darum bemühen, im Rahmen ihrer Autonomie zur Sensibilisierung zu diesem Thema beizutragen. Die Einbringer des Gesetzes haben die Autonomie der Schulen von Anfang an betont. Diese könnte ganz einfach im Gesetz explizit präzisiert werden.

Ihre Parteikollegen haben gestern für eine Aufschiebung der Diskussion im Senat gestimmt, um – wie sie sagen, Zeit für eine Kompromisslösung zu finden. Warum haben sie gegen diese Aufschiebung gestimmt?

Ich stimme mit den Linksparteien. Ich bin grundsätzlich für das Zan-Gesetz, sie sind grundsätzlich dagegen. Eine weitere Aufschiebung ist nicht nötig, im Gegenteil. Je näher wir ans Datum der Abstimmung rücken, desto mehr sind die Parteien dazu gezwungen, einen Kompromiss zu finden. Durch eine Aufschiebung geht dieses Theater ewig weiter. Vor allem für die betroffenen Personen sind das vergiftete Diskussionsklima und die teilweise total absurden Diskussionen schlimm. Bei der Diskussion um theoretische Haarspaltereien wird oft das Wohl jener Personen, die man eigentlich schützen will, vergessen. Von einer Aufschiebung halte ich allein deswegen rein gar nichts.

 

Auch am Stammtisch soll nicht jede verbale Verirrung erlaubt sein.

 

Um Gewalt und Diskriminierung gegen unter anderem homo- oder transsexuelle Menschen zu unterbinden, braucht es vor allem einen kulturellen Wandel. Inwiefern kann ein Gesetz zur Lösung des Problems beitragen?

Ein Straftatbestand ist der Ausdruck dessen, was eine Gesellschaft für besonders verurteilenswert hält. Der Aufruf zu Hass gegen Personengruppen wie Homosexuelle oder Frauen ist zur Zeit keine Straftat. Ich möchte, dass es sich das ändert. Unter anderem auch, um Hass Orgien im Netz zu verbieten. Und auch am Stammtisch soll nicht jede verbale Verirrung erlaubt sein.

Ich kann mir vorstellen, dass einige bestimmte Aussagen lieber verharmlosen als verurteilen würden. 

Hier muss ein eindeutiges Zeichen gesetzt werden. Die beste Lösung wäre es, wenn sich rechts und links an einen Tisch setzen würden, um gemeinsam einen Kompromiss auszuarbeiten, der die Diskriminierung aller Gruppen verurteilt. Das wäre eine klare Botschaft an alle und würde die größtmögliche gesellschaftliche Wirkung haben. Dieser Lösung steht ein einziges Wort im Weg. Man kann auf ein Wort verzichten, ohne auf das Konzept zu verzichten. Ich fungiere im Moment als Brückenbauerin zwischen links und rechts und wurde von mehreren Seiten gebeten, zu vermitteln. Daher habe ich Abänderungsanträge eingebracht, die vielleicht dazu beitragen können, eine Lösung zu finden.

 

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Sebastian Felderer Do., 15.07.2021 - 20:19

Für mich ist dieses ganze Antidiskriminierungsgesetz ein leeres Theater, das nur dazu dient, die Anschauung der Rechten gegen jene der Linken auszuspielen. Wir haben Wichtigeres zu lösen in Italien und Hass ist immer Hass, ob in dieser oder jener Form und gegen wen auch immer. Wenn Hass in Gewalt umschlägt, ist es eine Straftat, da braucht es kein Antidiskriminierungsgesetz. Es wird mit Italien nie aufwärts gehen, solange sich Parlament und Regierung mit solchen Problemen herumschlagen. Ich glaube aber, viele Abgeordnete sind für Besseres einfach nicht qualifiziert. Und zudem ist das Leben für viele einfach nur Theater. Und die Akteure sind gut bezahlt.

Do., 15.07.2021 - 20:19 Permalink
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R K Fr., 16.07.2021 - 06:59

Antwort auf von Sebastian Felderer

Sehr geehrter Herr Felderer,

ich teile Ihre Auffassung überhaupt nicht und halte es für sehr schwierig, mit Diskriminierung so umzugehen.
Ich frage mich ernsthaft, ob Sie sich mit diesem Thema jemals wirklich beschäftigt haben.

1. Selbstverständlich wird insbesondere körperliche Gewalt geahndet. Jedoch soll völlig zurecht eben auch Diskriminierung und Hass geahndet werden. Dies kann auch psychische Gewalt sein und durchzieht unsere Gesellschaft.
Einfach pauschal zu unterstellen, der bestehende gesetzliche Schutz sei ausreichend, kann ich demnach so nicht gelten lassen.

2. Ihre Argumentation ist ein geradezu exemplarischer Whataboutism: Sie diskreditieren die Notwenigkeit einer solchen gesetzlichen Grundlage damit, dass es ja ohnehin viel wichtigeres Gäbe und die Republik Italien nicht vorankäme, wenn man sich mit solchen Dingen aufhalte. Im Übrigen zeigen Sie das auch dadurch, dass es Ihrer Ansicht nach keine besondere Qualifikation brauche, ein solches Gesetz zu erlassen.
Zunächst einmal ist das Parlament durchaus in der Lage, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, auch wenn medial ein bestimmtes Gesetz im Blickpunkt steht.
Weiterhin ist dieses Gesetz ein Fortschritt für dieses Land, im Übrigen auch für Südtirol. Nach Fortschritt streben doch auch Sie.
Im Übrigen lässt sich immer behaupten, dass es wichtigeres gäbe, so funktioniert eine Demokratie eben nicht, man muss sich um viele Belange kümmern.

3. Ihre letzte Bemerkung ist an Populismus nicht zu übertreffen. Es ist eigentlich win Widerspruch an sich, dass Sie einerseits sagen, das Parlament bringe mit einem solchen Gesetz nichts voran, andererseits aber über die Qualifikation der Abgeordneten sprechen möchten - bringt uns denn diese Diskussion denn weiter?

Fr., 16.07.2021 - 06:59 Permalink
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Michael Bockhorni Sa., 17.07.2021 - 08:53

es gibt vielfaltigste Varianten von Diskriminierung ohne Gewalt oder Hass, aber dennoch mit schlimmen Auswirkungen für die betroffenen Menschen. Wie eine Gesellschaft mit Abweichungen von der Mehrheit (und von ihr aufgestellten Normen) umgeht sollte gerade in Südtirol nicht als unwichtig abgetan werden.

Sa., 17.07.2021 - 08:53 Permalink