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Geisterfahrer aus Trient

Zwei Wochen bleibt Zeit, um das Schreckgespenst Ausschreibung der A22-Konzession zu verjagen. Südtirol steht alleine da. Manche sehen das Ende der Region nahen.
A22
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser

“Es wird nicht die Schuld von Arno gewesen sein.” Seine Vertrauten nehmen den Landeshauptmann in Schutz. Und doch: Tritt der Super-GAU, der sich aus dem Süden anbahnt, tatsächlich ein, wird sich Arno Kompatscher vorhalten lassen müssen, dass er es auch nicht geschafft hat, ihn zu verhindern. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es zu einer europaweiten Ausschreibung der A22-Konzession kommt. Am 30. April 2014 ist sie verfallen und seither immer wieder verlängert worden. Aktueller Stichtag ist der 31. Juli. Und es dürfte der letzte gewesen sein. “Eine Ausschreibung wäre das Ende der Region”, heißt es aus dem Umfeld des Landeshauptmannes. Und der Schuldige – darin ist man sich sogar mit der Opposition einig – sitzt in Trient. “Maurizio Fugatti schaut nach Süden, nicht nach Norden”, so ein Vorwurf, der aus den Reihen der SVP kommt. Der Trentiner Landeshauptmann und aktuelle Präsident der Region gilt seit Langem als Fürsprecher der Interessen der öffentlichen und privaten A22-Gesellschafter aus dem Veneto. Er sei ein Handlanger des dortigen Präsidenten der Region, seines Parteikollegen Luca Zaia, kritisieren Fugattis Gegner. Doch auch die SVP kommt der Lega, mit der man selbst regiert, offensichtlich nicht bei.

 

Riss durch die Region

 

“Die Region hat sich stark für die Erneuerung der A22-Konzession eingesetzt. Entgegen der kolportierten Meldungen haben die beiden Provinzen hier zusammengehalten.” Das sagte Maurizio Fugatti am 25. Juni im Regionalrat, als er von Arno Kompatscher das Amt des Präsidenten der Region übernahm. Ebendort, im Regionalrat, wurde nur ein halbes Jahr zuvor ein Antrag von Team K angenommen, der die Regionalregierung verpflichtet, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um die Inhouse-Gesellschaft für die Führung der A22, der Brennerautobahn, unter Dach und Fach zu bringen.

 

Die Option, dass eine rein öffentliche Inhouse-Gesellschaft, an der alle bisherigen öffentlichen Anteilseigner – Region Trentino-Südtirol, die Autonomen Provinzen Bozen und Trient, die Provinzen Verona, Modena, Reggio Emilia und Mantua, die Gemeinden und die Handelskammern – beteiligt sind, die auf 30 Jahre angelegte A22-Konzession übernehmen soll, wurde 2018 von der Regionalregierung beschlossen. Zwei Tage vor den Landtagswahlen in Südtirol und dem Trentino. Sowohl die EU als auch die Regierung in Rom haben das Vorhaben abgesegnet. Doch mit dem Regierungswechsel in Trient – bei den Wahlen am 21. Oktober 2018 löste Maurizio Fugatti den bis dahin regierenden PATT-Politiker Ugo Rossi ab – zog auch in der Regionalregierung ein anderer Wind auf.

“Während die Provinz Bozen stets bemüht war, den Weg der rein öffentlichen Inhouse-Gesellschaft zu beschreiten, hat die Provinz Trient unter Landeshauptmann Fugatti zusammen mit den Gesellschaftern von außerhalb der Region auf eine Erteilung der Konzessionsverlängerung an die aktuelle Gesellschaft hingearbeitet.” So heißt es in dem im Dezember 2020 vom Regionalrat genehmigten Antrag, der Fugattis Worte von vor wenigen Wochen Lügen straft. Von Einigkeit und Zusammenhalt zwischen Bozen und Trient könne keine Rede sein, bestätigen so gut wie alle, die hinter den Kulissen für die Inhouse-Lösung arbeiten.

 

Südtirol und Trentino halten eine Aktienmehrheit von 53,71% an der A22-Gesellschaft:
  • Region Trentino-Südtirol: 32,29%
  • Autonome Provinz Bozen: 7,63%
  • Autonome Provinz Trient: 5,34%
  • Gemeinde Bozen: 4,23%
  • Gemeinde Trient: 4,23%
  • 824.206 Aktien mit einem Wert von 29.794.323,70 Euro

(Infos: Regionale Staatsanwaltschaft am Rechnungshof Trient)

 

Privater Brocken

 

Die Lega (und mit ihr Fugatti) beharrt auf einer Verlängerung der Konzession und stellt sich gegen eine rein öffentlich geführte Inhouse-Gesellschaft. Die EU und auch Rom haben allerdings bereits festgehalten, dass private Gesellschafter – im Falle der A22 sind es vier an der Zahl, die insgesamt 14,1% der Aktien halten – nicht in dieser Inhouse-Gesellschaft verbleiben können. “Fugatti will die Konstruktion Inhouse nicht”, wissen nicht nur die Berater von Arno Kompatscher.

Doch unabhängig von der Lega hat man es bisher nicht geschafft, einen entscheidenden Brocken aus dem Weg zu räumen: Die Auszahlung der privaten Teilhaber gestaltet sich als schwierig. Die Verhandlungen über die Art des Ausstiegs und die Höhe der Auszahlungssumme sind bisher gescheitert. Dazu kommt, dass die Regionale Staatsanwaltschaft beim Rechnungshof in Trient vor Kurzem zum Schluss gekommen ist, dass die Liquidierung der Privaten einen potentiellen Vermögensschaden für die öffentliche Hand darstellt – falls diese für den Ausstieg eine Summe erhalten, die über dem tatsächlichen Wert der von ihnen gehaltenen Aktien liegt. “Die Quantifizierung soll sich nach Parametern richten, die den tatsächlichen aktuellen Wert der Gesellschaft berücksichtigen, abgesehen von eventuellen ‘Prämien’, die den Ausstieg der privaten Gesellschafter erleichtern sollen”, heißt es in dem Bericht des Rechnungshofes. Während der Rechnungshof den Wert des Aktienpakets der privaten Gesellschafter auf 50 bis 70 Millionen Euro beziffert, verlangen diese das Dreifache: 160 Millionen Euro.

 

Mit Konzession gingen Geld und Projekte verloren

 

Bis 31. Juli muss eine Lösung für den Ausstieg der Privaten – als Voraussetzung für die Inhouse-Gesellschaft – gefunden sein. Dieses Ultimatum hat Verkehrsminister Enrico Giovannini Anfang Mai ausgegeben. Der 31. Juli ist in genau zwei Wochen. Eine Lösung ist nach wie vor keine da.

Anfang Juni ließ Landeshauptmann Kompatscher mit einem ungewöhnlichen, aber umso eindringlicheren öffentlichen Appell aufhorchen. Er forderte bei den Konzessionsverhandlungen “die Anstrengung aller Beteiligten”. Zitat: “Es ist an der Zeit, die Pattstellung zwischen den verschiedenen beteiligten Akteuren aufzulösen und aufeinander zuzugehen, um eine Lösung im Sinne der Bevölkerung zu erreichen. Meinungsverschiedenheiten zwischen öffentlichen Institutionen dürfen nicht dazu führen, dass man riskiert, die Führung der wichtigsten Infrastruktur für den italienischen und Südtiroler Export an private und gewinnorientierte Unternehmen zu verlieren.”

 

Kompatscher weiß bestens, was auf dem Spiel steht. Entscheidet sich Minister Giovannini für eine europaweite Ausschreibung der A22-Konzession, gehen Trentino und Südtirol nicht nur 70 bis 80 Millionen Euro der Dividenden, die die A22-Gesellschaft im Jahr erwirtschaftet, durch die Lappen. Sondern es verpuffen auch die Investitionspläne, die an die Inhouse-Konzessionsvergabe gekoppelt sind, wie etwa die Umfahrung von Bozen. “Kein privater Bieter wird die Umfahrung von Bozen bauen”, sagte Karl Zeller bereits 2018. Gerade deshalb sei eine Ausschreibung “ein riesiger Schaden für die öffentliche Hand”. Der Ex-SVP-Senator hat jahrzehntelang für eine öffentlich geführte Brennerautobahn gekämpft. “Unser Angebot bei den Verhandlungen um die Inhouse-Vergabe war, dass, alles, was diese Autobahn erwirtschaftet, in öffentliche Infrastrukturen investiert werden soll – ohne dass Dividenden ausgezahlt werden, wie es das Hauptinteresse eines eines privaten Konzerns ist, der bei einer Ausschreibung mitmacht.” Zeller bestätigt heute seine Befürchtung von damals: “Die bisherigen Vereinbarungen haben vorwiegend Projekte für Bozen und Trient vorgesehen. Eine Ausschreibung würden ziemlich sicher Private gewinnen – Projekte zugunsten der Territorien würde es dann wohl keine mehr geben.”

 

Am Ende nur Trümmer?

 

Wohl nicht ohne Grund hat Kompatscher Anfang Juni “die Anstrengung aller Beteiligten” eingefordert. Diese Woche ist er im Urlaub. Aus seinem Umfeld heißt es: “Die Kontakte mit Minister Giovannini bestehen, und der Landeshauptmann kämpft. Aber wenn Trient nicht mit im Boot ist, wird nicht viel zu machen sein.” Käme es zu einer Ausschreibung und Südtirol und Trentino verlören die Führung der A22, “stünden wir vor einem Trümmerhaufen ohnegleichen”, meint Karl Zeller. In seiner Partei ist auch vom “Ende der Region” die Rede, das mit einer Ausschreibung einhergehe. “Die Brennerautobahn ist die letzte Klammer, die die beiden Provinzen noch verbindet und wo es eine echte Zusammenarbeit braucht.”

Mit einer weiteren Verlängerung der Konzession über den 31. Juli hinaus rechnet niemand mehr. Diese Woche sollte darüber im römischen Parlament abgestimmt werden – im Rahmen der Behandlung des Gesetzesdekrets Sostegni-bis. “Ja, es lag ein Antrag dazu vor”, bestätigt der SVP-Kammerabgeordnete Manfred Schullian. Der aber sei unzulässig gewesen.

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Walter Kircher Sa., 17.07.2021 - 09:26

Ein sehr vielschichtiges Thema!
Sollte Südtirol rausfliegen, - es gibt doch wohl die gesetzlich definierte Schadstoffe-Obergrenze und den für die Gesundheit verantwortlichen Landeshauptmann der den Verkehr dann einbremst!?
Inzwischen ist ja festgelegt, daß die LKW-Lenker durch Drohnen ersetzt werden, - was plant man mit den Anwohnenden ...?

Sa., 17.07.2021 - 09:26 Permalink
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Karl Gudauner Sa., 17.07.2021 - 10:13

Regierungslinie in Rom ist doch, dass die öffentliche Hand das Ruder behält. Solche Lösungen sind zumindest für ILVA, Autobahnnetz und Alitalia angebahnt worden. Es geht wohl darum, wie zwischen den an der A22 beteiligten Regionen eine Übereinkunft gefunden werden kann, die den Einfluss von Trentino und Südtirol zugunsten der Provinzen und Gemeinden von Veneto und Emilia Romagna zurückfährt. Zugeständnisse sind bei einem Kompromiss auch deshalb notwendig, um bisherige Projekte zu retten. Ein objektives Kriterium liegt in der Bewertung, in welchem Ausmaß die A22 die Territorien der verschiedenen Körperschaften betrifft. Aber das könnte bei einem so einträglichen und strategischen Verkehrsprojekt in den Hintergrund geraten.

Sa., 17.07.2021 - 10:13 Permalink
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Karl Trojer Sa., 17.07.2021 - 10:15

Sollte das Verhalten des Präsidenten der Provinz Trient die Privatisierung der A22, mit großen Verlusten für die öffentliche Hand und damit auch für Südtirol, zur Folge haben, dann sollte Südtirol vom Herrn Fugatti Schadenersatz einfordern.
Es gibt die Euregio. Die Region aufzulösen, wäre dann fällig.
Mit einer Privatisierung dürfte wohl auch die Zusage fallen, dass aus den Gewinnen der A22 die neue Brenner-Transittrasse mitfinanziert werden soll, oder ? Müsste Herr Fugatti dann nicht auch für diesen Schaden aufkommen ?

Sa., 17.07.2021 - 10:15 Permalink
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Johannes A. Sa., 17.07.2021 - 11:55

Raus aus dieser Region!

Ich verstehe nicht, warum in Südtirol nicht endlich Konsens darüber herrscht, diesen unsäglichen Käfig namens Region zu verlassen. Die Region hat (fast) keine Kompetenzen, sie ist eine leere Hülse, die nur da ist, um einige Posten unter Politikern zu verteilen. In wichtigen Dingen wird nicht mehr an einem Strang gezogen.

Die Trentiner orientieren sich aufgrund ihrer italienischen Mentalität seit Jahrzehnten Richtung Mailand und Venedig (und leider auch Rom), während wir Südtirol hoffentlich unseren Kompass Richtung Norden beibehalten

Sa., 17.07.2021 - 11:55 Permalink