Gesellschaft | Interview

“Das ist nicht die Lebensart der Jungen”

“Schüler haben während Corona im Bildungssystem am meisten gelitten”, sagt der Vorsitzende des Landesbeirats der Schüler Ivan Gufler. Mit welchen Folgen?
Ivan Gufler
Foto: Privat

Das Wichtigste für Jugendliche sind neue Erfahrungen zu machen, ein eigenes Leben aufzubauen, und das ausprobieren, was einem gefällt. Doch das fehlte während der letzten eineinhalb Jahre vollends. Der Vorsitzende des Landesbeirates der Schüler Ivan Gufler berichtet von den Schwierigkeiten und Hürden, die im vorigen Schuljahr zu meistern waren und ihre Auswirkung.

salto.bz: Was waren die größten Schwierigkeiten, die Ende des Schuljahres 2019/20 und 2020/21 zu meistern waren?

Ivan Gufler: Die größte Herausforderung war natürlich das Unerwartete. Niemand, auch nicht die Schule, war auf so etwas wie die Corona-Pandemie vorbereitet, angefangen bei technischen Ausrüstungen bis hin zum Unterrichtsmodell. Natürlich war die Distanz dabei das größte Problem. Alles fand von einem auf den anderen Tag online statt. Da hat nicht nur der Inhalt der Schulstunden gelitten, sondern vor allem der Kontakt. Denn Schule ist nicht nur für den Unterricht da, sondern auch ein Ort, an dem sich Schüler sich mit Gleichaltrigen austauschen, Freunde sehen und zusammenarbeiten - was wichtig ist und Spaß macht. Doch das ging online nicht mehr.

Schule ist viel mehr als nur Unterricht

Eine wichtige Hilfe bei der Auswahl der späteren Arbeit oder Studiums sind Praktika. Man lernt seine Interessen kennen und kann so einen Einblick in die Arbeitswelt erhaschen. Während des letzten Jahres waren diese Erfahrungen kaum möglich. Wie wirkt sich das aus?

Praktische Erfahrungen tragen wesentlich zur Orientierung bei. Für Jugendliche wäre jetzt die Zeit, auszuprobieren und herausfinden, was einem wirklich gefällt. Das war nicht immer möglich. Besonders Berufsschüler, die z.B. im Bereich Handwerk oder als Friseure tätig sind, waren durch die Lockdowns doppelt belastet: Sie konnten ihre Praktika nicht absolvieren. Das war natürlich ein großes Problem, da so auch ihre Ausbildung auf Eis gelegt wurde.  
Außerdem gab es gewisse Unklarheiten, die zu Unverständnis geführt haben. Im Herbst hat es die Möglichkeit gegeben, einige Praktika zu absolvieren. Im Februar nicht mehr – warum, weiß keiner so genau. Wen wundert es, dass das Vertrauen in die Landesregierung verloren gegangen ist?

Es darf nicht unterschätzt werden, wie viel an Erfahrung verloren geht, wenn Praktika fehlen

Unterschiede zwischen italienischen und deutschen Schulen gab es schon immer, doch die Coronap-Pandemie hat sie vergrößert. Was sagst du dazu?

Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, bestehende Probleme nochmal hervorzuheben und Risse zu verdeutlichen. Die italienischen Schulen sind ins Schuljahr 2020/21 mit einer anderen Unterrichtsform als die deutschen Schulen gestartet. Gleiches Schulsystem, gleiches Territorium, und doch andere Vorgehensweisen? Für die einen hieß es grün – totaler Präsenzunterricht –, für die anderen gelb – teilweise Präsenzunterricht. Ich frage mich schon, warum. Denn der logische Grund kann ja nicht sein, dass die einen italienisch sprechen und die anderen deutsch. Corona unterscheidet ja auch nicht zwischen den verschiedenen Sprachgruppen. Ich finde es traurig, unterschiedliche Modelle und Vorgehensweisen an Schulen anzuwenden, die sich am gleichen Ort befinden, wo Schüler die gleichen Busse nehmen und am gleichen Ort zu Mittag essen.

Gab es noch andere Probleme? Was hätte man deiner Meinung nach anders bzw. besser machen können?

Das Schlimmste war sicherlich die Ungewissheit. Häufig hat man erst am Abend zuvor erfahren, was am nächsten Tag passieren wird, ob Schule ist oder nicht. Und das nicht direkt vonseiten der Schule, sondern aus den Medien. Wir vom Landesbeirat für Schüler haben den Appell an die Landesregierung gerichtet, solche Entscheidungen rechtzeitig mitzuteilen. Unser größtes Anliegen war, mehr Sicherheit zu geben, denn während des letzten Schuljahres hat es keine schulische Planungssicherheit gegeben. Besonders junge Menschen, die in kurzer Zeit wichtige Entscheidungen treffen müssen, wie die Wahl der Oberschule oder eines Studiums, wurden so verunsichert. Fakt ist: Im Bildungswesen haben Schüler am meisten gelitten.

Corona hat gezeigt, dass die Meinung von Schülern nicht erwünscht ist

Haben die Appelle etwas gebracht?

Wir, vom Landesbeirat für Schüler, haben unter anderem die Aufgabe zu beraten und haben mehr Mitbestimmung eingefordert. Doch die Landesregierung hat kein Interesse gezeigt, unsere Meinungen und Erfahrungen anzuhören und zu berücksichtigen. Und das wäre das wichtigste gewesen, denn es wird ja über unser Leben bestimmt.
Das Problem ist, dass Schüler nicht als erwachsen und mündig angesehen werden. Vorschläge werden oft abschätzig behandelt, besonders bei wichtigen Themen, wie die maximale Anzahl an Tests pro Woche oder die Gestaltung des Fernunterrichts.

Ein wichtiger Punkt ist die Unsicherheit, die während und wegen der Pandemie beträchtlich zugenommen hat. Wie sieht das bei den Schülern aus?

Die Corona-Pandemie hat die gesamte Menschheit und vor allem Schüler*innen und junge Menschen von Unsicherheit geprägt. Viele hatten schon einen Plan, bevor Corona angefangen hatte, doch der wurde über den Haufen geworfen. Alles, was sicher war, hat sich verändert. Junge Menschen trauen sich nicht mehr zu planen und wichtige Entscheidungen zu treffen.

Wir sind eine Generation, die sehr viel von Unsicherheit geprägt ist

Nahmen Ängste auch in Bezug auf die Zukunft zu?

Alles, was alltäglich und sicher war, wie Schule oder Matura, ist nun unsicher geworden. Das wirkt sich natürlich auf das Leben der Menschen und besonders der Jugendlichen aus. Fragen wie ‚Bin ich mir sicher, dass ich ein Studium anfangen möchte? Oder gehe ich lieber arbeiten?‘ werden öfters gestellt. Jugendliche schauen nun vermehrt drauf, welche Jobs gefragt sind und wählen dazu passend das Studium aus. Das ist ein Zeichen, dass Menschen Angst vor der Zukunft haben.

Vorsichtiges Verhalten, berechnend agieren und schauen, wo man am besten verdient, ist nicht die Lebensart eines jungen Menschen. Eigentlich sollte dies das Alter sein, in dem wir ausprobieren können, wozu wir Lust haben und nicht an die wirtschaftlichen Folgen denken. Diese Lockerheit ist ein Merkmal der Jugend. Denn wenn wir jetzt nicht ausprobieren und uns entfalten, ist es danach zu spät.

Ziel ist es nun, so wenig wie möglich zu verändern, da sich die Welt schon zu sehr verändert.

Also ist Sicherheit und ein Rettungsring gefragter denn je?

Halt ist ein weiteres Stichwort, das immer wichtiger geworden ist. Es wird verstärkt darauf geachtet, Sachen zu finden, die einem Halt geben. Und Halt gibt uns in erster Linie oft das Zuhause. Dort kennen wir die Menschen, sind bei Familie und Freunden. Wenn wieder von einem Tag auf den anderen alles zu gemacht wird, befinden wir uns lieber in einem Umfeld, das wir kennen und wo wir nicht alleine sind. Die totale Isolation in einer fremden Stadt, in der man niemanden kennt, wird nun viel mehr gefürchtet – und so auch ein Studium. Ziel ist es nun, so wenig wie möglich zu verändern, da sich die Welt schon zu sehr verändert. Das ist schade, denn Veränderung bereichert, auch wenn sie manchmal Angst macht. Wir sollten uns mehr trauen und uns nicht von unseren Ängsten leiten lassen!

 

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Profil für Benutzer Peter Gasser
Peter Gasser Di., 03.08.2021 - 23:04

Antwort auf von Alois Spath

Ja, die “Bild”... (!)
Ich halte mich da lieber an den Arzt (als ans Klatschblatt) und Psychiater Pycha:
https://www.tageszeitung.it/2021/07/25/erschoepfte-koepfe/
.
Und ja, die Corona-Pandemie hat den “Kindern und Schülern” eine schwierige Zeit angetan, da stimme ich Ihnen zu, aber nicht nur diesen, auch den Senioren, Bewohnern von Altersheimen, den Krankenschwestern und Ärzten, von denen alle auch viele schwer erkrankt sind, viele an long-covid leiden, und manche ihr Leben verloren haben.

Di., 03.08.2021 - 23:04 Permalink
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Herta Abram Mi., 04.08.2021 - 08:50

Ich wünsche mir für euch, dass ihr auf viele menschen trefft, die verstanden haben, dass die bisherige art der zukunftsplanung nicht mehr funktioniert. statt gegenwärtige entwicklungen linear in die zukunft hochrechnen zu können, müssen wir uns darauf einstellen, dass stets und immer wieder unerwartete ereignisse pläne und strategien über den haufen werfen.
Um sicher in die zukunft navigieren zu können, müssen wir andere fähigkeiten als bisher entwickeln.
Wir brauchen die fähigkeit, ungewohnte denkwege zu eröffnen und unerwartete lösungen zu finden.
(angelehnt: natalie knapp,kompass neues denken)
- dass allein schule und politik es richten werden oder darauf zu warten, geht nicht mehr.

Mi., 04.08.2021 - 08:50 Permalink