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SAD Songs

Ingomar Gatterer ist als CEO der SAD AG zurückgetreten. Es ist eine Verzweiflungstat. Eine Salto.bz-Exklusivmeldung und die Folgen.
Ingemar Gatterer
Foto: Salto.bz
Die Chronik sagt alles.
Montag, 16 August: Die Agentur für Mobilität teilt der SAD AG per PEC-Mail eine folgenschwere Entscheidung mit. Das Schreiben ist der formale Bescheid über den Ausschluss bei der Ausschreibung zum Südtiroler Schülertransport. Es ist ein Paukenschlag.
Dienstag, 17. August, 5.00 Uhr: Unter dem Titel „Showdown im Hochsommer“ bringt Salto.bz am frühen Morgen die Exklusivmeldung vom geplanten Ausschluss der SAD Ag. Angewandt wird dabei Artikel 80 des italienischen Vergabekodex. Die Bestimmung erlaubt es der öffentlichen Verwaltung, einen Bieter wegen „unwürdigen Verhaltens“ von der Ausschreibung und vom Zuschlag auszuschließen. In dem Artikel heißt es: „Es ist ein Schneeball, der schnell zur Lawine werden könnte, die ein über Jahrzehnte aufgebautes Imperium im Südtiroler Nahverkehr unter sich begräbt.“
Dienstag, 17. August, 9.00 Uhr: Bei der Vergabeagentur des Landes, beim Verfahrensverantwortlichen für die Ausschreibung zum Schülertransport Martin Vallazza, bei Mobilitätlandesrat Daniel Alfreider sowie beim Generaldirektor und Präsidenten des Verwaltungsrates der SAD AG, Mariano Claudio Vettori, geht ein zweiseitiges Schreiben ein, unterzeichnet von „DDr. Ingomar Gatterer“. Bereits der Betreff sagt alles: „Mein Rücktritt aus dem Verwaltungsrat und allen operativen Funktionen in der SAD AG“.
Mittwoch, 18., August: Dolomiten, RAI Südtirol und Tageszeitung berichten vom „Paukenschlag“ und den Rücktritt Gatterers. 
 

Der Ausschluss

 
Wie berichtet, wirft die öffentliche Verwaltung Ingomar Gatterer und der SAD vor, mit ihrem Verhalten bewusst und kontinuierlich das Land desavouiert zu haben. Weil Gatterer und seine Unternehmen zudem rund 40 Verfahren gegen die öffentliche Verwaltung geführt haben und führen, listet die Agentur für Mobilität als Ausschlussgrund auch den möglichen Strafbestand des „gerichtlichen Stalkings“ (stalking giudiziario) auf.
Der Kernpunkt des Ausschlusses fußt aber auf Entscheidungen und Dokumenten von drei öffentlichen Institutionen.
 
 
 
Die staatliche Antitrustbehörde (AGCM) hat im Frühjahr 2019 die SAD wegen einer „bewussten Ver- und Behinderungsstrategie“ gegenüber der Landesverwaltung und einem eindeutig unkorrekten Verhalten gegenüber ihren Konkkurrenten („condotta anticoncorrenziale“) zu einer Geldstrafe von 1.147.275 Euro verurteilt. Ein Rekurs der SAD vor dem Verwaltungsgericht Latium wurde abgelehnt.
Die staatlichen Antikorruptionsbehörde ANAC hat per Beschluss 725 vom 9. September 2020 festgestellt, dass die Strafe und das Urteil der Kartellbehörde AGCM als Ausschlussgrund gemäß Artikel 80 des Vergabegesetzes schlagend ist.
Das Bozner Verwaltungsgericht hat im Urteil 43/2021 am 12. Februar 2021 expliziert festgestellt, dass nach dem ANAC-Gutachten der Ausschluss der SAD wegen „unwürdigen Verhaltens der öffentlichen Verwaltung gegenüber“ durchaus möglich ist.
Damit ist der Sack zu“, sagt ein renommierter Südtiroler Verwaltungsrechtler zu Salto.bz.
 

Die Folgen

 
Die Folgen des Ausschlusses sind für die SAD verheerend. Vordergründig geht es um die Ausschreibung des Schülertransportes. Dort hatte ursprünglich das apulische Unternehmen „Tundo SPA“ die Ausschreibung der vier Lose gewonnen. Doch im März 2021 hat das Land Tundo wegen grober Mängel bei anderen Diensten von der Ausschreibung des Schülertransports ausgeschlossen. Jetzt sollten drei Lose an das Konsortium Südtiroler Mietwagenunternehmer (KSM) und ein Los an die SAD gehen. Dieser Zuschlag an die SAD ist mit dem Schreiben vom vergangen Montag aufgehoben.
 
 
 
Doch in Wirklichkeit geht es um weit mehr. Denn gleichzeitig läuft die Ausschreibung der Konzessionen für den gesamten Südtiroler Nahverkehr. Es geht dabei um einen Kuchen von fast 90 Millionen Euro im Jahr. Bis zum 8. Juni 2021 mussten die Angebote eingereicht werden. 17 Unternehmen haben letztlich insgesamt 44 Angebote für die verschiedenen Lose hinterlegt. Darunter natürlich auch die SAD AG. Für Gatterers Unternehmen, das der scheidenden Konzessionsinhaber ist, sind diese Aufträge überlebenswichtig.
Nach dem Ausschluss beim Schülertransport wird das Land aber nur dasselbe auch bei der großen Ausschreibung zu den Südtiroler Buslinien machen müssen. Geht die Verwaltung diesen Schritt nicht von sich aus, dürften die Konkurrenzunternehmen den Ausschluss der SAD vor Gericht verlangen. Und dort ist die Ausganglage nach dem Präzedenzfall Schülertransport für Gatterer & Co äußerst ungünstig.
 

Ausweg Selfcleaning

 
Der Gesetzgeber und die konsolidierte Rechtsprechung sehen einen möglichen Ausweg aus den Fängen des Artikel 80 vor. Damit ein Unternehmen bei Ausschreibungen der öffentlichen Verwaltung nicht sine die ausgeschlossen bleibt, wird ein sogenannter „Selbstreinigungs-Prozess“ (Selfcleaning) anerkannt.
Wird ein Unternehmen so nachhaltig umgebaut und neustrukturiert, dass jene Personen und Gremien, die direkt für das „unwürdige Verhalten“ verantwortlich waren, aus der Unternehmensführung und dem operativen Geschäft ausscheiden, kann die öffentliche Verwaltung den Bann wieder rückgängig machen.
Genau das ist dann der Zahnstocher, an den sich Ingomar Gatterer mit seinem Rücktritt und seine Schreiben klammert. Es dürfte aber ein schwacher Versuch sein.
Denn der Schachzug kommt für die Ausschreibung des Südtiroler Nahverkehrs wohl eindeutig zu spät. Gatterer & Co hätten diesen Läuterungsprozess vor Abgabe der Angebote Anfang Juni abschließen müssen. „Jetzt ist es zu spät“, sind sich gleich mehrere von Salto.bz befragte Wirtschaftsanwälte einig.
Wirklich nützen könnte der plötzliche Rücktritt Gatterers der SAD AG nur noch bei einer Ausschreibung: jener zur Vergabe des Südtiroler Zugverkehrs, die formal noch nicht initiiert wurde.
 

Gatterers Brief

 
 
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rotaderga Mi., 18.08.2021 - 10:18

Eine neue ( oder schon mal dagewesene) Dimension scheint aufgetan. Wehet den Anfängen!
Das nur allgemein zu diesem Procedere; es gibt Print- Radio und TV Medien, viele Firmen und Arbeitnehmer.
Land ich lobe und liebe dich.

Mi., 18.08.2021 - 10:18 Permalink
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alfred frei Mi., 18.08.2021 - 11:52

Seinerzeit schrieb Gatterer an den Landeshauptmann: “per proteggere l'immagine del trasporto pubblico sarebbe in futuro opportuno se lei parlasse con noi prima di compiere passi falsi che possono finire in commedia". Die Frage sei erlaubt: wer ist da in der Komödie gelandet ?

Mi., 18.08.2021 - 11:52 Permalink
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Sebastian Felderer Mi., 18.08.2021 - 13:41

Da liegt "der Freud" total daneben. Ein Privatunternehmen führt einen öffentlichen Dienst nur dann besser, wenn der Qualitätsstandard und die Dienstleistung für alle gewährleistet ist. Dieser muss natürlich in der Ausschreibung festgelegt und vertraglich festgeschrieben sein.
Das Unternehmen SAD hat unter der Führung von Herrn Gatterer nicht nur an Image stark verloren, sondern durch die Weitergabe von Diensten an Subunternehmen auch an Sicherheit und Zuverlässigkeit wesentlich eingebüßt. Dies hat jeder Fahrgast zu spüren bekommen, der die SAD als öffentliches Verkehrsmittel genutzt hat. Nur mit Rechtsstreitigkeiten und mit der Brechstange ist kein Unternehmen erfolgreich zu führen. Auch hohe Strafen von Aufsichtsorganen waren zu stemmen und haben sicher nicht zur Steigerung der Rentabilität des Unternehmens beigetragen. Drum sehe ich im Abtritt von Gatterer einen Lichtblick für die SAD, es sei denn, er ist viel zu spät gekommen.

Mi., 18.08.2021 - 13:41 Permalink
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Marius Romen Sa., 21.08.2021 - 12:31

Antwort auf von Sebastian Felderer

Ein Konkurs der SAD wäre weder gesellschaftlich noch für das Land ein großer Schaden. Alle fähigen Mitarbeiter finden umgehend einen neuen Arbeitsplatz, Busfahrer werden händeringend gesucht.
Einzig die Übergabe der noch fahrtüchtigen, vom Land finanzierten, Busse könnte sich verzögern.

Sa., 21.08.2021 - 12:31 Permalink
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Hartmuth Staffler Mi., 18.08.2021 - 14:08

Herr Gatterer hat erneut bewiesen, dass er nicht fähig ist, einen Brief in deutscher Sprache zu schreiben. Damit hat er gezeigt, dass er an der Spitze eines Südtiroler Unternehmens am falschen Platz ist. Ein Minimum an Bildung, in diesem Fall Zweisprachigkeit, gehört wohl dazu.

Mi., 18.08.2021 - 14:08 Permalink
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Marius Romen Sa., 21.08.2021 - 10:09

... diese Denkweise ist eine vollkommen veraltete und überholte.
Es gibt ausreichend Beispiele hervorragender öffentlicher Unternehmen, sowohl was Führung als auch Effizienz anbelangt.
Und gerade in der Krise hat sich gezeigt, dass scheinbar effiziente (für die Aktionäre, aber nicht für die Gesellschaft) Unternehmen in der Krise vom Steuerzahler gerettet wurden und gerettet werden müssen.
Außerdem hat auch das Gatterer Unternehmen (das scheinbar nicht immer korrekte Daten geliefert hat) nur mit den Mitteln der öffentlichen Hand überlebt. Schlecht bezahlte und behandelte Mitarbeiter sind das Ergebnis der "Effizienz" und müssen dann wieder durch Transferleistungen der Steuerzahler aufgefangen werden.
Manche Effizienz sollte man bis zu Ende denken, denn das Überleben der Volkswirtschaft ist so absolut nicht von privat geführten Unternehmen der Infrastruktur gewährleistet. Es überwiegen die negativen Beispiele.

Sa., 21.08.2021 - 10:09 Permalink
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Emil George Ciuffo Sa., 21.08.2021 - 14:13

Warum sollten jungen Unternehmen dadurch die Perspektive genommen werden? Durch die Reduzierung einer de facto Monopolstruktur bekommen diese ja erst eine Chance rein zu kommen.
Und die Art der Führung eines privaten Unternehmens für die Allgemeinheit, wie sie Gatterer exerziert hat, ist an Arroganz - auch dem Steuerzahler gegenüber - wohl kaum zu überbieten. Ich sehe in diesem Ausschluss (und hoffentlich auch zukünftigen Ausschlüssen) absolut keinen Nachteil.
Der Rest deiner Ausführungen scheint mir eher einer überholten trumpschen Denkweise nachzuhängen ...

Sa., 21.08.2021 - 14:13 Permalink