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Amazon und die Inklusion

Amazon veröffentlichte kürzlich neue Regelungen für hauseigene Film-und Serien-Produktionen und gibt damit vor, einen wichtigen Schritt in Richtung Inklusion zu gehen.
Amazon Studios
Foto: amazon

Die neuen Richtlinien der Amazon Studios besagen folglich, dass nur noch SchauspielerInnen besetzt werden sollen, die der zu besetzenden Figur in ihrer Identität (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) nicht nur ähnlich, sondern gleich sind. Mit anderen Worten: Eine homosexuelle Figur darf in Zukunft nur noch von einem homosexuellen Schauspieler verkörpert werden, ein Deutscher nur noch von einem Deutschen.

Viel komplexer wird die Problematik der neuen Regelungen jedoch, wenn man über die von Amazon angeführten Eigenschaften des Begriffs „Identität“ hinausgeht.

Was zunächst wie ein guter und wichtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung, Inklusion und Repräsentation klingt, offenbart sich bei genauerem Hinsehen jedoch als Farce. Die Regelungen treten den Beruf der Schauspieler mit Füßen, denn nichts anderes als „Spielen“ und somit „Imitieren“ ist die Aufgabe derselben. Schauspiel bedeutet nicht „jemand sein“, sondern vielmehr „jemand zu sein vorgeben“. Es ist nicht die Aufgabe der Schauspieler, eine Figur in allen Wesenspunkten nachzuvollziehen – im Gegenteil. Es ist ihre Aufgabe, eine Figur TROTZ vielfältiger Unterschiede zu sich selbst glaubwürdig zu verkörpern. Man kann den zugrundeliegenden Gedanken Amazons nachvollziehen, jedoch schießt er in seiner Umsetzung völlig am Ziel vorbei. Es ist dem Beruf der Schauspieler nicht gedient, wenn man der Kunst ihren Anspruch entzieht. Folglich kann in Zukunft jeder in Filmen spielen – denn jeder muss nur das sein, was er oder sie ist. Spielen ist nicht mehr nötig.    

Viel komplexer wird die Problematik der neuen Regelungen jedoch, wenn man über die von Amazon angeführten Eigenschaften des Begriffs „Identität“ hinausgeht. Wie verhält sich der Umgang des Studios mit persönlichen Abneigungen und Vorlieben einer Figur? Wie will Amazon in Zukunft einen Pädophilen besetzen? Oder einen Schizophrenen? Mit tatsächlich erkrankten Personen? Führt das nicht zu einer voyeuristischen Ausstellung dieser Menschen, zu einer Freakshow mit Echtheits-Garantie, zu einer pornographischen Präsentation? Und wie verhält es sich mit Kriminellen? Ein Nationalsozialist dürfte konsequenterweise nur noch von einem echten Nazi gespielt werden, ein Vergewaltiger nur noch von jemanden, dem die Gedanken eines Sexualstraftäters nicht nur geläufig sind und mit denen er sympathisiert, sondern die er bereits selbst in die Tat umgesetzt hat. Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass Amazon die eigens aufgestellten Regeln nicht konsequent einhalten kann.

Dass der vermeintliche Versuch, Inklusion zu schaffen und für Gerechtigkeit zu sorgen, von einem der weltgrößten Ausbeuter kommt, dem Kapitalismus in Reinform, jenes Systems, das für die viele Ungerechtigkeit in der Welt erst verantwortlich ist, die Ungerechtigkeit gegenüber Minderheiten eingeschlossen, ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten.

Um Inklusion zu schaffen, und die Wichtigkeit dieser Sache sei an dieser Stelle hervorgehoben, reicht es nicht, SchauspielerInnen scheinbar korrekt zu besetzen. Sichtbarkeit wird durch sichtbar-sein geschaffen. Es braucht also fiktive Figuren aller Art, jeglicher Identität, und die dürfen, sollen und müssen, von echten Menschen jeglicher Identität gespielt werden. Auf lange Sicht wird im Kopf eines spielenden Menschen, der vorgibt, jemand anderes zu sein, das Bewusstsein für das „andere“, sprich für eine Identität, die man selbst nicht ist, geweckt. Langfristig gewinnt die Gesellschaft also durch ein möglichst diverses Spiel, durch den Austausch untereinander. Der Gedanke „jeder für sich“, der im Kern der Regelungen steckt, ist kontraproduktiv für ein buntes Zusammenleben, basierend auf Akzeptanz, Toleranz und Nächstenliebe. Noch dazu bedeuten mehr beispielsweise homosexuelle Figuren nicht automatisch mehr homosexuelle Rollen. Es besteht die Gefahr, dass es, anders als gewünscht, sogar zu einer Unterrepräsentation homosexueller DarstellerInnen kommt, da sie nicht länger jede Rolle, sondern nur die für sie passende, vergleichsweise seltener auftretende Figur spielen dürfen. Wer Inklusion schaffen möchte, sollte am Anfang ansetzen, nämlich im Schreiben diverser Figuren.

Abschließend sei auf die absurde Doppelmoral Amazons hingewiesen. Dass der vermeintliche Versuch, Inklusion zu schaffen und für Gerechtigkeit zu sorgen, von einem der weltgrößten Ausbeuter kommt, dem Kapitalismus in Reinform, jenes Systems, das für die viele Ungerechtigkeit in der Welt erst verantwortlich ist, die Ungerechtigkeit gegenüber Minderheiten eingeschlossen, ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Um die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter vergessen zu lassen, biedert sich der Konzern bei einem Publikum an, das hoffentlich klug genug ist, die Masche zu durchschauen. Abzuwarten bleibt, wie die Branche auf die neuen Regelungen reagiert, und ob sich die Kunst auch in diesem Falle dem Kapitalismus unterwirft.

Abschließend bleibt erneut zu betonen: Inklusion ist wichtig und muss stattfinden. Bloß auf sinnvolle und durchdachte Weise.

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Karl Trojer Di., 17.08.2021 - 09:20

Es ist Zeit aufzuwachen, um vor der steigenden Flut von Betrügereien solcher Art bestehen zu können. Insbesondere sind die Medien aufgerufen auf die Barrikanden zu gehen, und dies nicht zuletzt im Interesse einer weiterhin freien Presse.

Di., 17.08.2021 - 09:20 Permalink
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Michael Bockhorni Fr., 20.08.2021 - 08:55

wie gegen Ende des Artikels erwähnt, ist die Sache nicht so einfach schwarz - weiss. Wir kennen wahrscheinlich alle die unsäglichen Darstellungen von Native Americans in den Westernfilmen der 50er und 60er Jahren oder die Besetzungspraxis von Afroamerikanern überwiegend in Nebenrollen usw. Vielleicht täte Amazon besser daran mehr Geld für ein professionelles Coaching oder andere Formen der Inklusion von Diversität / Vielfältigkeit bei der Erstellung und Umsetzung von Filmen auszugeben.

Fr., 20.08.2021 - 08:55 Permalink