Umwelt | Landtag Klimadebatte

"Wir haben 10 Jahre verloren"

Riccardo Dello Sbarba analysiert den Klimaplan aus dem Jahr 2011 und stellt fest: "Kein einziges der angepeilten Ziele wurde erreicht."
Lo scioglimento del ghiacciaio Vedretta Serana
Foto: Salto.bz Fabio Gobbato

Zehn Jahre lang hat Südtirol nicht nur nicht genug, sondern gar nichts gemacht, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dies die trockene Analyse, die der Abgeordnete der Grünen Riccardo Delle Sbarba in der Landtagsdebatte am Dienstag präsentiert. Anhand des Klimaplans aus dem Jahr 2011 und den darin enthaltenen Zielen kritisiert Dello Sbarba die Landesregierung aufs Schärfste: Keines der von der Landesregierung angestrebten Ziele wurde in den letzten zehn Jahren erreicht, in einigen Bereichen hat sich die Lage sogar verschlechtert. Zudem kommt: Der Entwurf für den neuen Klimaplan, der noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll, habe gar nicht vor, bis 2050 die von der EU und dem Pariser Klimaabkommen angestrebte Klimaneutralität zu erreichen. Stattdessen begnüge man sich damit, die Ziele aus dem alten Plan wiederaufzugreifen und um einige Jahre nach hinten zu verschieben. Auch die faktische Ausgangslage, die im Plan beschrieben wird, wirft Fragen auf.

“Im Zeitraum zwischen 2011 und 2021, jenem Zeitraum auf den sich der geltende Klimaplan der Landesregierung bezieht, wurden alle Ziele verfehlt.” Riccardo Dello Sbarba lässt seiner Frustration in der Landtagsdebatte zum IPCC-Report der Vereinten Nationen freien Lauf: “Nicht ein einziges der angepeilten Ziele wurde erreicht.”

 

So sah der Klimaplan aus dem Jahr 2011 beispielsweise vor, dass bis zum Jahr 2020 75 % der in Südtirol verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen soll. 2019 lag der Prozentsatz der erneuerbaren Energiequellen bei 64 %. “Und hier geht es um erneuerbare Energien, das politische Aushängeschild der Landesregierung!”, wirft Dello Sbarba in den Raum.

Zudem kommt: Der Co2-Verbrauch der Südtiroler, der – laut Klimaplan – von 4,5 auf 4,0 Tonnen pro Kopf hätte gesenkt werden sollen, blieb stattdessen auf 4,4 Tonnen pro Kopf stehen, wobei in den letzten fünf Jahren sogar ein Anstieg beobachtet wurde. Dazu kommt, dass die Landesregierung hier weder die Emissionen der Landwirtschaft noch die graue Energie (also jene Emissionen, die sich einem Produkt verstecken), noch von die auf der A22 ausgestoßenen Abgase miteinberechnet. Werden diese miteinbezogen, so sähen sich die Südtirolerinnen und Südtiroler – laut einer Berechnung des Forschungsinstituts EURAC mit einem Verbrauch von rund 7,5 Tonnen CO2 pro Kopf konfrontiert.

Ein weiterer Punkt den Dello Sbarba hervorhebt ist der Energieverbrauch. Laut Klimaplan, hätte Südtirol seinen Energieverbrauch bis 2020 auf 2.500 Watt Dauerleistung pro Kopf senken müssen. Stattdessen ist der Energieverbrauch seit 2008, als er 2.800 Watt betrug, sogar gestiegen: Der Energieverbrauch der Südtiroler beträgt heute 3.000 Watt pro Kopf.

 

Würden alle Emmissionen in die Rechnung aufgenommen, so läge der angepeilte pro Kopf Verbrauch im Jahr 2050 bei stolzen 4,7 Prozent.

 

Auch die konkreten Maßnahmen, die im Plan enthalten waren, wie beispielsweise die Klimaneutralität aller im öffentlichen Nahverkehr verwendeten Fahrzeuge oder die energetische Sanierung von 2,5 % der Gebäude pro Jahr, wurden verfehlt. Die vorgesehene Studie zur grauen Energie, die bis 2014 hätte realisiert werden sollen, wurde auf das Jahr 2025 verschoben, die katalogisieren der für Solarenergie geeigneten öffentlichen Dächer ebenso.

Sieht man sich hingegen den Entwurf des aktuellen Klimaplans an, werfen sowohl die Ziele als auch die Grundlagen, auf denen diese formuliert werden, Fragen auf. So macht es sich die Landesregierung bis 2050 beispielsweise zum Ziel den Co2-Ausstoß der Bevölkerung auf 1,5 Tonnen CO2 pro Kopf zu reduzieren. Diese stehen einerseits im krassen Gegensatz zur von der EU und den Pariser Klimazienen angestrebten Klimaneutralität bis 2050. “Andererseits werden auch hier die Emissionen der Landwirtschaft und des Brennerkorridors nicht miteinbezogen”, so Dello Sbarba. “Würden diese in die Rechnung mitaufgenommen, so läge der angepeilte pro Kopf Verbrauch im Jahr 2050 bei stolzen 4,7 Prozent.”

Trotzdem, so Dello Sbarba, sei man gewillt, dem neuen Klimaplan glauben zu schenken. Jedoch nur unter der zwingenden Voraussetzung, dass eine unabhängige Expertenkommission geschaffen wird, die den jährlichen Fortschritt und die Umsetzung des Plans überwacht.

 

Bild
Profil für Benutzer Lukas Neuwirth
Lukas Neuwirth Mi., 06.10.2021 - 09:29

Vielen Dank für den Überblick und die Zusammenfassung der Zahlen - vielleicht braucht es neben Meinungen und Kommentaren tatsächlich mehr Hinweise dieser Art - eben Zahlen, Daten und Fakten die eine Situation einfach offenlegen!
Spannend wäre auch zu erfahren, wohin der absurd hohe Energieverbrauch der überdimensionierten Wellness-Oasen der Hotels hineingerechnet wird. In den Pro-Kopf-Energieverbrauch von Frau und Herr Südtirolerin? Wie unterschiedet man, welche Energie die Millionen an Gästen verbrauchen und welche die einheimische Bevölkerung? Klimaneutralität ist ein großes Wort - v. a. wenn der Außenpool auf 2.000 m ü. d. M. im Winter bei -10°C Außentemperatur, 35 °C Wassertemperatur haben muss...

Mi., 06.10.2021 - 09:29 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Gianguido Piani
Gianguido Piani Mi., 06.10.2021 - 11:12

@Freud
Unglaublich! Hier muss ich wieder dem SF zustimmen, der von mir hält, dass ich nichts von diesem Fach verstehe.
Die Sache mit grüner Energie ist viel schlimmer als geschildert. "Grün" sind nur, bestenfalls, die entsprechenden Zertifikate. Eine in Sizilien im Sommer durch Sonnenenergie erzeugte kWh kann benutzt werden, um Kohlestrom im Winter in Südtirol oder woanders als "Grün" zu verkaufen. Man kauft und weiterverkauft, sozusagen, die Namensrechte dazu.
Das habe ich in mehreren Kommentaren geschrieben, um dann vom Herrn SF zu hören, dass physikalische Energie und kommerzielle Energie voneinander getrennt sind, und das muss ich so akzeptieren.
Strom kann nicht wirtschaftlich langfristig gespeichert werden, die Zertifikate aber schon. Das ist die Erfindung, um als grün zu verkaufen was bei weitem nicht grün ist.
Wenn wir uns über solche Themen streiten, dann gehen weitere zehn Jahre verloren.

Mi., 06.10.2021 - 11:12 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Klemens Riegler
Klemens Riegler Mi., 06.10.2021 - 23:31

Ziele und Prognosen für mehr als fünf Jahre zu erstellen ist so sinnlos wie Nutellabrote mit Schinken zu belegen.
Je länger der Zeitraum um so später wird reagiert ... oder wie in diesem Fall nicht einmal das.
Klima Retten wir 2045 nicht mehr möglich sein. Da wird nicht der Dampfer abgefahren sein, sondern auf Grund liegen, bzw. im Sand stecken.

Mi., 06.10.2021 - 23:31 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Klaus Griesser
Klaus Griesser Do., 07.10.2021 - 10:40

Bravo, Riccardo! Nicht nur das Wirtschaftssystem Südtirol hat nix dazugelernt zum "Weiter-so-mit-immer mehr"! Die Zivilgesellschaft wird aufwachen, aktiv werden, sich als mächtigere Gegenlobby formieren und den Regierenden in den Arm fallen müssen! Sonst rasen wir, die ganze Erde, einer immer heißeren Zukunft entgegen.

Do., 07.10.2021 - 10:40 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Peter Gasser
Peter Gasser Do., 07.10.2021 - 12:31

Antwort auf von Klaus Griesser

Zitat: “2019 lag der Prozentsatz der erneuerbaren Energiequellen bei 64 %”:
mit Verlaub, es geht doch nicht um den Prozentsatz der “erneuerbaren EnergieQUELLEN” im Lande, sondern um den Prozentsatz des fossilen bzw. erneuerbaren VERBRAUCHES an Energie durch die heimische Bevölkerung.

Wo der liegt, wenn Heizung und Warmwasser vorwiegend auf der Verbrennung fossiler Rohstoffe, wenn die Mobilität des Individualverkehres, der Urlauberanreisen und auf der Brennerautobahn vorwiegend auf der Verbrennung fossiler Rohstoffe beruht, und wenn die in Südtirol gekauften Konsumgegenstände vorwiegend durch Schweröl verbrennende Containerschiffe und Kerosin verbrennende Frachtflugzeuge nach Europa gebracht werden, kann sich jeder selbst ausmalen.

Do., 07.10.2021 - 12:31 Permalink