Wirtschaft | Sanität

Der Arzt als Makler

Das Sanitätsassessorat muss bis Jahresende Millionen aus dem Recovery Fund ausgeben. Deshalb spornt man die Ärzte an, Immobilien für eine neue Einrichtung zu suchen.
Arzt, Symbol
Foto: upi
Der Text liest sich wie eine Rundschreiben einer Immobilienagentur.
 
„Mit vorliegendem Schreiben möchten wir Sie um Ihre Mithilfe bitten, sowohl in Bezug auf Ihr persönliches Interesse Teil dieser neuen Entwicklung zu sein, wie auch bei der Suche von geeigneten Immobilien auf dem Territorium. Es könnte sich um leerstehende oder adaptierungsfähige Immobilien, in öffentlichem Besitz oder zu verkaufen handeln, welche wegen der Größe der Nutzungsfläche umgebaut werden könnten. So sollen diese Gebäude auch mit einem geräumigen Sekretariat, einem Warteraum und verschiedenen Praxen und Ambulatorien ausgestattet werden.“
 
Und weiter:
 
„Wir ersuchen um Ihre Mitarbeit, indem wir Sie bitten, uns über geeignete momentan freistehende Immobilien in Ihrem Einzugsgebiet zu informieren und uns Ihr grundsätzliches Interesse mitzuteilen.“
 
Doch der Brief ist keineswegs an Makler, Immobilienspekulanten oder potentielle Investoren gerichtet. Es handelt sich um ein Schreiben des Ressorts für Gesundheit, Breitband und Genossenschaften das am 1. Oktober 2021 an alle Südtiroler Hausärzte und Kinderärzte gegangen ist.
Dass sich das Sanitätsassessorat plötzlich als Immobilienagentur betätig und Südtirols Ärztinnen sich auf die Suche nach geeigneten Immobilien machen sollen, hat einen einfachen Grund: Das Rundschreiben ist eine Art Kurzschlusshandlung, die deutlich macht wie die öffentliche Verwaltung das Geld aus dem sogenannte „Recovery Fund“ einsetzen will.
 

Die neue Struktur

 
Die Verteilung der EU-Gelder erfolgt in Italien über ein Instrument mit einem wunderbaren Titel: Dem „ Nationalem Plan für Wiederaufbau und Resilienz" (PNRR). Diese Plan sieht eine umfangreiche finanzielle Unterstützung für Reformen und öffentliche Investitionen vor. Dabei werden auch in der Sanität staatsweit insgesamt 20,23 Milliarden Euro investiert. Voraussetzung für den Erhalt der Gelder sind aber eine Reihe von Reformen, die man umsetzen muss.
 
 
Eine diese Reformen soll neue Strukturen in der der territorialen Versorgung der Sanität betreffen. So sieht der PNRR sieht für den territorialen Bereich Investitionen in „Gemeinschaftshäuser“ („Case della Comunità“) vor. Es handelt sich bei diesen Gemeinschaftshäusern um Übergangseinrichtungen mit 20 Betten und „Territoriale Koordinationszentren“ (COT), mit dem Ziel, die territoriale Versorgung und vor allem die Hausbetreuung zu stärken.
In diesen Gemeinschaftshäusern sollen verschiedene Gesundheitsberufe gebündelt werden. So sollen Gemeinschaftspraxen von Ärzten für Allgemeinmedizin, frei wählbaren Kinderärzten und Einrichtungen für weiteres Gesundheits-Fachpersonal in diesen Häusern entstehen. Durch ein gemeinsames Organisationssekretariat und unterstützt durch ein bisher in Südtirol nicht existierendes und funktionierendes digitales Informationssystem, sollen diese Einrichtungen eine optimale Betreuung der Patienten des eigenen Einzugsgebietes ermöglichen.
 

11 Gemeinschaftshäuser

 
Wie Ressortdirektor Günther Burger in dem Rundschreiben an die Südtirols Ärzteschaft mitteilt, sollen in Südtirol vorerst 11 solcher Gemeinschaftshäuser entstehen. Um wieviel Geld es dabei geht wird klar, wenn man weiß, dass - laut Rundschreiben - eine staatliche Teilfinanzierung von 1,5 Millionen Euro für den Umbau jeder einzelnen dieser Einrichtung vorgesehen ist.
Sollen sie demnächst ihren Hausarzt nicht seiner Praxis antreffen, machen sie sich nichts draus. Er ist wahrscheinlich gerade dabei eine Immobilie anzuschauen. Im Auftrag des Landes.
Diese Geldmittel können leider nicht anderweitig verwendet werden und wir müssen auch relativ rasch (innerhalb dieses Jahres noch) dem zuständigen Ministerium unsere konkreten Vorschläge unterbreiten“, schreibt Burger.
Damit wird jetzt der Run auf die Immobilien losgehen. Denn die üppige staatliche Finanzierung wird die Gelüste der Immobilienspekulanten erst recht anheizen. Dass man die Ärzte mit diesem Rundschreiben sozusagen als Scouts für die Suche nach geeigneten Objekten einsetzt, sagt einiges über das Südtiroler Sanitätssystem aus.
Sollen sie demnächst ihren Hausarzt nicht seiner Praxis antreffen, machen sie sich nichts draus. Er ist wahrscheinlich gerade dabei eine Immobilie anzuschauen. Im Auftrag des Landes.
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Profil für Benutzer Klemens Riegler
Klemens Riegler Do., 07.10.2021 - 17:50

Ich schieße mich dem Kommentar von Frei Erfunden an. Vielleicht haben das Schreiben ja auch noch andere erhalten? Jeder kann schließlich mithelfen oder weiß zufällig irgendwas. Das sogenannte "Territorium" sollte übrigens schnellstens umgesetzt werden. Zumindest in den Ballungsräumen Südtirols. Was wir hingegen nicht brauchen sind hoch dotierte Primariatsstellen in Kleinstrukturen auf dem Lande.

Do., 07.10.2021 - 17:50 Permalink
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Martin Koellen… Do., 07.10.2021 - 19:46

Antwort auf von Klemens Riegler

Klemens, die Kleinkrankenhäuser sind des Wählers liebstes Kind...
Das "Territorium" sollte umgesetzt werden. Aber leere Häuser ohne Personal haben wir bereits genug, halbe Abteilungen sind aufgrund von Personalmangel geschlossen. Und dies nichg wegen Covid, Impfpflicht oder anderen rezenten Gründen, sondern wegen mangelnder Attraktivität und Pensionierung.
Die Rundumversorgung, wie wir sie kennen, ist Geschichte.

Do., 07.10.2021 - 19:46 Permalink
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Elisabeth Garber Do., 07.10.2021 - 19:33

Bin der Meinung vom Franceschini - Hausärzte haben und sollen anderes zu tun. Diese zeittypische Vermischungen von Aufgabenbereichen mit gleichzeitiger Beschädigung/Verunglimpfung des Berufsbildes ist von Nachteil für alle Beteiligten.

Do., 07.10.2021 - 19:33 Permalink