Gesellschaft | Entwicklung

Zeitenwende

Nach vielen Jahrzehnten Wohlstandsentwicklung meldet sich ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Erdrückende Zeichen einer anstehenden Zeitenwende.
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Foto: (c) pixabay

Ein Leben in Frieden, Wohlstand und Zuversicht, so sind wir Kinder der Nachkriegsgeneration aufgewachsen. Eine friedliche Gesellschaft ist selbstverständlich, Krieg gab es zwar immer, aber genauso selbstverständlich nur anderswo. Die Gewissheit, dass Fleiß und Einsatz sich bezahlt machen und jeder die Möglichkeit hat, sich etwas aufzubauen, wurde uns sozusagen in die Wiege gelegt. Die Freiheit, selbständig Entscheidungen für sein Leben zu treffen und sich entsprechend zu entfalten, ist unser Glaubensgrundsatz. Doch seit dieses Virus über die Erde gekommen ist, hat der Stein, in den diese grundlegenden Überzeugungen gemeißelt sind, Risse bekommen und ein gewisser Weltschmerz ist zum latenten Begleiter geworden. Dass das Ende der Fahnenstange bald erreicht wird und der stetige Aufwärtstrend damit an die Grenzen kommt, wird von der Wissenschaft schon lange prophezeit. Unser Lebensstil und das damit verbundene Wirtschaftssystem belasten unseren Planeten dermaßen stark, dass wir uns auf größere Veränderungen gefasst machen müssen. Es gibt dabei gewichtige Zeichen, die für eine bevorstehende Zeitenwende sprechen.

Ressourcen

Der Earth Overshoot Day, also jener Tag, an dem die Menschheit die natürlichen Ressourcen, welche von der Erde innerhalb eines Jahres nachhaltig zur Verfügung gestellt werden, verbraucht hat, wurde für das Jahr 2021 am 29. Juli festgelegt. 1970 war das letzte Jahr, in welchem Verbrauch und Regeneration noch im Gleichgewicht standen. Seither leben wir einen zunehmenden Teil des Jahres auf Pump und betreiben somit systematischen Raubbau an der Erde. Dabei fällt der Tag Jahr für Jahr auf ein früheres Datum, Ausnahme war das Pandemiejahr 2020. Dass der Welterschöpfungstag nicht deutlich früher eintritt, liegt vor allem an den Entwicklungsländern. Die meisten westlichen Nationen “feiern“ diesen Tag nämlich im Frühjahr zwischen März und Mai. Für Italien wurde der Erschöpfungstag des Jahres 2021 am 13. Mai festgelegt. Das Land verbraucht damit in etwa dreimal so viel Ressourcen, wie es selbständig wieder regenerieren kann. Eine Wirtschaft, welche auf ständiges Wachstum setzt, kommt irgendwann an die Grenzen unserer endlichen Welt. Eigentlich eine triviale Feststellung, welche trotzdem seit Jahrzehnten erfolgreich ignoriert wird.

Klima

Die Klimaforscher sind sich einig. Wenn wir unsere Treibhausgasemissionen nicht innerhalb zehn Jahren drastisch reduzieren, lässt sich die Klimakatastrophe nicht mehr abwenden, da die Prozesse, welche zur Klimaveränderung führen, sich verselbständigen. Die prognostizierten Folgen sind mittlerweile allgemein bekannt. Dabei wird es nicht reichen, wenn wir bald alle mit dem Elektroauto fahren. Vermutlich werden wir uns fragen müssen, wer überhaupt noch mit dem Auto fahren darf. Nur einmal die Woche Fleisch essen und auf Flugreisen zu verzichten, sind zwar gut gemeinte Vorsätze, bleiben aber schlussendlich ein Tropfen auf dem heißen Stein. Der Südtiroler Klimaforscher Georg Kaser forderte bei den Toblacher Gesprächen die Abkehr von der freien Marktwirtschaft, da sie selbst das Problem sei. Radikale Äußerungen, die mittlerweile zwar gehört, auf die aber nicht reagiert wird. Die derzeit betriebene Klientelpolitik der regierenden Parteien dreht sich diesbezüglich im Kreis und schafft, wenn überhaupt nur marginale Veränderungen in Richtung einer klimaschonenderen Lebensweise. Bestrebungen wie das neue Raumordnungsgesetz oder der sogenannte Bettenstopp sind lokalpolitische Beispiele, welche den viel zu engen Handlungsspielraum der Politik verdeutlichen. Zu viele Lobbys verderben eben den Brei. Wir müssen also warten bis der Leidensdruck der Bevölkerung steigt und damit die demokratische Voraussetzung für einen spürbaren Wandel geschaffen wird.

Geld

“Fiatgeld“ oder “Es werde Geld“, so kann man unser derzeitiges Geldsystem bezeichnen. Devisen ohne inneren Wert, welche von Banken auf Knopfdruck bei der Kreditvergabe produziert werden. Durch die seit den 70er Jahren von den Realwerten abgekoppelte Gelderzeugung wird ein Wohlstand vorgetäuscht, welcher zu einer Zunahme von Konsum und Investitionen führt. Auffälligerweise fällt der Zeitpunkt der Liberalisierung des Finanzwesens mit dem Beginn des zunehmenden Ressourcenverbrauchs passend zusammen. Dadurch entsteht eine künstlich überhöhte Nachfrage, die Wirtschaft lebt sozusagen über den eigenen Verhältnissen. Mittlerweile fällt das Wirtschaftswachstum allerdings deutlich schwächer aus, was zu einem geringeren Ansteigen des Warenangebots führt. Ein Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot lässt dabei die Preise steigen bzw. führt zu einer Entwertung des Geldes. Die höhere Inflation trifft dabei die sozial schlechter gestellte Gesellschaftsschicht besonders stark, da sie den Großteil ihres Einkommens für die Lebenserhaltung benötigt und auch keinen Zugang zu den billigen Krediten hat. Gewinner des Systems sind hingegen die kapitalstarken Investoren, welche durch ihre wirtschaftliche Kraft sich der günstigen Kredite bedienen und beim Spiel an den Finanzmärkten professionell agieren. Die Schere zwischen Arm und Reich geht somit weiter auf. Insbesondere während der Corona-Krise wurden große Mengen an Geld von den Zentralbanken in den Markt gepumpt. Gleichzeitig wird der Zins langfristig gedrückt, sodass sich Sparen nicht mehr lohnt und der Konsum zusätzlich angeheizt wird. Die ersten Anzeichen einer stark zunehmenden Inflation sind derzeit bei den steigenden Energiekosten spürbar, welche sich besonders stark auf die Warenpreise auswirken.

Vermögensverteilung

Die Entwicklungsorganisation Oxfam veröffentlichte im Jahr 2018 den Bericht “Der Preis der Profite“. In diesem Jahr gingen 82% des weltweiten Vermögenswachstums an das reichste Prozent der Bevölkerung. Mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens liegt zu diesem Zeitpunkt in den Händen dieses Hundertstels. Die Tendenz der letzten Jahre ist dabei steigend, während das Vermögen der ärmeren Hälfte stagniert. Eine stark ungleiche Vermögensverteilung zwingt einen Großteil der Bevölkerung in die Armut und führt zu einer unsolidarischen Gesellschaft. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird geschwächt, womit die Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie bedroht werden. Ungleiche Bildungschancen versperren die Aufstiegschancen und zementieren das Leben in der Armut. Ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft wird von der wirtschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen, was sich schlussendlich auf die gesamte Weltwirtschaft negativ auswirkt. Marktkonzentrationen und Monopolstellungen führen zu einer Bündelung der wirtschaftlichen Macht und bremsen das gesellschaftliche Innovationspotential. Die Corona-Krise wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger. Laut einer Studie der United Nations University wird durch Covid-19 die weltweite Armut massiv zunehmen und damit die Ungleichheit verstärkt.

Die derzeitige Situation wirkt anhand dieser Betrachtungen wenig stabil. Wesentliche ökologische, ökonomische und soziale Aspekte sind aus dem Gleichgewicht geraten. Das neoliberale Narrativ des sich selbst regulierenden Marktes scheint zu scheitern. Die Auswüchse des freien Wirtschaftens werden vermutlich durch drastische politische Maßnahmen stärker reguliert werden müssen. Damit verbunden wird wahrscheinlich ein verordneter Konsumverzicht und eine allgemein unfreiere Lebensweise sein. Inwiefern der gesellschaftliche Kitt die dadurch auftretenden Spannungen aushält, wird sich zeigen. Die durch Covid-19 verordneten Einschränkungen waren vermutlich nur ein geringer Vorgeschmack auf diese neue Zeit.

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Herta Abram Sa., 30.10.2021 - 10:26

Und die angesehene medizinische Fachzeitschrift The Lancet beschrieb den Klimawandel kürzlich als die "bestimmende Geschichte der menschlichen Gesundheit" in den kommenden Jahren – eine Krise, die durch weitverbreiteten Hunger, Atemwegserkrankungen, tödliche Katastrophen und Ausbrüche von Infektionskrankheiten gekennzeichnet sein wird, die noch schlimmer sein könnten als Covid-19.
Die Menschen in jeder Gesellschaft müssen bessere und verantwortungsvollere Entscheidungen treffen, was sie essen, wie sie reisen und was sie kaufen. Und junge Menschen – und Klimaaktivisten – müssen das tun, was sie bereits tun: von ihren Politikern Maßnahmen fordern und sie zur Rechenschaft ziehen.
Aus:
Der Klimatest von Glasgow – die Zeit der Nettigkeiten ist vorbei https://www.derstandard.at/story/2000130783453/der-klimatest-von-glasgo…

Sa., 30.10.2021 - 10:26 Permalink
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Stefan S Mi., 03.11.2021 - 13:23

Mit Covid 19 haben wir einen Vorgeschmack auf die zukünftigen Herausforderungen bekommen. Aber wie so oft reagiert die Politik und damit einhergehend auch die (Pharma-) Industrie darauf mit den üblichen Reflexen. Man bekämpft die Symptome aber die Ursachen werden weiterhin ignoriert. Alle nachwachsenden und vor allem auch einmaligen Ressourcen unseres Planeten werden weiterhin im Unverstand verschleudert. Ein realistischer Gamechanger ist nicht in Sicht.
In Glasgow geben Staats- und Regierungschefs Versprechen ab welche weder bindet noch realistisch sind. In Wirklichkeit werden wir von den Finanz- und Wirtschaftslobbyisten regiert welche nur ihre Umsatzrendite als Agenda vorzeigen können. Nachhaltigkeit findet sich bei diesen Globalplayern nur als Marketingstrategie wieder.
Am Ende des Tages muss unsere globalisierte Menschheit die eine wirkliche essentielle Frage beantworten und Rechnung tragen. Nach knapp 200 Jahren industrieller Revolution kommt dem Zitat "Die Revolution frisst Ihre Kinder" hier eine besondere Bedeutung zu.
Wieviel Mensch und zu welchen Lebensbedingungen verträgt unsere Mutter Erde

Mi., 03.11.2021 - 13:23 Permalink
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Thomas B. Sa., 27.11.2021 - 13:13

Der nächste Artikel, der mit politischen Maßnahmen, Konsumverzicht und Unfreiheit droht. Was Sie offenbar wollen, ist Sozialismus, Frau Bauer. Nennen Sie mir bitte ein System, dass in der Geschichte jemals funktionierte: Das von Mao? Stalin? Pol Pot? Honecker? Sie bauen aus der Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann – damit stimme ich mit Ihnen überein – Ideologien auf. Sie sprechen vom Autofahren für Privilegierte, Fleischessen für Privilegierte und finden die Schuldigen, um ihre These vom Great Reset zu untermauern, die bösen Kapitalisten, die einfacher an billige Kredite kommen und die Schere unter den Menschen weiter auseinander geht. Ich bin der Meinung, es ist besser, den Zentralisierungswahn zu stoppen und die Menschen vor Ort in die – um mit ihren Worten zu sprechen – politische Verantwortung zu nehmen, denn dort geht sie auch etwas an, anstatt das Klima „schützen“ zu wollen – das bedarf nun wirklich nicht unseres Schutzes – schon gar nicht mit Drohungen.

Wir diskutieren hier oft über das Was aber nicht das Wie. Das ist nicht zielführend. Dazu fällt mir eine kleine Geschichte ein, vielleicht wollen Sie mir noch ein bisschen zuhören:
Peru, das ich vor ein paar Jahren mit dem Rad bereiste, ist sehr bäuerlich und mit europäischen Augen arm. Die Menschen bringen ihre Erzeugnisse oft mühsam auf Lasttieren in die Stadt zum Markt, wo sie zum Kauf oder frisch zubereitet zum Essen angeboten werden. Meistens besteht letzteres aus Reis, Mais, Kochbananen, etwas Salat und Gemüse und immer mit einem kleinem Stückchen Fleisch; meist Ziege oder Huhn. Jeder kann sich dieses Essen leisten und niemandem würde einfallen, auf Fleisch zu verzichten, genauso wie niemand darauf kommen würde, sich ein 350g Nackensteak zu bestellen oder zuzubereiten, nur weil man „es könne“. Gesunde Lebensweise braucht keine Vorschriften; es kommt nur auf das Wie an. Und ersetzen Sie Erzeugnisse mit „Produkte“ und Lasttiere mit „klimaneutral“, dann haben Sie ihre Ideologie, von der ich anfangs sprach.

Sa., 27.11.2021 - 13:13 Permalink