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Einen Schritt zu weit für Südtirol

Wie ein junger Meraner das Land Südtirol und Schulamt mit einem "Klassenbuch" verärgert. Und von Kalifornien aus beruflich durchstarten will.

Seit vier Jahren arbeitet ein Team von knapp 200 Leuten (12 ständige Mitglieder, 12 Entscheidungsträger, 150 Sachbearbeiter, dazu externe Experten) im Auftrag des Landes an einem einheitlichen "Schulinformationssystem", unter anderem mit ESF-Geldern finanziert. Eines der sechs geplanten Programme ist das "Elektronische Klassen- und Lehrregister und Onlinezeugnis" - geplante Fertigstellung: Ende 2014. Die effektive Umsetzung soll dann per Wettbewerb ausgeschrieben werden, an dem sich auch Private beteiligen können.

Stefan Raffeiner hat in drei Monaten das geschafft, wofür das Land vier Jahre (und länger) braucht. Sein "digitales Klassenbuch" hat er während den Sommerferien 2012 gemeinsam mit drei Lehrern des Realgymnasiums Meran entwickelt. Es soll unnötigen Papier- und Schreibaufwand ersetzen und Lehrern, Schülern sowie Eltern online Zugriff auf Stundenplan, Noten, Absenzen und dergleichen ermöglichen. Nach einer ein-semestrigen Testphase haben Raffeiners Lehrer das Programm für gut befunden, in diesem gerade begonnenen Schuljahr wird das "digitale Klassenbuch" bereits von 15 Südtiroler Schulen verwendet. "Wir sehen diese Aktion nicht gerne", sagt Arthur Pernstich, Abteilungsdirektor am Schulamt, gegenüber der Tageszeitung Dolomiten vorige Woche. Es werde den Schulen "nahe gelegt", das vom Land ausgearbeitete Programm zu verwenden.
salto.bz fragt bei Stefan Raffeiner nach, nur wenige Tage nach seinem 22. Geburtstag, und erreicht den jungen Meraner auf skype, da er sich für ein anderes Projekt in den USA aufhält.

Herr Raffeiner, haben Sie von den USA aus die Debatte mitbekommen, die Ihr "digitales Klassenbuch" verursacht hat?

Stefan Raffeiner: Ja, ich war ganz überrascht, als ich von dem Artikel in der Dolomiten erfahren habe.

Wie bewerten Sie die darin zitierten Aussagen von Arthur Pernstich?
Es macht den Anschein, als wolle das Land sein eigenes Produkt durchboxen. Das Argument von Pernstich ist dabei, dass für alle Schulen eine einheitliche Lösung gefunden werden soll und die Arbeit daran dauert dann auch dementsprechend länger. Aber nicht alle Schulen wollen warten.

Die gesamte Landesmaschinerie ist einfach aufgebauscht. Ausschreibungen werden häufig auf die zwei Landesgesellschaften zugeschnitten, obwohl andere Lösungen schneller und kostengünstiger verfügbar wären.

Einige Schulen verwenden bereits für das Schuljahr 2014/15 Ihr Programm?
Vonseiten des Schulamtes hieß es, ich solle mit der Veröffentlichung meines Programmes bis zur Ausschreibung warten und mich dann daran beteiligen. Aber einige Schulen wollten das Programm direkt von mir kaufen. Das Problem beim Land ist, dass sich angekündigte Ausschreibungen häufig verzögern bzw. hinausgeschoben werden.

Ist das Schulamt je direkt an Sie herangetreten?
Nein, ich bin nie kontaktiert worden, nicht für das digitale Klassenbuch. Doch kennen mich die zuständigen Ämter von ähnlichen Projekten, an denen ich mich während meiner Oberschulzeit beteiligt habe. Damals hat mir das Land allerdings das Gegenteil von Unterstützung zukommen lassen. Ich habe sozusagen unter der Hand erfahren, dass die Ausschreibungen in diesem Bereich praktisch auf die zwei Landesgesellschaften zugeschnitten werden.

Was sagen Sie zu den laut gewordenen Vorwürfen, den innovativen und brauchbaren Ideen junger Südtiroler werde allzu häufig ein Riegel vorgeschoben?
In Südtirol betrifft das Problem nicht speziell junge Leute. Sondern die Landesmaschinerie arbeitet allgemein langsam, obwohl andere Lösungen schneller und kostengünstiger verfügbar wären. Der ganze Apparat ist einfach aufgebauscht.

Daheim ist es schön, aber meine berufliche Zukunft sehe ich außerhalb Südtirols.

Wie im Falle des öffentlichen "Schulinformationssystems", an dem gut 200 Leute mitarbeiten?
Es ist wichtig, dass solche Programme nicht ohne Beteiligung und Mitsprache mehrerer Betroffener realisiert werden. Aber in diesem Fall kann sich der ganze Aufwand nicht rentieren.

Bei der Ausschreibung zur Umsetzung des "Elektronischen Klassenbuches" werden auch Private zugelassen. Werden Sie sich daran beteiligen?
Ich werde mir die Ausschreibung anschauen und mitmachen, falls sie mich interessiert.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft?
Bis Anfang Oktober bin ich noch in San Francisco, wo ich Vollzeit für eine Wiener Startup-Firma tätig bin. Beruflich sehe ich meine Zukunft eher hier, in Kalifornien. Denn Südtirol ist für den Bereich, für den ich mich interessiere – junge neu gegründete Firmen, für die es große Netzwerke braucht – einfach zu klein. Daheim ist es schön, aber außerhalb Südtirols sehe ich eher eine Zukunft, zumindest auf beruflicher Ebene.

 

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Profil für Benutzer Alfonse Zanardi
Alfonse Zanardi Di., 09.09.2014 - 13:01

Bravo Raffeiner.

Und diese Aussage beschreibt den Innovationsansatz in Südtirol exakt:
"Ich habe sozusagen unter der Hand erfahren, dass die Ausschreibungen in diesem Bereich praktisch auf die zwei Landesgesellschaften zugeschnitten werden."
Verbände und Landesgesellschaften versuchen private Initiative abzuwürgen und sich Steuergelder zuzuschanzen. Gute Nacht.

Di., 09.09.2014 - 13:01 Permalink
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Profil für Benutzer Markus Gufler
Markus Gufler Mi., 10.09.2014 - 00:09

Mann, mann mann... das sitzt ordentlich! Man bedenke das Dr. Arthur Pernstich Abteilungsdirektor eines Schulamtes ist. EINES von dreien in Südtirol! Und dann redet er allen Ernstes von einer "einheitlichen Lösung" ?!?!?

Mi., 10.09.2014 - 00:09 Permalink
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Profil für Benutzer Robert Marley
Robert Marley Do., 11.09.2014 - 22:36

Es ist schon eigenartig wie sich Personen hier äußern, die keine Ahnung vom Ganzen haben.
Kurze meine Meinung: Hat Herr Raffeiner, so gut er auch programmieren kann, eine detaillierte Analyse der Bedürfnisse aller Schulstufen und -typen und aller Sprachgruppen gemacht.
Wurden die verschiedensten Schnittstellen zu den bereits vorhandenen Programmen in der Schulverwaltung (Schülerverwaltung, Stundenplanprogrammen, Protkollprogramme usw.) analysiert und implementiert.
Wurde die Dreisprachigkeit der Anwendung vorgesehen; ist die Kommunikation mit Eltern und Erziehungberechtigten in welcher Form auch immer vorgesehen. Wurde analysiert mit welchen Medien (PC, Notebook, Tablets, Smartphons) das "elektrinische Klassenbuch" in der Schulen geführt werden soll. Wie man sieht verschiedene Fragen ergeben sich in diesem Zusammenhang.
Außerdem ist festzuhalten, dass eine Ausschreibung in diesem Ausmaß öffentlich und voraussichtlich auch auf EU-Ebene ausgeschrieben werden muss. Nicht unter der Hand wird hier ein Auftrag gegeben.
Wenn das Programm von Herrn Raffeiner alle Bedürfnisse aller Schulen erfüllt, kann er sicherlich an der Ausschreibung teilnehmen.
Ja, beim Schulinformationsystem arbeiten viele Personen mit. Allerdings werden sollen einige Projekte umgesetzt werden, nicht nur das elektronische Klassenbuch.
Außerdem macht es nicht viel Sinn, wenn von den ca 120 – 130 Schulen verschiedene Anwendungen zum Einsatz kommne, warten wir noch die Zeit ab um dann ein guten Produkt verwenden zu können und Herr Raffeiner könnte ja der sein, der dann sein Produkt implementieren kann.

Do., 11.09.2014 - 22:36 Permalink
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Profil für Benutzer Harald Knoflach
Harald Knoflach Fr., 12.09.2014 - 05:55

Antwort auf von Robert Marley

das ist in der tat eigenartig. ein paar gedanken dazu:
- das programm ist aus der praxis heraus erwachsen und kann an die unterschiedlichen bedürfnisse angepasst werden. wobei sich mir nicht ganz erschließt, warum man unterschiedliche bedürfnisse haben sollte, was die eintragung in ein klassenbuch betrifft, nur weil man unterschiedliche sprachen spricht.
- das klassenbuch muss nicht dreisprachig sein, sondern in drei sprachen verfügbar sein. und da sehe ich kein problem.
- das programm funktioniert freilich auf pc, notebook, tablet und smartphone. wo ist der unterschied? komische frage.

aber du hast mit deiner aussage ohnehin - um im schuljargon zu bleiben - das thema verfehlt.
freilich wird man das ganze ausschreiben müssen. aber darum geht es nicht. die kritik richtet sich gegen zwei umstände:

- die schwerfälligkeit und gigantomanie des landes. selbst wenn das klassenbuch nur eines von sechs programmen im schulinformationssystem ist, mutet das verhältnis zwischen aufwand (finanziell und personell), zeitspanne (vier jahre) und ergebnis (???) unausgewogen an - um es milde auszudrücken. dass die schulen langsam die geduld verlieren, ist auch verständlich, denn es gibt nicht einmal einen klaren zeitplan, bis wann ein ergebnis zu erwarten ist. das kann noch jahre dauern. zudem sind in der riesigen mannschaft des landes so gut wie keine menschen aus der schulischen praxis. wie dann wohl die - auch von dir geforderte - anpassung an die bedürfnisse aller schulstufen und -typen erfolgen wird?
- der umgang mit geistigem und innovativem potential im land. natürlich hat sich das land strikt an die gesetzlichen vorschriften zu halten. aber zwischen illegaler "freunderlwirtschaft" und aktivem widerstand (den schulen wird mit großem druck "empfohlen", raffeiners programm nicht zu verwenden. sinngemäß also: "raffeiner, lass das!") gegen privatinitiative ist schon etwas spielraum. jedenfalls tut das land das gegenteil davon, was die politiker am sonntag predigen. hellen köpfen wird es mehr als schmackhaft gemacht, ihren erfolg nur ja nicht in südtirol zu suchen. tolle strategie.

Fr., 12.09.2014 - 05:55 Permalink
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Profil für Benutzer Markus Gufler
Markus Gufler Fr., 12.09.2014 - 19:22

Antwort auf von Robert Marley

Ein sehr bedenklicher Kommentar, beginnend damit dass man dem Gegner zu aller erst einmal jegliche Kompetenz zum Thema abspricht, sich selbst gleichzeitig aber als Fachmann im Schutzmantel eines geliehenen Namens darstellt.
Dann wird versucht eine unglaubliche 4 Jahre andauernde und noch immer nicht abgeschlossene"detailierte Analyse" damit zu rechtfertigen, dass sie ja für alle ein einziger großer Kompromiss sein müsste. Meine Meinung: wenn Version 1 der bestehenden Lösung nach 3 Monaten Entwicklung bereits 15 Schulen passt, dann sollte es in deutlich weniger als 4 Jahren möglich sein passende Lösungen (und nicht bloß Ausschreibungskriterien!) für die restlichen Schulen zu realisieren. Und ich bin mir auch sicher dass es neben Raffeiner mindestens 5 weitere junge fähige kreative Jungunternehmer, Teams oder auch bestehende Unternehmen aus der IT-Branche in Südtirol gibt die die restlichen Anwendungen realisieren können. Wer sagt übrigens, dass ein einheitliches Programm mittel- und langfristig die beste Lösung ist. Wenn die Schulen zwischen mehreren Lösungen wählen können entsteht ein Wettbewerb um das bessere Paket aus Preis, Leistung und Support. Ich kann mich an ein einheitliches Bibliotheksprogramm für alle sdt.Bibliotheken erinnern, das noch 8 Jahre nach Einführung von Windows95 in einem DOS Fenster gelaufen ist. Die 4 Jahre Projektierung deuten ganz klar auch 20 Jahre später noch auf ähnliche Innovationszyklen hin. Und ich kann sehr gut verstehen dass gerade die gewieften und ambitionierten Schulabgänger alles andere als in so einer Landes Abteilung versauern wollen. Hier bleiben und selbstständig umsetzen geht offensichtlich nicht, in Hinblick auf derart monopolisierend wirkende "Empfehlungsschreiben". Zumindest nicht wenn man dem abgekoppelten und in mehrfachem Wortsinn sehr "eigenartigen" Wirtschaftssystem der "privaten" SIAG in die quere kommt. Was bleibt ist brain drain, der am Sonntag als großes Problem kommuniziert, dann aber schon am Montag tatkräftig umgesetzt wird.
Als offensichtlicher Insider , Herr Marley erlaube ich mir an dieser Stelle die Frage ob und wenn ja wie viele Experten aus den Reihen der SIAG bzw. der damit fusionierenden Abteilung 9 als Experten an den bisherigen 4 Projektjahren beteiligt gewesen sind? Wäre es dann überhaupt ein fairer Wettbewerb ?

Fr., 12.09.2014 - 19:22 Permalink
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Profil für Benutzer Robert Marley
Robert Marley Do., 11.09.2014 - 22:37

Außerdem ist die Aussage von Herrn Tabon:
"alles versumpft und von Unfähigkeiten gelähmt."
beleidigend für die Personen die gewissenhaft und mit Kompetenz am Projekt mitarbeiten......
Herr Taibon erst nachdenken und dann schreiben ....

Do., 11.09.2014 - 22:37 Permalink
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Profil für Benutzer Martin Elsler
Martin Elsler Sa., 13.09.2014 - 14:18

Das ist doch überall das gleiche. Wenn ich die Aussagen von Dr. Pernstich lese, dann fühle ich mich auch gleich in die Sanität versetzt. Auch dort wird schon seit über 10 Jahren an einem einheitlichen System für alle Krankenhäuser hausintern gebastelt, mit mäßigem bis gar keinen Erfolg. Wenn man dann auch noch zu lesen bekommt, welche Summen diese Projekte bis heute verschlungen haben, dann wundert es mich nicht, dass an anderen Stellen rigoros Einsparungen vorgenommen werden müssen. Lassen wir uns also überraschen wie schnell das Schulamt bis zum Schluss ist, und wer letztendlich den Auftrag erhält. Würde mich gar nicht wundern, wenn es ein perfekt zugeschnittener Auftrag für einige wenige (Landes???)firmen gibt.

Sa., 13.09.2014 - 14:18 Permalink