Wirtschaft | Mineralwasser

Die Flasche der Pandora

Private Firmen verdienen am Mineralwasser jährlich Millionen. Das Land bekommt ein Trinkgeld. Ist die Nachlässigkeit der Südtiroler Politik hier wirklich nur ein Zufall?
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Foto: upi
Am 2. Jänner 2017 veranstaltete die Südtiroler Volkspartei ihren Neujahrsempfang. Gut 200 Ortsobleute folgten der Einladung in die Bierbrauerei Forst in Algund. Organisatorisch wurde der Politumtrunk vom ehemaligen SVP-Landtagsabgeordneten Alexander von Egen betreut, der inzwischen im Verwaltungsrat der Forst AG sitzt.
Es ist ein stimmiges Bild. Die Forst ist seit gut 70 Jahren in diesem Land nicht nur eine wirtschaftliche Macht, der Familienbetrieb aus Algund hat auch beste Kontakte zur Südtiroler Politik. Seit Jahren ist die Durchlässigkeit zwischen dem Forst-Imperium und der Landespolitik eine Konstante im Südtiroler Koordinatensystem. Während Alexander von Egen von der Landespolitik in die Unternehmensführung wechselte, ging der ehemalige Forstmanager Hermann Thaler den umgekehrten Weg. Dazu kommt, dass schon mal ein hoher Mitarbeiter des Landeshauptmannes aus dem Palais Widmann direkt zum Konzern wechselt.
Die Forst AG tritt seit Jahrzehnten südtirolweit aber auch als gefragter Sponsor auf. Vor diesem Hintergrund und den bekannten Finanznöten der SVP taucht unweigerlich die Frage auf, ob auch der SVP-Neujahrsempfang von der Brauerei gesponsert wurde. „Nein“, dementiert SVP-Landessekretär Gerhard Duregger auf Nachfrage von salto.bz, „der Empfang war eine Einladung der SVP-Parlamentarier.“
Aktuelle Brisanz erhält die Frage nach der Nähe des Konzerns zur Regierungspartei jetzt aber durch Enthüllungen auf einem ganz anderen Sektor.
 

Urzis Wasser

 
Der Landtagsabgeordnete Alessandro Urzí hat durch eine Landtagsanfrage zur Nutzung des Mineralwassers in Südtirol möglicherweise die Flasche der Pandora geöffnet.
Die Quellen und das Wasser sind in Südtirol öffentliches Gut. Im Land gibt es insgesamt 32 Mineralwasserquellen. Fünf davon werden von privaten Unternehmen für die Abfüllung von Mineralwasser genutzt. Dafür braucht es, ähnlich wie bei der Stromproduktion, eine Konzession des Landes. Für die Wasserentnahme muss der Konzessionär einen Wasserzins ans Land zahlen.
Alessandro Urzís Anfrage hat jetzt aber ans Tageslicht gebracht, wie lächerlich diese Gebühren sind und wie entgegenkommend sich die Landespolitik seit Jahrzehnten gegenüber den Südtiroler Mineralwasser- Produzenten verhält.
Denn die Unternehmen zahlen pro Quelle eine Pauschale von 7.114,20 Euro im Jahr ans Land. „Wenn man bedenkt, wie viele Millionen sie mit dem Mineralwasser verdienen“, ist Urzí erschüttert, „dann wird hier öffentliches Gut und Geld verschwendet“.
Italienweit werden im Jahr rund 11 Milliarden Liter Mineralwasser getrunken und auch produziert. Wie viel davon aus Südtirol stammen, wissen nur die Produzenten selbst. Denn in den zuständigen Landesämtern gibt es keinerlei Daten, wie viele Flaschen Mineralwasser in Südtirol jährlich abgefüllt werden. Bereits diese Tatsache ist erschreckend.
 
Aber man muss kein Wirtschaftsprofessor zu sein, um die Rechnung des „Alto Adige nel Cuore“- Landtagsabgeordneten nachzuvollziehen. Jede der fünf Südtiroler Quellen, für die eine Konzession besteht, schüttet zwischen drei und fünf Liter in der Sekunde aus. Das heißt, dass man theoretisch bei jeder dieser Quellen im Jahr zwischen 100 und 150 Millionen Flaschen abfüllen kann. Das ist ein Umsatz von über 20 Millionen Euro.
Vor diesem Hintergrund ist der Landeszins nicht einmal ein Trinkgeld. „Ich werde eine Eingabe beim Rechnungshof machen“, kündigt Alessandro Urzí an.
 

Meraner Geschenk

 
Was aber hat das Ganze mit der Forst AG tun?
Mehr als man denkt. Denn die Bierbrauerei ist auch der größte Mineralwasser-Produzent in Südtirol. Das Algunder Unternehmen besitzt gleich drei der fünf Südtiroler Mineralwasser-Konzessionen.
Die Brixner Unternehmerfamilie Fellin hat über ihre „Plose Quelle AG“ die Konzession für eine Mineralwasserquelle auf der Plose. Der Eppaner Unternehmer Marcello Giuliani hat vor über zehn Jahren über die Brenner Thermalquellen GmbH die Konzession für die Mineralwasserquelle Brenner erworben. Er füllt dort die Marke „Zacharias“ ab.
Der große Rest aber ist fest in der Hand der Forst AG. Die Bierbrauerei schöpft über ihre Kaiserwasser GmbH gleich zwei Quellen in Innichen ab. Dort werden die Marken Kaiserwasser und Lavaredo abgefüllt. Dazu kommt die Quelle St. Vigil am Vigljoch, wo die Acquaeforst GmbH das Meraner Mineralwasser abfüllt.
Von der Ende 2015 verstorbenen Grande Dame der Forst-Dynasty Margarethe Fuchs wird ein Ausspruch kolportiert, der die Situation bestens beschreibt: „Wenn ich gewusst hätte, wie viel Geld man mit Mineralwasser verdient, dann hätte ich mit dem Bier nie angefangen“.
Untermauert wird diese Aussage durch eine Sonderstellung, die erst jetzt öffentlich bekannt wurde. Die Forst AG zahlt seit Jahrzehnten für die Mineralwasserquelle St. Vigil keinen Cent ans Land. Nicht einmal die lächerlichen Kosten für den Jahreszins.
Der Grund für diese Vorzugsbehandlung wurde vom zuständigen Landesrat Richard Theiner jetzt transparent gemacht. Die Acquaeforst GmbH ist aufgrund eines Regionalgesetzes aus dem Jahr 1954 von jeder Zahlung befreit. Und das gleich bis ins Jahr 2038.
 

Odorizzis Befreiung

 
Ein erklärtes politisches Ziel der SVP ist die Abschaffung und Aushöhlung der Region. Und ausgerechnet auf einem Gebiet, auf dem das Land primäre Gesetzgebungskompetenz hat, gilt im Jahr 2017 ein fast 65 Jahre altes Regionalgesetz?
Das mutet zumindest merkwürdig an. Schaut man sich das Gesetz genauer an, wird dieses Gefühl aber noch stärker.
 
 
Am 26. Juli 1954 erließ Regionalausschusspräsident Tullio Odorizzi das Regionalgesetz Nr. 22 mit dem Titel „Beteiligung der Region an der Gründung der Gesellschaft für die Verwertung und Aus­beutung der radioaktiven Gewässer von Meran“. Darin wird festgehalten, dass die Konzession für die Quellen am Vigiljoch unentgeltlich einer mehrheitlich öffentlichen Gesellschaft zugesprochen werden.
Vier Jahre später wurde diese Gesellschaft dann unter dem Namen „Società Azionaria Lavorazione Valorizzazione Acque Radioattive" (S.A.L.V.A.R.) gegründet. Die S.A.L.V.A.R. eröffnete 1972 in Meran das Kurbad, das aus den radioaktiven Quellen des Vigiljoch gespeist wurde. 1982 wurde das Unternehmen in Meraner Kurbad AG umbenannt. Später wurde daraus die Therme Meran AG.
In Odorizzis Gesetz heißt es aber:
„Die Konzession gilt für die Dauer der zu gründenden Gesellschaft. Für den Fall einer vorzeitigen Auflösung der Gesellschaft versteht sich die Konzession als für widerrufen.“
Die SALVAR gibt es schon lange nicht mehr. Wenn überhaupt, sind die Thermen der Rechtsnachfolger und Konzessionsinhaber.
Wie das Privatunternehmen Acquaeforst GmbH in den Genuss nicht nur der Konzession, sondern auch der Befreiung kommen kann, ist bisher ein Geheimnis des Glaubens. Die Konzession kann man gekauft haben. Aber die Gebührenbefreiung?
Tatsache ist, dass der Konzern das Vigiljochwasser gut 80 Jahre lang kostenlos nutzen kann. Und damit Millionen verdient.
 

Vergessliche Politik

 
Wir sehr die Südtiroler Politik wegschaut und wie sorglos die SVP bis heute mit diesem öffentlichen Gut umgeht, zeigt sich an vielen weiteren Episoden. Wie ein roter Faden zieht sich diese politische Vergesslichkeit durch die letzten 25 Jahre.
Als die Vereinten Nationen das Jahr 2003 zum „Internationalen Jahr des Wassers“ ausrufen, beteiligt sich auch das Umweltressort an dieser Kampagne. Während der Hitzewelle in der Woche vom 9. bis zum 13. Juni 2003 wird spontan die Idee geboren, Mineralwasser dreier Südtiroler Hersteller an durstige Passanten kostenlos zu verteilen.
So steht der damalige Umweltlandesrat Michl Laimer am 13. Juni 2003 auf den Bozner Talferwiesen und verteilt Mineralwasser der Unternehmen Kaiserwasser, Plose und Brenner Thermalquellen. Weil vier Monate später Landtagswahlen angesagt sind und der Wahlkampf begonnen hat, will der damalige Union für Südtirol-Abgeordnete Andreas Pöder in der aktuellen Fragestunde des Landtages wissen, wie viel diese Wahlkampfaktion gekostet hat. Michl Laimer weist die Unterstellungen von sich und erklärt, dass die Unternehmen das Wasser kostenlos zur Verfügung gestellt hätten.
Genau zwei Jahre später legt Umwelt- und Energielandesrat Michl Laimer das Landesgesetz „Bestimmungen über die Nutzung der Gewässer und die elektrischen Anlagen“ vor. Darin enthalten: Die Regelung und die Konzessionsgebühren für die Mineralwasserquelle.
Es sind jene gesetzlichen Bestimmungen und Gebühren, die bis heute gelten.
 

Die Untersuchung

 
Am 22. März 2010 stellt der italienische Umweltverband „Legambiente“ in Rom ein Dossier mit dem aussagekräftigen Titel „Il far west dei canoni di concessione per le acque minerali“ vor. In der detaillierten Untersuchung werden die Konzessionsgebühren für Mineralwasser in allen italienischen Regionen erhoben und verglichen. Südtirol landet mit anderen Regionen an letzter Stelle.
 
 
Die Konzessionsgebühren für Mineralwasser werden in Italien fast überall anhand des Einzugsgebietes der Quellen berechnet. Das heißt, die Unternehmen zahlen pro Hektar eine Fixgebühr. Dazu verlangen einige Regionen aber zusätzliches Geld für die abgefüllte Menge. Im Veneto etwa sind es 3 Euro pro Kubikmeter abgefülltem Wasser, im Latium 2 Euro und im Aostatal 1,5 Euro.
Auch in der Nachbarprovinz Trentino sind die Abgaben völlig anders geregelt. Dort wurde 2009 eine neues Gesetz erlassen, das einen Fixbetrag von 35 Euro pro Hektar Einzugsgebiet vorsieht und 1,20 Euro pro Kubikmeter abgefülltem Mineralwasser.
Ein Kubikmeter Wasser sind 1.000 Liter. Würde man dieses System auf Südtirol anwenden, würde jede der fünf Quelle dem Land rund 150.000 Euro im Jahr einbringen.
 

Plötzlich Aufwachen

 
Alessandro Urzís Anfrage scheint urplötzlich Südtirols Politik aus dem Mineralwasserschlaf gerissen zu haben.
In Anbetracht der Entwicklungen auf dem Mineralwassermarkt wurden Vorschläge zu einer angepassten Regelung des Wasserzinses ausgearbeitet, die neben einem höheren Wasserzins für das abgeleitete Mineralwasser auch einen Wasserzins für die abgefüllte Wassermenge vorsieht", erklärte Umweltlandesrat Richard Theiner am Dienstag. Ein entsprechender Vorschlag sei bereits im Dezember in der Landesregierung besprochen und den Ämtern zur weiteren Bearbeitung übermittelt worden.
Klingt gut. Doch die Realität sieht deutlich anders aus. Im Frühsommer 2016 verabschiedete der Landtag ein Omnibusgesetz, in dem auch die Neuregelung für die Vergabe der Mineralwasserkonzessionen festgeschrieben wurde. Es wäre logisch und sinnvoll gewesen, dass man die neue Gebühren in diesem Gesetz festschreibt.
Das wurde aber unterlassen. Dafür hat die Landesregierung die bestehende Regelung im Dezember 2016 für weitere zwei Jahre verlängert.
Es wird also noch viel Mineralwasser in die Flaschen der Südtiroler Konzessionäre fließen, bis die SVP reagieren wird.
Und noch mehr Geld in die Brieftaschen einiger weniger.


Lesen Sie hier das Dossier von Legambiente