Chronik | Flüchtlinge

Offene Fragen

Pflichtanwalt Martin Ohrwalder sieht nach der Schlägerei im Ex-Alimarket noch jede Menge offenen Fragen – und keinen Grund für einen Rauswurf aus der Notunterkunft.
Alimarket
Foto: Youtube

„Warum diese ewige politische Korrektheit?“, fragt sich am Mittwoch die Südtiroler Freiheit. Ganz im Fahrwasser von zahlreichen Kommentaren und Facebook-Posts empört sich die politische Bewegung darüber, warum „mit unvorstellbarer Rücksichtslosigkeit gegenüber der rechtschaffenen Bevölkerung, Straftäter aus dem Gefängnis entlassen werden.“ Die Rede ist von den acht Asylwerbern, die nach der Schlägerei im Aufnahmezentrum im Ex-Alimarket-Gebäude in der Nacht auf Ostermontag verhaftet wurden und am Dienstag nach der Festlegung eines Verhandlungstermins am 20. Juni wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.  Und nun laut Medienberichten aus ihrer bisherigen Unterkunft fliegen sollen, wie auch Soziallandesrätin Martha Stocker vor einem Treffen in der Quästur am Donnerstag im RAI-Morgentelefon bestätigte.

Während dort vor allem diskutiert wurde, wie randalierenden Flüchtlingen mit verstärkter Kontrolle durch die Sicherheitskräfte begegnet werden können, rückt der Pflichtverteidiger von fünf der Verhafteten die Fakten am Mittwoch etwas zurecht. „Mir ist bisher keine Verfügung über einen Ausschluss meiner Mandanten aus dem Aufnahmezentrum bekannt“, sagt der Bozner Rechtsanwalt Martin Ohrwalder. Sollte sie erlassen werden, will der Jurist gemeinsam mit dem zweiten Pflichtverteidiger in der Causa, Anwalt Johann Zöggeler, eine Anfechtung erwägen.  Denn aufgrund der Informationen, die in der gestrigen Verhandlung vorlagen, sieht Ohrwalder wenig Handhabe für eine solche Maßnahme, wie er meint. Einerseits weil zumindest seine fünf Mandaten alle einen regulären Asylantrag gestellt hätten, auf den es in einigen der Fälle auch schon erste positive Antworten gegeben hätte.

 „Auch jede einheimische Person wäre in solch einem Fall nicht länger in U-Haft oder würde wahrscheinlich nicht einmal verhaftet werden.“

Andererseits weil alle Verhafteten bis zur Nacht auf Ostermontag unbescholtene Personen waren und noch einige Fragen zu der Auseinandersetzung in der Notunterkunft offen seien. „Der Staatsanwalt selbst war am Dienstag der Meinung, dass es keinen Bedarf für eine Untersuchungshaft gibt, weil  alle Verhafteten bisher weder auffällig noch bei der Polizei gemeldet oder vorbestraft sind“, erzählt Martin Ohrwalder. Vor allem gäbe es zur Dynamik der Schlägerei noch jede Menge offene Fragen. „Die Polizei selbst hat bestätigt, dass vor Ort 30 Leute involviert waren“, sagt der Anwalt. Bisher ist laut ihm aber völlig offen, warum ausgerechnet diese acht Menschen verhaftet wurden. Ausschlaggebend dafür dürfte die Verletzung eines Polizisten sein, deren Hergang aber  bislang noch im Dunklen liege. Nun sei deshalb erst einmal zu beweisen, dass jemand dieser acht Personen gewalttätig gegenüber dem Polizisten war. „Wenn dagegen zwei Gruppen gegeneinander vorgegangenen sind und keiner von ihnen eine Anzeige macht, kann die Sache eigentlich keine  großen Konsequenzen haben.“

Um all die offenen Fragen zu klären, haben die Anwälte am Dienstag eine Frist beantragt, um die Verteidigung vorbereiten zu können. Bis 20. Juni soll nun je nach Faktenlage auch entschieden werden, ob man sich für eine Strafzumessung oder einen normalen Prozess entscheidet.

Dass seine aktuelle Aufgabe nicht leicht ist, ist dem Bozner Anwalt vor allem angesichts der öffentlichen Stimmung klar. „Doch es ist wichtig, dass für solche Menschen genauso wie für italienische Staatsbürger erst einmal die Unschuldsvermutung gilt“, sagt Ohrwalder. Den Vorwurf, gerade im Fall von Flüchtlingen eine Vorzugsbehandlung einzuräumen, weist er von der Hand. „Das ist absolut daneben“, sagt Ohrwalder. „Auch jede einheimische Person wäre in solch einem Fall nicht länger in U-Haft oder würde wahrscheinlich nicht einmal verhaftet werden.“