Umwelt | Unwetter

Die Wunden des Waldes

1,2 Millionen Kubikmeter Wald sind den Unwetterstürmen zum Opfer gefallen. Zum Entsetzen über die zerstörte Natur kommt die Trauer um zwei weitere Tote.
Unwetterschäden
Foto: FF Kardaun-Karneid

Es sind schaurig-schöne Bilder, die Walter Donegà seit einigen Tagen auf seiner Webseite veröffentlicht. Von oben hält der Bozner Fotograf die Spur der Verwüstung fest, die die Unwetterstürme Anfang der Woche verursacht haben. 1,2 Millionen Kubikmeter Wald sind den heftigen Sturmböen südtirolweit zum Opfer gefallen. 300.000 Kubikmeter allein am Karerpass, wo Walter Donegà in den letzten Tagen häufig unterwegs war. 500 Hektar Wald hat der Wind im Latemargebiet umgeworfen. “Ein Kriegsschauplatz”, schreibt Donegà dazu auf Facebook.

Die Hälfte der gesamten Landesfläche Südtirols ist bewaldet – über 370.000 Hektar. 105.188.527 Kubikmeter beträgt der Holzvorrat laut Angaben der Abteilung Forstwirtschaft in Südtirol. Als Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, als Ressourcenlieferant, Sauerstoffspeicher und Schutzwall gegen Wasser- und Schneemassen sind die Wälder von unschätzbarem Wert. 150 Millionen Kubikmeter Wasser hat das Ökosystem Wald am vergangenen Wochenende aufgesogen. Zum Vergleich: Der Reschensee fasst in etwa 120 Millionen Kubikmeter Wasser.

In der Grünen Lunge des Landes klafft nun eine offene Wunde.

Bis diese vernarbt oder gar verheilt sein wird, werden Jahre, Jahrzehnte, ja Jahrhunderte vergehen. Abgesehen vom Landschaftsbild, das sich in den betroffenen Gebieten – vor allem in den Dolomiten liegen auf riesigen Flächen umgewehte und umgeknickte Bäume – nachhaltig verändern wird, ist die Schutzfunktion der Wälder massiv gestört. “Die Folgen des Unwetters für die betroffenen Waldgebiete sind wirklich verheerend”, meint Landesrat Arnold Schuler am Freitag im Dolomiten-Interview, “bis die Wunden komplett verheilt sind, braucht es hundert bis zweihundert Jahre”, “die Spätfolgen kann man noch gar nicht abschätzen”.

Eine erste Bilanz über die Schäden kann der Landesrat noch nicht ziehen. Zunächst gilt es, mit den Aufräumarbeiten fortzufahren. Erschwert wird die ohnehin schon gefährliche Arbeit im Wald, dadurch “dass alles kreuz und quer und übereinander liegt”, erklärt Schuler. Die Unmengen an Holz müssen zwischengelagert werden, den betroffenen privaten Waldbesitzern sichert der Landesrat Unterstützung zu. Das Ausmaß der Schäden werde aber den Rahmen der dafür bereit gestellten öffentlichen Gelder “bei Weitem sprengen”. “Die Schäden, so viel kann man jetzt schon sagen, gehen in die Dutzende von Millionen Euro.”

Als “strage degli alberi” bezeichnen nationale Medien die abertausenden toten Bäume, die es nicht nur in Südtirol, sondern auch im Trentino und im Veneto gibt. “La sua distruzione impoverisce l’intero Paese, non solo le nostre amate valli di montagna”, schreibt Isabella Bossi Fedrigotti im Corriere della Sera über den Wald, der nicht mehr ist.

Zum Entsetzen über die zerstörte Natur kommt die Trauer um zwei weitere Tote, die die Unwetter Anfang dieser Woche gefordert haben. In Antermoia im Gadertal ist ein 81-Jähriger am Dienstag bei Reparaturabeiten vom Dach seiner Almhütte gestürzt und verstorben. Ein 53-Jähriger aus Goldrain ist im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen nachdem er in der Nacht von Montag auf Dienstag bei Goldrain bei der Ausfahrt aus einem Tunnel mit seinem Auto gegen umgestürzte Bäume gefahren war.

Montag Nacht war der 52-jährige Campiller Feuerwehrmann Giovanni Costa bei Räumungsarbeiten im Gadertal von einem Baum erschlagen worden.

Es ist die Zeit von Allerheiligen und Allerseelen – die Tage zum Gedenken an die Toten bekommen in diesem Jahr eine neue, traurige Bedeutung.