Society | Integration

„Südtirol muss es sich leisten können“

Weil die Provinz keine geeigneten Einrichtungen für Flüchtlingsfamilien bereitstellt, helfen Private weiter. Über Erfolge des Zeilerhofs und Rückschläge der Bürokratie.
Winterhaus 2 im Zeilerhof Familien
Foto: Paul Tschigg

Seit Februar ist der Zeilerhof in Gries eine Unterkunft für obdachlose und geflüchtete Frauen und Familien geworden. Es ist die zweite private Unterkunft, die seit diesem Winter obdachlose Menschen aufnimmt. Zuvor hatte bereits Heiner Oberrauch sein Gebäude in der Carduccistraße zur Verfügung gestellt, daraufhin folgte ihm der Unternehmer Hellmuth Frasnelli mit dem Zeilerhof (Salto berichtete). Die beherbergten Frauen und Familien werden täglich von Freiwilligen besucht, die mit den Kindern spielen oder ihnen bei den Hausaufgaben helfen und die Familien betreuen. Zwei der Freiwilligen sind Paul Tschigg und Caroline von Hohenbühel. Sie erzählen von den positiven Veränderungen der Gäste seit ihrer Ankunft im Zeilerhof, aber auch von traurigen Abschieden und bürokratischen Rückschlägen.

 

salto.bz: Der Winterhof 2 im Zeilerhof wurde am 8. Februar zusätzlich zum Winterhaus 1 eröffnet. Woher kam die Notwendigkeit, eine zweite private Struktur für Flüchtlinge und Obdachlose zu öffnen

Paul Tschigg: Im Winterhaus in Carduccistraße war es so, dass unsere Gäste um 8 Uhr morgens das Haus verlassen mussten, und nur die Nacht dort verbringen konnten. Den Tag verbrachten sie auf der Straße. Wo sollten die Kinder der Familien, die nachmittags aus der Schule kommen, ihre Hausaufgaben machen? Deshalb wollten wir für Kinder und Frauen eine Unterkunft schaffen, in der sie auch tagsüber bleiben können. Jede Familie bekommt einen Schlüssel, dadurch sind sie autonom und können kommen und gehen wann sie wollen. 

Welche Familien und Gäste sind zurzeit bei euch untergebracht?

Caroline von Hohenbühel: Wir beherbergen zurzeit eine Familie aus dem Libanon mit drei Kindern, und zwei obdachlose Frauen. Zuvor wohnte noch eine Familie aus Albanien bei uns, aber die wurde dann mit einer handgeschriebenen Ankündigung einfach so verschickt, wie ein Postpaket. Keiner wusste wohin. Zum Glück ist es gut gegangen, sie haben uns angerufen und gesagt, dass sie in der Toskana in einem Sprar [Aufnahmezentrum auf Gemeindeebene für Asylsuchende, Anm. d. Red] aufgenommen wurden. Auch unsere zwei Neuankömmlinge, eine kurdische Familie aus dem Irak mit zwei Kindern, und eine junge kolumbianische Familie mit Baby, konnten nicht lange im Zeilerhof bleiben.  

 

Was ist passiert?

Tschigg: Wir haben gemerkt, dass die Familien durch die Verlagerung in den Zeilerhof aus dem offiziellen System herausgefallen sind. Es ist uns gelungen mithilfe der Caritas sie wider ins System mitaufzunehmen, und somit mussten sie in einer offiziellen Struktur einziehen, und zwar dem Ex-Gorio in der Schlachthofstraße, um im offiziellen Asylverteilungssystem wieder integriert zu werden. Am Freitag hätten sie abgeholt werden sollen, aber keiner kam. Also haben wir sie in das Flüchtlingszentrum gebracht. Das war nicht leicht, und es flossen viele Tränen. Man muss sich vorstellen: Der Zeilerhof ist ein schöner Ort, mit Garten für die Kinder zum Spielen. Die Kinder hatten sich alle so gut verstanden. Das Ex-Gorio hingegen liegt in der Schlachthofstraße, an einem Ort, der rundherum sehr schmutzig ist. Die Struktur besteht aus Container, die von Zaun umrundet sind. Das ist kein Ort für Kinder und Familien. 

Von Hohenbühel: Das Gorio ist eine Familienunterkunft, daher dürfen die Männer nicht bei ihrer Familie übernachten, sonder sie sind in einem anderen Zentrum untergebracht, das auch noch weit entfernt vom Bozner Boden liegt. Außerdem dürfen die Familien dort nur nachts bleiben, tagsüber sind sie wieder auf der Straße. 

Was muss eurer Meinung nach beim Aufnahmesystem von Flüchtlingen geändert werden? 

Tschigg: Man kann nicht eine Familie mit Kleinkindern und Babys tagsüber auf der Straße lassen, und sie von den Vätern trennen. Da muss man Strukturen schaffen! Menschenwürdige Strukturen!

Von Hohenbühel: Das Problem liegt bei der Koordination zwischen dem italienischen Regierungskommissariat, der Provinz und der Stadt. Zwischen der Provinz und der Stadt wird immer diskutiert: Sind es Obdachlose, und daher die Stadt verantwortlich? Oder doch Flüchtlinge, um die sich die Provinz kümmern muss? Jeder schiebt es dem anderen zu, weil es ums Geld geht. Im Fall von vielen Flüchtlingen bleibt auch der Staat untätig, weil die Regierung sagt: Flüchtlinge kommen nur vom Süden, alle anderen berücksichtigen wir nicht. Daher werden jene, die zum Beispiel über die Balkanroute kommen, nicht in die Quoten aufgenommen. Dabei wissen wir, es kommen sehr wohl auch Migranten vom Norden her. 

Tschigg: Es fehlt am Willen der gesamten Politik. Denn es wäre machbar, die Aufnahme und Integration besser zu gestalten, so hoch sind die Zahlen bei uns auch gar nicht. Südtirol muss es sich leisten können.

Wie war eure Erfahrung mit den Flüchtlingen im Zeilerhof bisher? Fühlten sich die Familien wohl?

Tschigg: Wir haben gesehen, dass die beiden Frauen, die viele Jahre auf der Straße lebten, sich komplett verändert haben. Seit sie Schutz haben, und ein Dach über dem Kopf, sind sie nicht wieder zu erkennen. Sie fühlen sich pudelwohl mit den Familien und tragen zum guten Zusammenleben bei. Eine der Frauen war zum Beispiel immer sehr aufgewühlt, fast schon aggressiv. Mittlerweile redet sie mit allen, lacht und sorgt im gesamten Haus für Unterhaltung. Auch ihre Mitbewohnerin war am Anfang sehr verschlossen. Heute kann ich mich zu ihr hinsetzen und eine Stunde lang in Ruhe mit ihr reden. Sie ist ein sehr interessanter Mensch. 

Von Hohenbühel: Es geht den Frauen auch körperlich besser, sie sind aktiver und sehen viel gesünder aus. Man würde sie wirklich nicht wiedererkennen.

Tschigg: Wir versuchen vor allem auch die Kinder ein bisschen zu motivieren und Freizeitaktivitäten zu gestalten. Zum Beispiel zu Fasching haben Freiwillige die Kinder verkleidet und sind mit ihnen auf die Talferwiese gegangen. Ein besonderer Tag war auch ein Rodelausflug. Die Kinder waren begeistert, sie haben zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee gesehen und Rodeln. Wir werden bald noch so einen Ausflug machen. Das haben wir ihnen versprochen.

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Michael Bockhorni Sun, 03/08/2020 - 12:39

ja Aussagen, die auch auf andere Menschen in sozialen Notlagen (statt von Randgruppen zu sprechen) zutreffen, wenn man sie menschenwürdig unterbringt und betreut.

Sun, 03/08/2020 - 12:39 Permalink
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Karl Trojer Tue, 03/10/2020 - 10:29

Dass unser reiches Land Südtirol Mühe hat, Flüchtlinge aufzunehmen und würdig zu integrieren, ist erschreckend ! Den Unternehmern Heiner Oberrauch und Hellmuth Frasnelli sei Dank für ihre Initiativen ! Vor unseren Türen, auf Lesbos und längs der syrisch-türkischen Grenze erleiden Kinder, Mütter, Väter, alte Menschen Hunger, Kälte, Ausgestoßensein... wo bleiben da unsere humanen Werte, wo die "Nächstenliebe" dieses "christlichen" Abendlandes, wo die Stimmen der Kirchen ? Da streiten sich Staaten um die Aufnahme von 1500 heimatlose, und kranke Kinder... Wenn die EU den willigen Kommunen das Recht auf rasche Aufnahme zugestehen würde, wäre bereits viel Leid genommen. Unsere Grenzen mit Stacheldraht und scharfen Waffen gegen nackte Menschen verteidigen zu wollen, ist Mord und Totschlag; dies wird den klimabedingten Füchtlichsstrom nicht aufhalten können. Die EU, ihre Staaten, die Kirchen mögen endlich alle erforderlichen Initiativen für Frieden in Syrien, im Irak, in Afrika ergreifen und wesentlich dazu beitragen, dass Menschen nicht weiter wegen Krieg und Hunger aus ihrer Haimat flüchten müssen.

Tue, 03/10/2020 - 10:29 Permalink