Ambiente | Urbanistik

Hommage an eine Schwergeburt

Am 1. Juli tritt mit gut 5 Jahren Verspätung das Landesgesetz „Raum und Landschaft“ in Kraft. Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer stellte das Gesetz heute vor.
Urbanistica, paesaggio, edilizia
Foto: Suedtirolfoto/Helmuth Rier
Es ist ein ganz besonderes Gesetz. Denn man arbeitet je nach Ansicht entweder seit 2011 oder 2013 dran. Mindestens vier Landesräte, Michl Laimer, Elmar Pichler Rolle, Richard Theiner und jetzt Maria Hochgruber Kuenzer haben dem Langzeitvorhaben ihren Stempel aufzudrücken versucht.
Selbst in der Genehmigungsphase passierte etwas, was es vorher noch nie in Südtirol gab. Der Landtag verabschiedete das neue Landesgesetz „Raum und Landschaft“ im Juli 2018. In Kraft tritt das Gesetz aber erst heute am 1. Juli 2020.
Es ist eine Schwergeburt mit einigen Schönheitsfehlern. Ungefähr so, wie wenn sie heute eine neuen Computer kaufen und dieser ihnen in zwei Jahren geliefert wird. Dann ist der Computer längst schon wieder alt.
So ähnlich ergeht es auch diesem neuen Gesetz. Schon im Vorfeld forderten Fachleute, Gemeindeverwalter und Politiker einen weiteren Aufschub. Der Hauptgrund: Der Großteil der geplanten Durchführungsverordnungen wurde von der Landesregierung noch nicht erlassen.
Das Gesetz sei demnach in vielen Punkten nicht anwendbar.
Dass unter den hunderten Architekten und Ingenieuren, die in einem offenen Brief das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Juli kritisiert haben, auch einige Sachverständige des Landes aufscheinen, soll man – nach Informationen von Salto.bz -  im Assessorat und in der Landesregierung mit besonderer Missbilligung quittiert haben.
Die eindeutig undankbarste Aufgabe hat dabei Maria Hochgruber Kuenzer. Die amtierende Urbanistiklandesrätin muss jetzt das auslöffeln, war ihr andere eingebrockt haben. Kuenzer kennt dabei die Schwachstellen der gesamten Operation bestens. Ein weiterer Aufschub würde für sie persönlich aber einer politische Bankrotterklärung gleichgekommen.
 

Die Vorstellung

 
Das neue Landesgesetz sei „eine Wertschätzung, eine Hommage an unsere Landschaft“, erklärte Maria Hochgruber Kuenzer heute bei der Vorstellung des neuen Gesetzes. Es gehe nicht mehr um die Frage, wer wo wieviel bauen darf, sondern darum, ungenutzte Bestände einer neuen Nutzung zuzuführen. Innerhalb der Siedlungsgebiete komme freien Räumen als Erholungs- und Begegnungsorten ein neuer Stellenwert zu. Auch die Anbindung der Siedlungen an nachhaltige Verkehrswege werde von vornherein mitgeplant. „Auf diese Weise rücken die Natur und die Landschaft ins Blickfeld und erhalten mehr Wertschätzung. Sie sind Südtirols Kapital“, so die Landesrätin.
 
 
Das Gesetz wurde im Walthersaal in Klausen mit einer Pressekonferenz vorgestellt, an der auch Klausens Bürgermeisterin Maria Gasser Fink, der Präsident des Gemeindeverbandes Andreas Schatzer und der Ressortdirektor Frank Weber teilnahmen.
Maria Hochgruber Kuenze; „Ein besonders wichtiger Aspekt ist, dass das neue Gesetz die Zuständigkeit für die Planung der Siedlungsgebiete den Gemeinden überträgt, die die Bedürfnisse vor Ort kennen und die Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung miteinbeziehen können". Die Identität mit dem Ort und der Gemeinschaft werde damit gestärkt: „Ich sehe im Gesetz eine Chance für die Gemeinden, sich das jeweils für sie maßgeschneiderte Kleid zu fertigen“, so die SVP-Politikerin.
 

Klausner Erfahrung

 
 
Das Land hat die Anwendung der neuen Bestimmungen rund ein Jahr lang in einigen Pilotgemeinden getestet. Darunter auch Klausen. Bürgermeisterin Maria Gasser Fink, berichtete, dass sich die Bürger aller vier Fraktionen - Latzfons, Verdings, Gufidaun und Klausen – an einer Planungswerkstatt beteiligt haben. "Für einige für die Zukunft Klausens wichtige Projekte konnten so gute Anregungen im Sinne des neuen Gesetzes gefunden werden, zum Beispiel für den Zug- und Busbahnhof als Mobilitätszentrum, das Seilbahnprojekt von Klausen bis Verdings und die Ausschreibung der neuen Sportzone", erklärte Gasser Fink.
Besonderen Wert für die Gemeindeverwalter habe dabei das neue eingeführte Gemeindeentwicklungsprogramm.  „Es geht um das Vorausdenken, auch über die Frage, wie viel Wachstum in der eigenen Gemeinde gewünscht ist“ so die Klausner Bürgermeisterin.
 

Die Anlaufstelle

 
Andreas Schatzer, Präsident des Südtiroler Gemeindenverbandes, erklärte im Rahmen der Pressekonferenz noch einmal die Aufgabe der neuen Gemeindekommission für Raum und Landschaft. „Sie ist keine Baukommission mehr, wie wir sie derzeit kennen, sondern eine Raumordnungskommission auf Gemeindeebene, die nicht über Projekte entscheidet, sondern den Gemeinden als beratendes Organ zur Seite steht“, sagt Schatzer.
 
 
Nach den Gemeinderatswahlen wählen die Gemeinden ihre Mitglieder für die neue, siebenköpfige Kommission, die aus Sachverständigen für Raum und Landschaft besteht. Zudem müsse in allen Gemeinden die Servicestelle für Bau- und Landschaftsangelegenheiten eingerichtet werden, die als einzige Anlaufstelle für alle Bau- und Landschaftsangelegenheiten für Bürger und Techniker dient.
Als weitere wichtige Neuerung ging der Gemeindenverbandspräsident auf die Einführung der digitalen Bauakte ein. Damit gehörte die Papierform der Vergangenheit an: Alle Dokumente werden digital eingereicht und ausgegeben. Zugleich werden mit den digitalen Akten die Abläufe der Verfahren standardisiert.
Andreas Schatzer ging bei der Vorstellung aber auch auf die breite Kritik ein. „Viele haben den heutigen Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes in Frage gestellt. Sicher: Es wird Schwierigkeiten in der Umsetzung geben. Und es werden auch Anpassungen nötig sein. Aber all dass ist bewältigbar." Er sei zuversichtlich, dass dies in enger Abstimmung mit Landesregierung und Landesverwaltung gelinge.
 

Einheitliche Standards

 
Ressortdirektor Frank Weber erläuterte im Anschluss die neue Qualität in der Raumplanung: "Südtirol wird künftig mehr planen müssen – um transparente Rahmenbedingungen zu schaffen, um Baurechte eigenverantwortlich wahrnehmen zu können, um politisch mitbestimmen zu können: Das neue Gesetz schafft die Grundlagen für diesen Paradigmenwechsel", betonte Ressortdirektor von Maria Hochgruber Kuenzer. Die Durchführungsverordnungen würden die Standards festlegen, in denen sich Gemeinschaft und Bürger entwickeln können: "Einheitliche Standards im Bauwesen sollen zum besseren Verständnis und zur Klarheit in der Anwendung von Bestimmungen im gesamten Land beitragen", so Weber.
 

Begleitung durch Land

 
Abschließend erklärte Landesrätin Hochgruber Kuenzer, wie der Übergang zum neuen Gesetz von Statten gehen wird: „Da die Gemeinderatswahlen aufgrund der Covid-Pandemie von Mai auf den Herbst verschoben worden sind, bleiben alle Baukommissionen bis November im Amt. Auch die Baurechtstitel, die im Laufe von 2020 verfallen würden, bleiben bis Ende des Jahres aufrecht. Und schließlich können alle Projekte, die bis zum 30. Juni eingereicht worden sind, noch nach den alten Bestimmungen abgewickelt werden.
Zudem stehe ab sofort ein Experten-Tisch zur Verfügung: Er soll auftretende Fragen zu Arbeitsabläufen und Interpretationen von Gesetzesartikeln beantworten und Erfahrungswerte aus den Pilotgemeinden weitergeben.
Bis Ende des Jahres wird sich damit nicht allzu viel in der Südtiroler Raum(un)ordnung verändern.