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Die Axt in der Literatur

In der Reihe "Wiedergelesen": Mary de Rachewiltz‘ Auseinandersetzung mit ihrem Vater Ezra Pound.
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Foto: Salto.bz

Ezra Pound spaltet. Das ist vielleicht der einzig unumstrittene Satz, der sich über einen der kontroversesten Köpfe des 20. Jahrhunderts sagen lässt. Als Dichter misstraute Pound schmückenden Adjektiven, mied Metaphern, formulierte knapp und präzise und setzte so neue Maßstäbe. Als Politiker sah er in seiner Heimat Amerika durchaus den Hort der modernen Demokratie, zog es jedoch vor, im faschistischen Italien zu leben. Als Ökonom erkannte er in Spekulation und Zinswucher die Wurzel allen Übels, ohne den Kapitalismus komplett abzulehnen. Als Philanthrop schließlich wollte Pound die Menschheit vor dem zweiten Weltkrieg bewahren, dabei suchte er sich ausgerechnet Benito Mussolini als Verbündeten. Als Dichter brillant und als Mensch – zumindest voller Widersprüche: jemand, mit dem man gerne am Frühstückstisch über das Weltgeschehen diskutieren würde, sich insgeheim aber wünschte, der Gast bliebe nicht über Mittag.
Pounds Werk, heißt es, sei schwer zugänglich. Aus 109 Gesängen besteht sein opus magnum. Nichts Geringeres als eine Interpretation der Weltgeschichte schwebte dem Verfasser vor. Die europäische Antike und Renaissance waren seine ersten Quellen. Später wendete er sich der fernöstlichen Philosophie zu, und immer wieder ließ er Zeitgenössisches einfließen, etwa die Ideen Clifford Hugh Douglas‘ und Silvio Gesells, beide auf Kriegsfuß mit der herkömmlichen Zins- und Kreditwirtschaft. Mehr als ein halbes Jahrhundert schrieb Pound an seinen Cantos, die er nie als vollendet betrachtete, sondern wie die Geschichte selbst als fortschreitenden Prozess begriff, den nicht einmal der Tod des Dichters beenden konnten. Bis heute versuchen sich seine Jünger an der Exegese des sperrigen Oeuvres.
Es gibt leichtere Zugänge nicht nur zu Pounds Werk und Person. Wer beispielsweise Marx verstehen will, muss als Einstieg nicht gleich Das Kapital durchackern. Verständlicher ist das Kommunistische Manifest. Karl Marx und Friedrich Engels verfassten es gerade in der Absicht, ihre Ideen einem breiten Leserkreis ohne große Vorbildung zu vermitteln.

Als Dichter brillant und als Mensch – zumindest voller Widersprüche: jemand, mit dem man gerne am Frühstückstisch über das Weltgeschehen diskutieren würde, sich insgeheim aber wünschte, der Gast bliebe nicht über Mittag.

Eine Möglichkeit der Annäherung an Pound ist die Lektüre von Mary de Rachewiltz‘ Buch über die schwierige Beziehung zu ihrem Vater. Sie hat es 1971 abgeschlossen, ein Jahr vor Pounds Tod. Der Berichtzeitraum endet eine Dekade früher, mit des Künstlers Eintritt in seine letzte Schaffensphase. Die lässt sich in Pounds Fall recht eindeutig datieren, zumal sie durch ein einziges wenn auch nicht aktives, so doch wohlkalkuliertes Verhalten geprägt ist: Schweigen. Ihm voraus ging ein Bohèmeleben voller Zumutungen und Enttäuschungen, an wechselnden Schauplätzen und mit immer neuen Hoffnungsankern, dabei frei von Kompromissen und Halbherzigkeiten. Allen Volten und Antagonismen zum Trotz bleibt ein Wesenszug, den ihm auch seine ärgsten Kritiker konzedieren würden: Pound ist sich stets treu geblieben.
Mary de Rachewiltz lässt ihre Vaterbiografie mit der ersten Zumutung beginnen, die Pound seiner Tochter zugefügt hatte. Gleich nach ihrer Geburt wurde das Mädchen in die Obhut einer Bauernfamilie gegeben, gegen Bezahlung. So wuchs Mary in Gais bei Bruneck auf und sah ihre leiblichen Eltern nur sporadisch. Obwohl nicht verheiratet, lebten Pound und die Geigerin Olga Rudge zusammen, zunächst in Venedig, später in Rapallo. Das Verhältnis wurde von Pounds Ehefrau Dorothy toleriert; das Paar hätte also die Tochter zu sich nehmen können. Statt dessen zogen es beide vor, sich auf ihre Karrieren zu konzentrieren.


Mary hat ihnen dies niemals verübelt. Ihre Kindheit auf dem Bauernhof der Ersatzeltern Johanna und Jakob Walcher war glücklich, Elternbesuch willkommen, und auch die späteren Ferienaufenthalte in der Lagune oder an der Riviera wurden genossen, jedenfalls solange die Perspektive auf eine Rückkehr nach Gais bestand. Dort gab es für Mary eine heile Welt, in einer funktionierenden Familie inmitten einer harmonischen Natur.
Pound, der nichts dem Zufall überließ, war sich der Fragilität seiner Verhältnisse bewusst. Als Kulturschaffender blieb er von Erfolg abhängig, in der wilden Ehe mit Olga, die ihren eigenen Kopf hatte, musste er sich zusammenraufen. Es war alles andere als ein Idyll, das er seiner Tochter hätte bieten können, und eingedenk der psychischen Wracks, deren frühes Stranden Pound in den gescheiterten Ehen seiner zahlreichen Künstlerbekannten beobachten konnte, wird er ganz zufrieden gewesen sein, dass der eigene Spross weder Charakterdefizite noch Überbegabungen ausbildete, sondern zu einem ganz normalen Kind heranwuchs.
Nur der Vater wurde immer sonderbarer. Das blieb auch Mary nicht verborgen. „Begann ich mit vierzehn oder fünfzehn zu verstehen?“, fragt sie sich im Nachhinein. Da war der Zweite Weltkrieg bereits im Gange, Italien und die USA warteten noch ab. Pound besaß nicht mehr die Energie wie noch in den 1920er und 1930er Jahren, als er sich intensiv mit Douglas‘ Forderung nach zinslosen Krediten für soziale Projekte (wofür später Nobelpreise verliehen wurden) und Gesells Negativbezinsung ruhenden Kapitals (bis heute ein Thema bei IMF und Weltbank) befasste und, vergebens, auch Mussolini für diese Projekte zu interessieren versuchte. Mit der Zuspitzung der globalen Lage sah Pound kaum noch Chancen auf die Verwirklichung seiner Ideen. Für ihn war Krisenbewältigung angesagt, bei sich selbst und in der Politik.
Pound begab sich nach Amerika. Willkommen war er nur einigen Intellektuellen und Senatoren, die ihn bereitwillig empfingen. Präsident Roosevelt zeigte seiner Friedensinitiative die kalte Schulter. Das wechselseitige Befremden – Pound fühlte sich unverstanden und reiste wieder ab, die US-Regierung witterte Kollaboration mit dem Feind und fügte der illustren Reihe ihrer Staatsfeinde einen weiteren hinzu – wuchs sich nach dem Krieg zu einer grotesken Paranoia aus.


Wirklich frei von Ressentiments blieb Pounds Tochter. Im Buch setzt sich Mary de Rachewiltz nicht ohne Sympathie, letztlich aber nüchtern analysierend mit ihrem Vater und dessen Ideen auseinander. Einen freien Menschen mit unabhängigem Verstand wollte Pound aus ihr machen, das ist ihm gelungen. Während Pound als Kriegsverbrecher verhaftet und, nachdem ihm keine konkreten Taten nachgewiesen werden konnten (seine Radioansprachen während des Kriegs fielen unter freie Meinungsäußerung), ohne Gerichtsurteil für zwölf Jahre in einer Irrenanstalt weggesperrt wurde, arbeitete Mary sein und ihr Leben auf.

Pound hat, entgegen seiner Absicht, mehr Schaden als Nutzen angerichtet.

Zunächst hilft ihr die unbefangene Herangehensweise des Kindes, das sich seinem Vater nicht entziehen kann, auch nicht möchte, dem es andererseits, auch wegen seiner Erziehung, gelingt, die notwendige Distanz aufzubauen und sich nicht vereinnahmen zu lassen, von welcher Seite auch immer. Später entwickelt Mary genügend  Souveränität, um Pound, dem alle überfordernden Übermenschen, standzuhalten und auch leise Kritik zu üben. Im wesentlichen verfolgt sie mit Diskretionen zwei Ziele: Pound halbwegs gerecht zu werden und eine Antwort auf die ihr häufiger gestellte rhetorische Frage zu finden: „Junges Fräulein, was haben Sie mit diesem Schwein zu tun!“
Den Poundologen hat die Tochter in der Brunnenburg ein Forum eingerichtet, wo sie in den Spuren des Meisters wandeln und weiter Exegese betreiben können. Hier, in den Hügeln oberhalb Merans, hat Pound die letzten Jahre verbracht, seine letzten Cantos abgefasst, die meiste Zeit aber geschwiegen, da ohnehin schon alles gesagt und geschrieben, nicht aber gehört und verstanden worden war.


Vom Faschismus hat sich Pound nie losgesagt; vielleicht, weil er in Mussolini den Überwinder der Klassengegensätze sehen wollte, der dieser gewiss nicht war: Hatte er sich nicht aller Klassen hemmungslos bedient, wie auch die in Italien herrschenden Klasse, immer ihren Vorteil suchend, sich Mussolinis kühl kalkulierend bedienten? Eine solche Geste hätte Pound nicht gestanden. Sie hätte ähnlich uninspiriert geklungen wie sein Versuch, sich vom Antisemitismus reinzuwaschen. Warum hat er nie zugegeben, dass er, der Unverstandene, seinen stetig wachsenden Hass auf sämtliche Vertreter des Kapitalismus auf die Gruppe projizierte, die ihn seiner Meinung nach am offensivsten vertrat, nämlich die Juden?
Zurück bleibt ein menschliches Rätsel und ein gigantischer Dichter. Pound hat, entgegen seiner Absicht, mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Immer mit der Axt unterwegs, war es ihm nicht gelungen, langfristig etwas aufzubauen, auf das spätere Generationen gründen konnten. Immerhin, ein Populist ist er nie gewesen. Er hat stets klar Stellung bezogen, die Beschäftigung mit seinen Texten lohnt sich bis heute.

Und Mary de Rachewiltz? Sie feierte kürzlich ihren 95. Geburtstag. Nutznießern, die mit dem Erbe ihres Vaters Geschäfte machen wollen, erteilt sie nach wie vor Absagen. Zuletzt den Trittbrettfahrern der Casa Pound.