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Wie viel ist zu viel?

Der Rekordsommer in Südtirols Tourismus sorgt nicht nur für Stolz. Und Heini Dorfer fragt sich, warum das Astat nicht hochrechnen kann.
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Foto: Othmar Seehauser

Wie spitze ist Südtirols Spitzen-Sommer tatsächlich? Das wird auch von einem Südtiroler Leitbetrieb in Frage gestellt. Quellenhof-Chef Heini Dorfer relativiert den Jubel über Südtirols Rekordmeldungen mit Vergleichswerten aus anderen europäischen Destinationen. Denn so stolz die heimische Tourismuswirtschaft auf ein Plus von neun Prozent bei den Ankünften sein mag knapp: Externe Faktoren wie politische Instabilität und Terrorgefahr haben anderen Tourismusregionen in diesem Sommer weit höhere Zuwachsraten beschert. Von rund 20 Prozent wird aus Spanien oder Mallorca berichtet, im Süden Italiens werden aus Apulien oder Sizilien gar Zuwachsraten von bis zu 30 % vermeldet. „Natürlich sind solche Zahlen auch immer mit dem bisherigen Niveau und der Auslastung zu sehen“, relativiert Heinrich Dorfer. Doch sicher sei, dass sich Südtirol bei den Zuwachsraten nicht im europäischen Spitzenfeld bewegt.

Gleichzeitig bleibt laut dem Passeirer Hotelier vor allem in der Betrachtung der einzelnen Kategorien so manches unklar, weil die Daten vom Landesstatistikamt nicht um den Bettenzuwachs in den einzelnen Kategorien bereinigt würden. „Da heißt es zum Beispiel, dass in der Fünf-Sterne-Kategorie ein Zuwachs von 50 % verzeichnet wurde, doch das ist ein kompletter Blödsinn“, meint Dorfer. Denn im Vergleich zum Vorjahr hätten viele Vier-Sterne-Hotels auf fünf Sterne aufgerüstet. Solange solche Verschiebungen nicht in den Tourismusstatistiken berücksichtig würden, hätten diese wenig Aussagekraft, kritisiert der Hotelier. „Wir wissen auch nicht, ob es bei Drei-Sterne-Häusern tatsächlich eine Stagnation gibt, denn dort sind eben auch viele Betten verloren gegangen.“ Bereits seit zwei Jahren macht sich der Vorzeigehotelier laut eigenen Aussagen über den HGV dafür stark, dass das Astat mit bereinigten Daten arbeitet. „Doch in Südtirol ist man dazu offensichtlich nicht imstande“, so Dorfer.

 „Südtirols Zukunft liegt auch in anderen Wirtschaftsbranchen wie der Industrie, die mit geringem Ressourcenverbrauch und qualifizierten Arbeitsplätzen hohe Wertschöpfung generieren."

Die jüngsten Tourismuszahlen werfen aber nicht nur methodische, sondern auch ideologische Fragen auf. Wann ist genug, lautet die Frage, die sich angesichts des Streifens der 20-Millionen-Schwelle bei den sommerlichen Nächtigungen aufdrängt. Nachdrücklich stellen sie beispielsweise die drei Grünen Landtagsabgeordneten, für die eine Obergrenze langsam in Sicht rückt. Südtirol sei mit Tirol alpenweit das Land mit der höchsten Tourismusintensität. „Nirgendwo sonst kommen so viele Gäste auf einen Einwohner wie südlich der Alpen. Weiteres Wachstum ist nicht mehr verträglich, auch nicht bei den Bettenzahlen“, schreiben Hans Heiss, Brigitte Foppa und Riccardo dello Sbarba.  Offiziell habe das Land 220.000 Gästebetten, inoffiziell seien es wohl weit mehr. Zudem bringe 2016/17 einen Wachstumsschub mit neuen und vergrößerten Hotels, denn Gästezuwachs, erhöhte Renditen und niedrige Zinsen sind Adrenalin für Investitionswillige.  „Südtirols Zukunft liegt auch in anderen Wirtschaftsbranchen wie der Industrie, die mit geringem Ressourcenverbrauch und qualifizierten Arbeitsplätzen hohe Wertschöpfung generieren“, so der Appell der Grünen. Tourismus hingegen sei trotz aller Erfolge ein reifes Produkt - ein Sektor, der durch Selbstbeschränkung nur gewinnen könne.

In eine andere Richtung geht die Perspektive von Heini Dorfer. „Tourismus ist nun einmal der Motor unserer Wirtschaft und der einzige Sektor, der in den vergangenen Krisenjahren nicht abgebaut, sondern immer zugelegt hat“, meint er. Welche Bedeutung dies nicht zuletzt für den Arbeitsmarkt habe, habe sich gerade im Passiertal eindrücklich gezeigt. „Denn von den 155 bzw. insgesamt 200 Angestellten der dortigen Hoppe -Niederlassung sind nach deren Schließung fast 80 Prozent im Tourismus untergekommen“, sagt der Hotelier. Die Frage nach einer Obergrenze ist für ihn auch angesichts von insgesamt 45 Millionen Übernachtungen in Tirol relativ. Dennoch führt der Hotelier nicht zuletzt anhand seines Betriebes vor, dass die Strategie „Mehr Qualität statt Quantität“ fruchtet. Allerdings würde er immer wieder ehemalige Gäste im Dorf treffen, die mit dem gestiegenen Preisniveau im Quellenhof zwar nicht mehr mithalten können, aber deshalb ihrer Begeisterung für das Passiertal nicht abschwören.

Auch ohne Flughafen

Zumindest eine Sorge teilt der Hotelier mit den Grünen. Stundenlange Staus am Brenner oder Autokolonnen in den Dörfern seien ein Problem, das man in Zukunft sicherlich angehen müsse, meint auch Dorfer. Ein Grundübel liegt laut den Grünen darin, dass immer noch 85 % der Südtiroler Gäste mit dem Auto anreisen. „Wenn die Zahl der Gäste steigt, während ihre Nächtigungsdauer auf bald unter vier Tage fällt, bedarf es nicht nur neuer Verkehrskonzepte, sondern einer echten Verkehrsrevolution“, so die drei Landtagsabgeordneten. Denn andernfalls ist zu Saisonspitzen nicht nur die Lebensqualität massiv gefährdet, sondern auch Südtirols Ruf als ruhige Tourismusregion. Erübrigt hat sich laut den Grünen angesichts des Rekordsommers 2016 in jedem Fall die Flughafendiskussion und das Gejammer über die schlechte Erreichbarkeit des Landes. „Noch nie kamen trotz fehlenden Airports so viele Gäste, die gerade wegen der Gefährdung des Luftverkehrs und internationaler Reiseziele den Landweg wählten.“

Ganz ähnlich auch die Argumentation des Dachverbandes für Natur und Umweltschutz. Auch dort sieht man mit den jüngsten Tourismusdaten den Beweis erbracht, dass  der Südtiroler Tourismus sicherlich nicht auf den Bozner Flugplatz angewiesen ist. „Marke und Destination sind stark genug, dass die Leute auch so zu uns finden“, heißt es in einer Pressemitteilung des Dachverbandes. „Mit einem Flugplatz bestünde höchstens die Möglichkeit, dass die durchschnittliche Aufenthaltsdauer noch weiter und schneller sinkt. Und dies kann nicht im Interesse der Touristiker sein.“

 

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Winfried Theil Gio, 12/01/2016 - 20:07

Gute Analyse der Astat Daten mit ausgewogenem Bericht über die Reaktionen! Entwicklungsobergrenzen werden erst dann gesetzt, wenn das Ende in Sicht ist oder bereits da ist, aber davon sind wir anscheinend noch weit entfernt: weder Natur- noch Baukatastrophen werden den Bettenzuwachs stoppen, sondern nur die Erkenntnis, dass der Ast bald durchgesägt ist, auf dem wir wohl alle sitzen!

Gio, 12/01/2016 - 20:07 Collegamento permanente
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Sigmund Kripp Ven, 12/02/2016 - 07:34

Ich finde, Herr Dorfer sollte sich, zusammen mit anderen Großen seiner Branche, für einen Ausbau der direkten Zugverbindungen von München bzw. Innsbruck nach Bozen und Meran einsetzen! Dafür gibt es die besten Voraussetzungen: Schienen sind da, Züge sind da, Personal ist da, auch ein Landesrat ist dafür da: nur die Fahrpläne und Durchbindungen sind aus der Frühzeit der Eisenbahn! Dass man am Brenner immer noch sehr oft umsteigen muss, ist eine Zumutung für jeden Zugpassagier und bahntechnischer Unsinn! Herr Dorfer: zeigen Sie, was Sie können!

Ven, 12/02/2016 - 07:34 Collegamento permanente