Politica | Fremdenfeindlichkeit

Grillos Appell an den Bauch

Den islamistischen Anschlag in Berlin instrumentalisiert Grillo genauso hemmungslos wie Salvini und die AfD. Und stellt Flüchtlinge pauschal unter Terrorismusverdacht.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Foto: upi

Dass Grillo sich der xenophoben Klaviatur bedient, ist nicht neu. Hier eine kleine (unvollständige) Rückschau auf einige seiner einschlägigen Äußerungen:

2013 kritisiert er scharf Abgeordnete seiner 5-Sterne-Bewegung, die es gewagt hatten, sich für die Abschaffung des Straftatbestandes der illegalen Einwanderung auszusprechen. Und erklärt: „Hätten wir im Wahlkampf so etwas gefordert, wäre unser Wahlergebnis in der Höhe einer telefonischen Vorwahl gewesen“. Die Gewalttat eines Amokläufers aus Ghana nimmt er (ebf. 2013) zum Anlass, um Immigranten und Flüchtlinge als eine unberechenbare Quelle von Kriminalität darzustellen. „Wie viele Kabobo“ (so hieß der Täter, Anm. MH) „gibt es in Italien? Hunderte? Tausende? Wo leben sie? Keiner weiß es!“ schreibt er im Blog. 2014 betreibt er unter der Überschrift: „Tbc Nein Danke!“ Panikmache mit der Behauptung, Flüchtlinge würden Krankheiten und Seuchen wie Tbc und Ebola nach Italien importieren (was von den Behörden und der italienischen Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“ sofort mit Fakten widerlegt wurde). 2015 veröffentlicht ein 5SB-Vertreter im Turiner Kommunalparlament in Grillos Blog (d. h. von ihm abgesegnet) „Vier Vorschläge zur Immigration“, die auch aus dem Programm der Lega Nord stammen könnten.

„Jetzt ist es Zeit, zu handeln und uns zu schützen“

Grillos Schüren von Fremdenfeindlichkeit ist also weder Zufall noch der „Ausrutscher“ eines zu Übertreibungen neigenden Komikers. Es ist politisch gezielt und hat Kontinuität. Jetzt, nach dem Terroranschlag in Berlin, bläst er endgültig zum Angriff: In seinem Post vom 23. Dezember, unter der Überschrift: „ Jetzt ist es Zeit, uns zu schützen“, instrumentalisiert er den islamistischen Mordanschlag genauso hemmungslos wie der Lega-Führer Salvini, die deutsche AfD („Das sind Merkels Tote“) oder Le Pen in Frankreich („Islamistischer Anschlag in Berlin. Unsere Pflicht ist es, schnell und kraftvoll zu handeln“) – um nur einige aus der vereinigten europäischen Front der Rassisten und Rechtsextremen zu nennen.

Nachdem Grillo in seinem Post die beiden italienischen Polizisten, die in Mailand den Attentäter nach einer Kontrolle in Notwehr erschossen, als „Helden“ gefeiert hat, kommt er zur Sache. Die Migration sei „außer Kontrolle“. Italien und Europa glichen einem „Sieb“. Besonders in Italien würden „Terroristen ein- und ausgehen, ohne dass sie von irgendjemanden kontrolliert werden“. Daher: „Wer das Recht auf Asyl hat, bleibt in Italien, und alle Illegale müssen sofort, schon ab heute, wieder in ihre Heimatländer zurückgeführt werden“. Bei Terroranschlägen müsse Schengen außer Kraft gesetzt werden. „Bis heute war die Zeit des Schmerzes, der Rührung, der Solidarität. Jetzt ist es Zeit zu handeln und uns zu schützen“, so abschließend.

Wie Salvini, Le Pen und AfD

Grillos Botschaft enthält zwei Kernaussagen. Die erste besagt, dass „alle Illegalen“ ein islamistisches Terrorpotenzial darstellen und man sie daher „sofort, ab heute“ rausschmeißen muss. Fakt ist, dass Millionen von Flüchtlingen gerade vor dem Krieg und dem Terror des IS und anderer verbrecherischer Regimes fliehen (die wenigsten nach Europa, die meisten in arabische und afrikanische Nachbarländer), und dass sich unter diesen Millionen auch einige Islamisten und reale sowie potenzielle Attentäter befinden, die das Schutzschild des Asylrechts missbrauchen. Fakt ist auch, dass viele islamistische Anschläge von Personen verübt werden, die in europäischen Ländern geboren wurden oder aufgewachsen sind. Also weder „Illegale“ noch Asylsuchende sind. Doch Grillo – und mit ihm Salvini, Le Pen, Wilders, AfD, Orban, Trump – geht es nicht um Fakten, sondern um das Bedienen und Verstärken der Feindbilder von den „Fremden“.

Die zweite Kernaussage: „Wir müssen handeln und uns schützen!“. Wer ist „Wir“? Alle Menschen, die von Terror und Gewalt bedroht oder deren Opfer werden, egal welcher Herkunft und Religion sie sind und welchen Status sie haben? Natürlich nicht. Das „Wir“ meint die „bedrohten“ Italiener, die gegen die illegal einreisenden Flüchtlinge (wie sollen sie sonst einreisen, wenn es keine humanitären Korridore für sie gibt?) „handeln“ müssen.

Mit solchen Botschaften tun Grillo und die anderen Rechtspopulisten genau das, was sich die Islamisten von ihren Terroranschlägen erhoffen, nämlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den europäischen Ländern zu zerstören und durch die Spirale von Hass und Gewalt zu ersetzen.

Auch die Forderung: „Alle Illegalen müssen sofort, schon ab heute, in ihre Heimatländer zurückgeführt werden“ ist nichts als populistische Stimmungsmache, denn sie ist erstens rechtlich unzulässig und zweitens undurchführbar. Sowohl nationale Gesetze wie internationale Verpflichtungen verlangen, dass die Feststellung, wer Anrecht auf Asyl hat und wer nicht, im Rahmen eines individuellen Rechtsverfahrens zu treffen ist. Nur bei Einreisenden aus Ländern, die von der Regierung eines Landes mit Zustimmung des Parlaments als sichere Herkunftsländer eingestuft wurden, kann ein verkürztes Verfahren Anwendung finden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich einige Länder (wie Tunesien im Fall von Amri) weigern, die Personen wieder ins Land zu lassen, meist mit der Begründung, dass Zweifel an deren Identität bestünden.

„Der Italiener ist der Beste“

Dies alles weiß natürlich auch Grillo, ist ihm aber ganz egal. Er ist nicht daran interessiert, sich den realen Problemen zu stellen und nach konkreten Lösungen zu suchen. Er möchte vielmehr aus dem Anheizen von Ängsten und fremdenfeindlichen Einstellungen politisches Kapital schlagen. So wie es auch alle anderen Rechtspopulisten tun, in Italien, Deutschland und anderswo. „Folgt Eurem Bauch, nicht Eurem Kopf!“ rief Grillo während der Kampagne über das Referendum dem Wahlvolk zu. Dass der Anführer einer politischen Partei bzw. Gruppe den Bürgern offen davon abrät, den eigenen Verstand zu gebrauchen, ist – sagen wir – ungewöhnlich. Aber in diesem Fall letztlich konsequent, da sich Grillos Bewegung aus dem Potenzial von „Wutbürgern“ nährt, die nur noch auf ihren Bauch hören.

Schaut man sich die Kommentare zu Grillos „Weckruf“ an, findet man dort durchaus Kritik, wenn auch meist verhalten oder in Form von Zweifeln („zu undifferenziert“, „man kann doch nicht alle Flüchtlinge als Terroristen ...“). Aber die Zustimmung überwiegt, meist in kruder Deutlichkeit. Eine Kostprobe: „Endlich gehört die 5-Sterne-Bewegung zum besten Teil des Italienischen (im Kommentar großgeschrieben, MH) Volkes, das unser Jahrtausende altes Geschlecht gegen die ethnische Überfremdung und gegen die islamische, chinesische, rumänische und slawische Barbarei verteidigt“. Wer einen resistenten Magen hat, kann dort weitere Kostproben nachlesen.

Das völkische Pathos ergriff Grillo, als er seine über Video verbreitete „Neujahrsansprache“ mit folgenden Worten abschloss: „Wir müssen stolz darauf sein, die Besten zu sein, denn der Italiener ist der Beste, das Made in Italy behauptet sich in der ganzen Welt, unsere kleinen und mittleren Unternehmen sind einzigartig … Wir sind Italiener und ich will es zum ersten Mal hinausrufen, auch wenn ich kein Patriot in wörtlichem Sinne (?) bin. Wir sind die Besten, meine Damen und Herren, und wir werden das beweisen. Und unsere 5-Sterne-Bewegung ist die Synthese der Besten in Italien. Auf Wiedersehen und Glückwünsche!“.

„Die Italiener“, wer das auch immer sein mag, sind also die Besten, meine Damen und Herren, die Sie vielleicht angesichts der Zustände in diesem schönen Land noch Zweifel hegen. Und die 5SB ist die „Synthese“ dieser Besten. Was derzeit durch das erfolgreiche Wirken der Bürgermeisterin Virginia Raggi in Rom eindrucksvoll konstatiert werden kann..

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luigi spagnolli Mer, 01/04/2017 - 10:37

Sehr gut geschrieben, Marcella Heine. Die Geistesverwandtschaft zwischen Grillo und z.B. dem Mussolini der ersten 20er Jahre kann man durch die Gleichartigkeit der jeweiligen Aussagen ohne weiteres beweisen. Die Medienwelt scheint leider wenig bereit, dieses Thema, u.zw. die soziale Gefährlichkeit von Grillo & Co., seriös zu uberprüfen, und konzentriert sich lieber in den oberflächlichen, per Slogan ausgedrückten parteipolitischen Auseinandersetzungen. Danke, dass Sie diese Lücke füllen, in der Hoffnung, daß eine inhaltliche, demokratische Diskussion entsteht.

Mer, 01/04/2017 - 10:37 Collegamento permanente
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Alfonse Zanardi Gio, 01/05/2017 - 13:40

Wäre interessant zu wissen was ein Köllensperger zu dem nationalistischen Blödsinn zu sagen hat.
Alles nicht so gemeint? Ist das das politisch Neue? Wie oben richtig angemerkt klingt das perfekt nach 1920er Jahren.
Willkomen in der Vergangenheit.

Gio, 01/05/2017 - 13:40 Collegamento permanente