Economia | VerdECOnomia mittendrin, Teil 4.

Die Toblacher Gespräche 2013. „Mit UnternehmerGeist die großen Transformationen wagen.“

So lautete das Motto der diesjährigen „Toblacher Gespräche“. Die Einladung zu den Gesprächen erläutert sehr treffend den Inhalt der Tagung: „Das Bild des Unternehmertums ist im Zeitalter des Turbokapitalismus nicht gut. „Die Ausbeuter von Amazon“, Zeitarbeitsfirmen, die systematisch betrügen, DAX Unternehmen, für die Bestechung Teil der Unternehmenspolitik ist, Bekleidungs- und Schuhhersteller, die in Südostasien zu Dumpinglöhnen arbeiten lassen, Futtermittelhersteller, die technische Fettsäuren in Tierfutter beimischen.
Sehr viel weniger Aufmerksamkeit erfährt die wachsende Gruppe von UnternehmerInnen und Unternehmen, die das Gemeinwohl als ein Ziel ihres Wirtschaftens im Auge haben und nicht nur Waren und Dienstleistungen für den Markt produzieren, sondern auch sozial und ökologisch nachhaltige Produktionsformen nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein wollen. Wenn die ökologische Konversion gelingen soll, muss sie wesentlich von der Wirtschaft mitgetragen werden.“
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

An einem sonnigen Samstagmorgen starten Klaus Egger und ich zur diesjährigen Konferenz der „Toblacher Gespräche“, der renommierten Denkwerstatt für die ökologische Wende im alpinen Raum. Ganz im Geiste Glaubers ist auch dieses Jahr unter der Konzeption und Leitung von Wolfgang Sachs und Karl-Ludwig Schibel eine Konferenz gelungen, in der Vortragende und TeilnehmerInnen die Rolle ökologisch und sozial handelnder UnternehmerInnen für eine zukunftsfähige Gesellschaft diskutieren.

Eine neue Renaissance der Unternehmenskultur

Gabriele Centazzo, der visionäre Unternehmer der den  Aufruf „Per un nuovo Rinascimento italiano“ gestartet hat, ist mit den gewonnen MitstreiterInnen dabei, aus der Zivilgesellschaft heraus eine Veränderung Italiens anzustoßen. Eine Veränderung, die auch zu einer Veränderung der Politik führen soll, ohne selbst eine Partei oder politische Bewegung zu gründen. Unternehmerisch ist Centazzo der Ansicht, dass ein Unternehmen an sich bereits einen absoluten Wert darstellt, den es durch Zusammenarbeit zu schützen gilt. Man darf nicht an alten Systemen kleben, in denen schwerfällig gewordene Interessensvertretungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sich gegenüberstehen. So ginge schon viel Reibungsverlust bereits damit verloren, wenn Betriebsräte in Verwaltungsrat oder Vorstand stehen würden, und wenn ein Teil der Unternehmensgewinne – möglichst steuerfrei  - mit den Mitarbeitern geteilt würde. Diese würden sich ihrerseits verpflichten, eventuell auch Opfer zu bringen, wenn das Unternehmen in Schwierigkeiten geraten sollte.

Wenn Italien überleben will, braucht es eine Vision, einen Traum, der alle Bürger des Landes auf ein einziges Ziel hin vereint. Italien muss Kurs nehmen auf eine Entwicklung, die auf Kreativität und Schönheit, auf Qualität zusteuert. In einem spannenden Vortrag erläuterte Centazzo auf welchen Ebenen sich diese Kreativität ausprägt, beginnend von der schulischen Ausbildung. Der Effekt ist naheliegend: viele Unternehmen stellen heute völlig anonyme Produkte her, deren einziges Unterscheidungsmerkmal und Wettbewerbsvorteil der Preis ist. Alle diese Unternehmen werden schließen müssen, mit einem Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen. Centazzo ist überzeugt, dass der Terziärsektor, allen voran im Tourismus, dafür wieder an Boden gewinnen muss. Kreativität und Schönheit sind der Schlüssel, den Gabriele mit Emotionalität und Überzeugung beschreibt. Beide stützen sich dabei auf den Wertekanon der Ethik. Und genau dort muss auch angesetzt werden, da wir wissen, wie gefährdet diese Elemente heute sind. Das Ziel bleiben dabei die tragenden Säulen der Kreativität und Schönheit, die Arbeitsplätze im Innovationssektor, in der Kunst, im Design und in der individuellen Gestaltung von Handwerksprodukten.

  • Centazzo schließt seinen Vortrag mit drei konkreten, sofort umsetzbaren Vorschlägen, die er auch mit Detailschritten erläutert:
  • Ausbau der Internationalisierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen;
  • Einrichtung einer Agentur zum Schutz der Patente, des Designs und der typischen italienischen Speisen und Nahrungsmittel;
  • Eine Brücke schlagen zwischen der Kreativität, der Schönheit und der Forschung. Es muss in Italien wieder in Forschung investiert werden.

Nachhaltigkeit als Business Case

Prof. Dr. Stefan Schaltegger vertiefte in seinem Vortrag das Konzept von Nachhaltigkeit als Business Case. Bei nachhaltigen Unternehmen nehmen ökologische und soziale Nachhaltigkeit nicht den Stellenwert eines Seiteneffekts ein, sondern werden direkter Bestandteil des Core Business. Es geht diesen Unternehmern einerseits um die Neugestaltung von Prozessen und Produkten zur Minimierung deren negativer Auswirkungen und zur bestmöglichen Vermeidung von Reparatur- oder Kompensationsaufgaben, aber es geht nachhaltigen Unternehmern auch um den Anspruch, einen Beitrag zur Strukturveränderung zu leisten. Es geht nicht um Nischendienstleistungen oder Nischenprodukte, sondern um die Chance, die eigenen nachhaltigen Produkte auf den „normalen“ Markt durchzusetzen, um nicht nachhaltige Produkte durch die Kräfte des Marktes zu verdrängen. Mit vielen Beispielen aus kleinen und großen Unternehmen führte Prof. Schaltegger ganz konkrete Beispiele zur Dynamik, die Nachhaltigkeit mit Innovation paart. Anhand der Fallstudien von Unternehmen wie „Alnatura“ konnten wir das unglaubliche Potential nachhaltiger Geschäftsmodelle greifen, an denen tatsächlich der auch strukturelle Wandel in Richtung Nachhaltigkeit erkennbar wird.

Marktwirtschaft ohne Externalisierung

Johannes Daniel Dahm ist ein deutscher Geograph, Ökologe, Aktivist, Berater und Unternehmer. Als transdisziplinärer Wissenschaftler arbeitet er in der Forschung zu Nachhaltigkeit und Entwicklung, ökologischer Ökonomie und ökologischer Schaffung von Werten, der Zukunft der Arbeit, der Pluralität und Vielfalt des Lebens.

Der Vortrag von Johannes Dahm war in gewisser Weise explosiv. Ausgehend vom Earth Overshoot Day – dem 20. August 2013. Der Earth Overshoot Day markiert den Tag, an dem die globale Biokapazität des Planeten Erde für das gesamte Jahr 2013 durch den ökologischen Fußabdruck der Menschheit aufgezehrt wurde. Zwei Jahre zuvor, 2011, war es noch der 27. September. Dahm entführt und auf der Bedeutung der geographischen und kulturellen Expansion der Menschheit, die sich in einer immer weiteren wirtschaftlichen Expansion spiegelt. Die Folgen sind ein Verlust an Widerstandsfähigkeit unseres Ökosystems, und damit der Destabilisierung unserer Lebensgrundlagen. Treibhausgase, klimatischer Wandel, ökologische Zusammenbrüche von Nahrungsketten, Böden und Vegetationssystemen sind nur einige der Szenarien, die zur Sprache kamen.

Erschreckend, was auch mit den unbelebten Ressourcen der Erde geschieht. Ein Peak-Everything steht vor der Tür; der Peak des Verbrauchs vieler Rohstoffe ist bereits erreicht oder überschritten. Die provokante Schlussfolgerung endete in einem End-of-the-Pipe-Szenario: der Entwicklungspfad, den die letzten Generationen verfolgten, ist nicht zukunftsfähig geworden. Die Formel dahinter (die einem Ingenieur wie mir natürlich prägnant daherkommt) lautet:

Global overshoot x peak everything = peak living conditions x peak consumerism

Nach dieser Basisbetrachtung rückte das ökonomische Handeln in den Vordergrund, und zwar besonders unter rechtlichen und ordnungspolitischen Blickwinkel. Die Kernfragen, die Dahm stellte, waren:

a.       Welche Gründe liegen an, dass die Lebensgrundlagen substantiell, teilweise irreversibel abgebaut werden?

b.      Wo bleiben die Kosten, die nicht privatwirtschaftlich bezahlt werden?

c.       Wer profitiert von dem Wettbewerbsvorteil, der durch die Externalisierung von Anteilen der Produktionskosten entsteht?

d.      Ist Externalisierung eine Bedingung des Kapitalismus in seiner bisherigen Form?

e.      Die Natur ist kein Rechtssubjekt und kann nicht vor Gericht klagen.

Im letzten Teil seines intensiven Vortrags erörtert Dahm, wie – um Wittgenstein zu zitieren – die Fliege wohl aus dem Fliegenglas findet. Wenn sie nicht über hinreichend Überblick, Distanz und Scharfsinn verfügt, um zum Ausgang zu finden, dann muss dasselbe unternommen werden, genau wie auf dem Weg hinein, nur rückwärts. Und da Externalisierung zur Zerstörung und Privatisierung des Gemeinwohls geführt hat, ist Nachhaltigkeit im Klartext das Gegenteil von Externalisierung.

Dahm regt dafür eine Veränderung der Logik des marktlichen Wettbewerbs an, die den Substanzaufbau an der Natur, ihrer Vielfalt und den Ökosystemen als unternehmerischen Vorteil am Markt abbildet. Um dies zu erreichen, schlägt Dahm eine konkrete Anpassung der Gesetzgebung und der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen vor, die anhand konkreter Gesetzesvorschläge im BGB ausgeführt wird.

Die Fliege würde dadurch nicht schlauer, aber der Markt würde letztlich dazu führen, das zusammen mit dem produzierten Gut die höchste ökologische Nutzenstiftung erreicht wird.

Was können Unternehmen zu einer Ökonomie des Genug beitragen?

Prof. Dr. Reinhard Pfriem widmete seinen Vortrag der Frage, ob erwerbswirtschaftliche Unternehmen einen Beitrag leisten können zu einer Kehre in Richtung nachhaltiger Entwicklung, und zwar aus einem ausdrücklich evolutionstheoretischen Horizont. Dazu betrachten wir die Handlungszwänge der Unternehmen, die aufs engste mit den kulturellen und strukturellen Prozesse der kapitalistischen Moderne verkoppelt sind: Kommerzialisierung, Verwissenschaftlichung, Technisierung, Beschleunigung, Medialisierung, Individualisierung und Subjektivierung.

Pfriem betrachtet und beurteilt dabei Unternehmer und Unternehmen als gesellschaftliche Werte schaffende Gebilde. Das war auch immer ihre Anspruch, so zum Beispiel der eines Krupp, wenn er als Alternative zu schimmeligen Mietskasernen Werkswohnsiedlungen baute, oder eines Henry Fords, wenn es ihm nach langen Jahren gelang, ein Auto für die Masse zu bauen. Natürlich ohne zu vergessen, dass auch Krupp und Ford’s Konzepte sehr kritikfähige Aspekte aufweisen. Wenn man Unternehmer und Unternehmen aus der Pflicht zum Nachweis, dass sie zum gesellschaftlichen Wohl beitragen, entlässt, hat man auf jeden Fall verloren. Denn zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Macht dieser ökonomischen Organisationen, besonders im Vergleich zu nationalstaatlichen Regierungen, stärker denn je.

Pfriem beschreibt zwei mögliche Wege der Transformation unternehmerischen Wirtschaftens: zum einen die Selbsttransformation in Richtung Nachhaltigkeit, zum andere die Gründung neuer Unternehmen die das Wirtschaften in einem bestimmten Bereich nachhaltiger betreiben. Dazu gehören auch radikale ökonomische Transformationen.

Gemeinwohlökonomie

Christian Felber und der von ihm geprägte Begriff der Gemeinwohlökonomie sind schon ein Begriff für sich. Christian zeigt auf, wie drei frappierende Widersprüche die gegenwärtige Wirtschaftsordnung kennzeichnen:

  1. Gewinnstreben und Konkurrenz (die Grundkoordinaten des Wirtschaftens) fördern nicht vorrangig Beziehungswerte, sondern Egoismus und Eigennutz.
  2. Wir messen nur monetäre Indikatoren, und nicht das, was uns eigentlich wichtig ist – Vertrauen, Sicherheit, Sinnerfüllung, Grundbedürfnisbefriedigung.
  3. Obwohl die Wissenschaftlichen Hinweise sich verdichten, dass Geld, Vorteilsstreben und Konkurrenz *nicht* die stärksten Motivatoren für Menschen sind, bauen wir Anreiz- und Entlohnungssysteme sowie die gesamte Wirtschaftsordnung nach wie vor auf diesen obsolten Koordinaten auf.

Die Gemeinwohl-Ökonomie, die seit 2009 von einem wachsenden Kreis von Unternehmen aus Österreich, Bayern und Südtirol entwickelt wird, versucht diese Widersprüche zu beseitigen, indem es die rechtlichen Anreiz-Koordinaten für Unternehmen „umpolt“. Das Gemeinwohl soll nicht mehr der „Nebeneffekt“ des größtmöglichen Finanzgewinns sein, sondern zum Zweck unternehmerischer Initiative werden.

Ganz stark vereinfacht sei folgendes gesagt: spieletheoretisch betrachtet hat das heutige Wirtschaftssystem als Spielzweck die Gewinnmaximierung, und als Spielmittel die Konkurrenz (den Wettbewerb). Wenn man das Spiel zu Ende spielt, ist es wie bei Monopoly. Einer gewinnt alles, und die anderen gehen leer aus.

Die Gemeinwohlökonomie ist eine Ökonomie, bei der genauso Gewinne erzielt werden. Das Ziel des Spiels ist aber nicht die Gewinnerzielung per se - die ist an und für sich wertlos. Das Ziel ist das Gemeinwohl (im Sinne von mehr oder besseren Arbeitsplätzen, nachhaltigeren Produkten, weniger Umweltverschmutzung, besseres Einkommen für die Bauern, gesündere Nahrungsmittel für die Bevölkerung, mehr Kindergärten und vieles mehr). Das Ziel ist also das Gemeinwohl, und das Mittel dazu die Kooperation, statt der Konkurrenz. Was bedeutet das? Wenn das Spiel zu Ende ist, hat nicht einer alles (und die anderen sind frustriert), sondern viele haben viel, und alle sind zufrieden weil sie mitgespielt haben.

In der Gemeinwohlökonomie werden die Spielregeln so geändert, dass das Unternehmen am meisten Gewinn erzielt, wenn gleichzeitig das Gemeinwohl am meisten aufblüht.

Konkretes Beispiel? Nehmen wir an, wir würden die Steuerlast auf den Konsum (vulgo die Mehrwertsteuer) so modellieren, dass Unternehmen, die eine hohe Gemeinwohlbilanz aufweisen, auf ihre Produkte nur eine sehr geringe (oder bis zu 0%) Mwst ausweisen müssen. Unternehmen, die Raubbau an der Natur oder am Gemeinwohl betreiben, müssen den vollen Satz anwenden. Dasselbe führen wir dann bei Zöllen ein, damit auch der Import die gleichen Spielregeln einhält. Und jedes Produkt wird - wie die Lebensmittelampel in England - damit gekennzeichnet, ob es eine "grüne" oder "rote" GW-Bilanz hat.

Was dann passiert, ist die Kraft des Marktes: das Unternehmen, das die höchste Gemeinwohlbilanz aufweist, kann den höchsten Absatz erreichen (weil die Konsumenten die Ampel betrachten und den Preisvorteil der Mwst mit genießen). Da das Unternehmen durch niedrigere Steuern und Zölle belastet ist, wird es auch die höchsten Gewinne einfahren. Die natürlich nach der Gemeinwohlbilanz wiederum Mittel zum Zweck des weiteren Wirtschaften bzw .der Unterstützung der Stakeholders ist. Inklusive der Unternehmer, die weiterhin an ihrem Unternehmen verdienen.

In einem sehr intensiven Vortrag verdeutlicht uns Christian Felber diese Konzepte und ihre systemischen Auswirkungen. Sein bisher realisiertes Netzwerk  ist dabei ein konkretes und faszinierendes Versuchsfeld.

Social Entrepreneurship and Social Finance for the Common Good

Federico Mento von der Uman Foundation erläuterte in seinem Vortrag die Themen, die Italien angehen muss, um im Bereich des sozialen Unternehmertums mehr Witblick und Reaktionsfähigkeit zu zeigen. Es geht um Rahmenbedingungen, politische Begleitung, Fördermechanismen, Steuerbegünstigungen und rechtlichen Reglementierungen, die notwendig sind, damit Italien von seiner passiven Zuschauerrolle zu einer aktiven Mitgestaltung dieser Verändung werden kann. Die Uman Foundation hat sich dabei für eine aktive Rolle entscheiden, um „soziale“ Finanzmärkte auch in Italien zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Fish-Bowls: „Grüne UnternehmerInnen: zwischen Markt und Verantwortung“ 

Zwei Diskussionen im „Fish-Bowl“-Format zum Thema rundeten das intensive Wochenende ab.

  • Federica Angelantoni, Lukas Meindl und Änder Schank am Samstag.
  • Daniela Ducato, Valentino Mercati und Alois Lageder am Sonntag.

 

Klaus und ich treten nach einem kleinen Mittagsbuffet mit lokalen Produkten im Bahnhofsgebäude Toblach die Heimfahrt an. Im Gepäck: viel Bestätigung, dass der von „verdECOnomia“ eingeschlagene Wege ein richtiger ist. Und faszinierende Anregungen zum Vertiefen rund um das Thema der Nachhaltigen Wirtschaft. Und die Überzeugung, auch nächstes Jahr wieder mit dabei zu sein. Bei den Toblacher Gesprächen.