Ambiente | Toblacher Gespräche 2016

Fettes Erbe

Wie wird die Welt gerechter? Und wie viel von meinem ersparten Geld muss ich dafür hergeben? Diese Fragen stellten sich heuer den Teilnehmern der Toblacher Gespräche.
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Foto: salto

Wann ist ein Mensch wirklich arm? Eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Besonders wenn es um die globale Gerechtigkeit geht. Eigentlich müsste man meinen, dass eine solche Frage besonders für eine christliche Sozialwissenschaftlerin wie Elke Mack leicht zu beantworten ist. Doch auch sie konnte darauf keine eindeutige Antwort geben. „Doch“, sagt Mack, „Menschen, die in einem afrikanischen Entwicklungsland leben sind sicherlich ärmer dran als arme Menschen in einem europäischen Industriestaat.“ Und genau diese Feststellung sorgte bei den Toblacher Gesprächen für heftige Diskussionen.
Wenn man von weltweiter Gerechtigkeit spricht, dann beweisen zwei Zahlen eindeutig, dass davon keine Rede sein kann: 40 Prozent der Weltbevölkerung verfügt lediglich über ein Prozent des globalen Vermögens. Und doch scheint sich etwas zu bewegen. Laut Mack ist die Globalisierung nicht nur mit Schuld an der weltweiten Ungleichverteilung. „Die Armut konnte noch nie in der Menschheitsgeschichte so schnell und breit gemindert werden.“ Bei solchen Aussagen kann der ehemalige Grüne Europa-Parlamentarier Sepp Kusstatscher nur den Kopf schütteln. „Von einem Rückgang der Armut kann keine Rede sein“, sagt er. Als Beweis dafür verweist er auf die Milleniumsziele der Vereinten Nationen zur Armutsbekämpfung. „Die sind ganz klar verfehlt worden.“ Auch Silvia Zamboni, vom wissenschaftlichen Beirat der Toblacher Gespräche, schüttelt den Kopf. „Denken Sie doch an die Arbeitsbedingungen, die Dumpinglöhne und die fehlenden gewerkschaftlichen Verträge in den Entwicklungsländern“, sagt Zamboni, „da kann man doch nicht von positiven Entwicklungen der Globalisierung sprechen.


Sozialwissenschaftlerin Elke Mack:Armut wurde so schnell bekämpft wie noch nie in der Geschichte

Was hat aber die weltweite Armut mit den Toblacher Gesprächen zu tun und der Frage: Wie kann die Welt den Übergang vom fossilen in das solare Zeitalter schaffen? Sehr viel. „Die Grundlage ist dieselbe“, sagt Mack, „die Folgen der Erderwärmung sind weltweit zu verspüren und hängen mit unserem Lebensstil zusammen.“ Aber wie soll man nun auf die Gerechtigkeitsfrage reagieren? Für die Moral-Theologin Mack besteht kein Zweifel: Es braucht eine weltweite Lösung, in die alle Staaten gleichermaßen eingebunden werden. Eine Art Weltgesellschaftsvertrag. Und vor allem: „Die westlichen Industriestaaten müssen ihren Teil dazu beitragen, damit endlich das Leid in den armen Weltregionen beendet wird.“ Wie das funktionieren soll, das macht Mack an jedem Menschen fest: „Jeder einzelne zementiert die globale Ungerechtigkeit, indem er den eigenen Wohlstand an seine Folgegenerationen weitervererbt.“ Demnach müssen die Menschen in den Industriestaaten bereit sein, das Eigentum höher zu besteuern. Und dann sei auch eine Abkehr von Einfuhrzöllen und Protektionismus der Wirtschaft notwendig. Nur so könne man die Gleichheit fördern. „Dazu müssen auch unangenehme Förderungen wie jene für die Landwirtshaft überdacht werden“, sagt Mack.

„Menschen, die in einem afrikanischen Entwicklungsland leben sind sicherlich ärmer dran als arme Menschen in einem europäischen Industriestaat.“ 
​Elke Mack

Zurück zum Anfang und der Frage, wann ein Mensch wirklich arm ist. Für den Soziologen und Koordinator der Toblacher Gespräche, Karl-Ludwig Schibel, ist ein armer Mensch in Afrika nicht unbedingt schlimmer dran als ein armer Mensch in einem Industriestaat. „Klar wird ein armer Mensch in Europa mehr Geld besitzen als jemand in Afrika“, sagt die Moral-Theologin Mack, „aber wir müssen an die Möglichkeiten der armen Menschen denken. Viele Menschen in Europa befinden sich in einer absoluten Machtlosigkeit.“ Diese Machtlosigkeit sei mitverantwortlich dafür, dass europaweit die rechtspopulistischen Parteien so großen Zuspruch erlangen. Mack verweist auf die qualitative Feststellung der Armut: „Arme Menschen in Entwicklungsländern haben einfach andere Probleme und wenn ihnen niemand hilft, dann gehen sie vor die Hunde.“

Sepp Kusstatscher: „Armut nimmt nicht ab“

Und nun, wie weiter? Mack ist durchwegs guter Dinge: „Die Steigerung des Wohlstandes in den Entwicklungsländern geht weiter. Und irgendwann werden auch die ärmsten Entwicklungsländer einen gewissen Wohlstand erreichen.“ Doch so lange dürfe man moralisch nicht warten. Deshalb müsste die Staatengemeinschaft nun endlich eingreifen und etwas tun. Das kann durch Entwicklungsprojekte oder staatliche Unterstützungen passieren. „Wir müssen unseren Wohlstand auch zugunsten der Armen einsetzen“, sagt Mack, „denn sie werden nicht warten.“ Die Folgen spüren wir durch die Flüchtlingsbewegungen. Deshalb müsse der so genannte globale Ausgleich erreicht werden. „Nur wenn die am wenigsten begünstigten Menschen am meisten bevorzugt werden, haben wir eine globale Gerechtigkeit erreicht.“  

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Max Ernst Dom, 10/02/2016 - 17:13

kusstascher *lügt* nicht, sondern *irrt* sich, wenn er glaubt dass nicht alle entwicklungsziele erreicht worden sind. gleichzeitig zu dieser positiven globalen entwicklung lässt sich ein ansteigen der armut(sgefährdung) auch in nicht-entwicklungsländer beobachten.

Dom, 10/02/2016 - 17:13 Collegamento permanente
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Harald Knoflach Dom, 10/02/2016 - 18:49

das problem ist in der tat, wie man armut definiert.
extreme armut (also menschen, die die essentiellsten bedürfnisse wie essen, trinken und obdach usw. nicht erfüllen können) geht offenbar tatsächlich stark zurück.
gleichzeitig klafft die schere zwischen besitzenden und nicht-besitzenden immer weiter auseinander. und das ist mindestens ein genauso großes problem wie extreme armut.
https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/soziale-ungleichheit

Dom, 10/02/2016 - 18:49 Collegamento permanente