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Die Konsequente

Sarah war vor sieben Jahren in Bolivien. Seither ist die Logopädin und zweifache Mutter noch achtsamer beim Einkauf und der Nutzung von Ressourcen.
Sarah Kofler
Foto: Anna Mayr

Sarah Kofler aus Lana hat an der Claudiana in Bozen 2010 die Logopädie-Ausbildung abgeschlossen. Im Jänner 2014 flog die heute 33-Jährige nach Südamerika und absolvierte in Cochabamba, Bolivien drei Monate ein OEW-Praktikum. Sie unterstützte Pädagoginnen einer Tagesstätte für Kinder mit Beeinträchtigung und begleitete in einer Sozialstiftung Kinder bei den Hausaufgaben. Jetzt arbeitet sie in Meran und ist Mutter von Matteo und Dario.
 

Sarah, welche Bilder steigen auf, wenn du an die Zeit in Bolivien denkst?

Sarah Kofler: Ich erinnere mich an viele bunte Farben und Stoffe; an die große Sortenvielfalt, wie zum Beispiel beim Mais mit seinen 45 Sorten und 100 Varietäten; an die Sammeltaxis, in die jede*r auf der zugeteilten Strecke ein- und aussteigen kann, wo es gerade gebraucht wird.
 
Wie hast du dich auf dein Praktikum in Bolivien vorbereitet?

Die OEW bietet Vorbereitungsseminare an, von denen ich zwei besucht habe. Wir haben über eigene Bilder und Vorurteile gesprochen und auch über unsere Privilegien als weiße Menschen diskutiert. Außerdem habe ich Spanisch, die koloniale Amtssprache gelernt und Praktika bei der Caritas im Tagesclub für Menschen mit psychischen Erkrankungen und im Obdachlosenheim Meran gemacht.
 
Als Logopädin ist Sprache wichtig. Welche Rolle hat Sprache gespielt?

Sprache ist ein Tor zum besseren Verständnis der Welt. Während ich in Bolivien war, habe ich mir oft gewünscht, besser Spanisch zu sprechen. Vor allem bei den Hausbesuchen wäre es für mich bereichernd gewesen, auch Quechua zu verstehen. Das ist eine der vielen indigenen und offiziell anerkannten Sprachen. Bei persönlichen Angelegenheiten ist die Muttersprache die Herzenssprache.
 
Was hat dich beeindruckt?

Ich erinnere mich an einen Hausbesuch an meinem Geburtstag. Ich habe die Projektleitende und Sozialarbeiterin Mirtha Rosario Oviedo begleitet. Wir haben eine Frau besucht, die gleich alt war wie ich (26), und am Tag davor ihr fünftes Kind mithilfe ihres Mannes in ihrem Familienbett zur Welt gebracht hatte. Die Sozialarbeiterin hat sofort die postpartale Unterstützung übernommen und im Beisein der gesamten Familie sehr einfühlsam auf die Bedürfnisse der Frau reagiert.

 

Wo hast du dich besonders eingesetzt?

Es macht ohnmächtig, wenn Kinder nicht lesen und schreiben können, denn so bleiben sie ihr Leben lang benachteiligt. Umso schöner ist es zu spüren, wenn die Hausaufgabenhilfe im Projekt wirkt. Ich habe versucht, den Kindern, besonders jenen mit Lernschwierigkeiten, gesonderte Hilfestellungen zu geben.
 
Was wünschst du den Menschen in Bolivien?

Bei meinem Aufenthalt ist mir bewusst geworden, wie gut das italienische Sozialsystem funktioniert. Ich wünsche den Menschen in Bolivien, dass sie existenziell abgesichert sind und nicht durch das Raster fallen. Als Sozialarbeiterin übernimmt Mirtha Rosario Oviedo diese Aufgabe bei 60 Familien, aber Unterstützung bräuchten weitaus mehr Menschen. Die derzeitige Situation mit dem Corona-Virus verschärft die Lage extrem: Familien haben durch den strengen Lockdown kein Einkommen mehr und müssen täglich aufs Neue schauen, wie sie durchkommen.
 
Was hat sich bei dir seit Bolivien verändert?

Das Boykottieren großer Konzerne fällt mir noch leichter. Ich verzichte auf Produkte von Nestlé, Pepsi oder Barilla und schätze regionale, saisonale, verpackungsfreie Produkte. Ich versuche, so viel wie möglich von den Produzent*innen selbst zu kaufen, um Preisspekulationen auszuschließen und dem Produkt seinen Wert zu belassen. Seit Bolivien esse ich keine Quinoa mehr. Es findet in Europa als Superfood reißenden Absatz und hat früher in Bolivien wie Kartoffeln und Reis zu den Grundnahrungsmitteln gehört. Jetzt können es sich die Menschen nicht mehr leisten, weil der Preis extrem gestiegen ist.
 
Was verbindet dich bis heute mit dem Projekt?

Ich arbeite seit 2014 in der Südtiroler Bolivien-Projektgruppe mit, in der sich die meisten Rückkehrer*innen einbringen. Jährlich veranstalten wir ein Benefizdinner mit geretteten Lebensmitteln und ein Watt-Turnier. In der Gruppe entstehen Freundschaften und gemeinsam können wir über die Erfahrungen im Projekt reflektieren.

 


Projekt & Projektort

Vida y Esperanza

„Vida y Esperanza“ unterstützt 60 Familien sowie 100 Kinder und Jugendliche im Viertel Champarrancho in Cochabamba. Die Kinder erhalten notwendige Schulmaterialien und werden im Projektzentrum bei den Hausaufgaben unterstützt. Außerdem werden ihnen und ihren Eltern Workshops zu Themen wie Selbstbewusstsein und Gewaltprävention angeboten. Die Familien erhalten finanzielle Unterstützung in Notsituationen.
In der Tagesstätte „Centro Sigamos“ erhalten Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung eine schulische Bildung, Möglichkeiten zum Spielen, psychologische und physiotherapeutische Betreuung und reichhaltige Mahlzeiten.

Cochabamba in Bolivien, Südamerika

In den Randbezirken von Cochabamba leben zahlreiche Familien, die auf der Suche nach einem besseren Leben vom Hochland in die Großstadt gezogen sind. Viele haben keine abgeschlossene Schulbildung und sind teilweise Analphabet*innen. Deshalb können sie ihre Kinder bei Schulaufgaben oft nicht unterstützen. Die prekäre Arbeitssituation ermöglicht es vielen nicht, die Kinder zur Schule zu schicken.