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"Wir gehen gesammelt auf die Straßen"

Warum die Aktivistin und Künstlerin Laura Volgger am 15. Oktober beim zweiten Frauenmarsch in Bozen mitmarschiert und weshalb das auch andere Menschen machen sollten.
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Foto: Laura Volgger

salto.bz: Am 15. Oktober findet erneut der Frauenmarsch in Bozen statt. Sie und viele weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter befinden sich in der Vorbereitung. Was ist zu erwarten?

Laura Volgger: Wer im letzten Jahr mit dabei war, kann sich noch an die unglaubliche Energie erinnern, die von den hunderten demonstrierenden Menschen freigesetzt wurde. Dabei stand ein klares Ziel im Vordergrund, nämlich Geschlechtergleichstellung und Chancengleichheit in allen gesellschaftlichen Bereichen. Und dieses Ziel hat sich bis heute nicht verändert. Auch am 15. Oktober werden wir dafür auf die Straße gehen. Gemeinsam mit allen Südtiroler*innen, die unsere Forderungen teilen und die es nicht hinnehmen wollen, dass hochpolitische Themen wie geschlechtsspezifische Gewalt – die nie nur privat ist und war – nicht auf der politischen Tagesordnung stehen. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage werden unsere Forderungen wichtiger denn je.
 

Es gibt mehr Südtiroler Gemeinden mit einem Bürgermeister namens Thomas, Paul oder Martin als einer weiblichen Bürgermeisterin. Kein Witz.


Als Aktionistin ist es Ihnen auch ein Anliegen bestehende Zustände durch künstlerische Aktionen zu verändern. Warum ist für Sie die Kunst eine gute Begleiterin bei Demonstrationen, Protestveranstaltungen, Aufmärschen?

Kunst ist ein Werkzeug, um hinzuzeigen, aufzuzeigen, aufzubrechen, umzumodeln. Kunst kann ein Sprachrohr sein. Und Kunst kann radikal sein, wenn sie will. Wenn sie im Rahmen von Demonstrationen von unten entsteht, kennt sie keine Grenzen und ist nicht an institutionelle und in der Kunstwelt oft elitäre Rahmenbedingungen gebunden. Raum für gewisse Themen wird uns in institutionalisierten Kontexten oft nicht gegeben, da bestimmtes Wissen für weiße Cis-Männer irrelevant, ja mitunter sogar bedrohlich ist. Aber wir müssen uns dieses Wissen aneignen. Es macht nämlich für gewisse gesellschaftliche Gruppen sehr wohl einen Unterschied, wer neben Vollzeitjobs noch zu Hause den Haushalt schmeißt oder wer wegen der Kinder eher zu Hause bleibt. Das sind wichtige Wissenslücken, die es zu schließen gilt und die Raum brauchen. Und wenn wir den Raum nicht kriegen, müssen wir ihn uns eben nehmen! Platz schaffen für diese Themen. Wir müssen das Wissen nach außen tragen, mit anderen teilen, weiterverbreiten. Und ein Wissensfakt to go am Rande: Es gibt mehr Südtiroler Gemeinden mit einem Bürgermeister namens Thomas, Paul oder Martin als einer weiblichen Bürgermeisterin. Kein Witz.

Bei der von Ihnen gestalteten Installation beim Frauenmarsch 2021 wurden 50 weiße Stühle als Symbol gegen Gewalt an Frauen auf dem Bozner Waltherplatz aufgereiht. Sind die Stühle auch in diesem Jahr Teil des Frauenmarschs?

Leider haben die Botschaften, die mit der Installation transportiert wurden, immer noch dieselbe Relevanz. Fast 40 Prozent von den 305 Morden in Italien im Jahr 2021 waren Frauenmorde und 86 Prozent davon passierten im direkten familiären Umfeld. Das ist erschreckend und wir müssen darüber reden. Dies geschieht im Rahmen des zweiten Frauenmarsches allerdings ohne Stühle, da diese sich noch in diversen Gemeinden auf Wanderschaft befinden. 
Seit einem Jahr tourt nämlich die Stuhlinstallation durch Südtiroler Gemeinden und hat dabei durchaus auch viele kleinere und ländliche Gemeinden erreicht. Im Vinschgau sind die Mädels des ÄtschBätsch Podcasts aktiv. Unser Netzwerk ist landesweit im Wachsen begriffen und hat sich auch in ländlichen Gebieten ausgeweitet. 
 

 

In einem Galeriegang in der Nähe des Bozner Waltherplatzes stellen Sie gerade Installationen mit Text und Fotos unter dem Titel „Weapons of a Housewife“ in die bestehenden Vitrinen. Eindeutig feministische Kunst?

Einen politischen Anspruch im künstlerischen Arbeiten zu verfolgen, finde ich unumgänglich. Es gibt in main- und malestream Diskursen so viele Stimmen, die nicht gehört werden, so viele Erzählungen, die auf nur einem Hauptnarrativ aufgebaut sind. In "Weapons of a Housewife" untersuche ich Care-Arbeit, die ein wesentliches Fundament unserer Gesellschaft ist. Dennoch wird sie vielfach nicht als Arbeit wahrgenommen. Sie bleibt unsichtbar. Unser Wohlfahrtsstaat ist ein Wohlfühlstaat für all jene, die auf privat erbrachte Reproduktionsarbeit – von zumeist Frauen – zurückgreifen können. Das ist schön für einige, für andere weniger, da Haus- und Pflegearbeit als ‚private Tätigkeiten‘ abgestempelt werden und es von einer guten Mutter, Großmutter, Tante, Schwester oder Schwiegertochter erwartet wird, dass diese Tätigkeiten aus ‚Liebe‘ oder ‚Verantwortungsbewusstsein der Familie gegenüber‘ ausgeführt werden. Ohne Entlohnung oder Pensionsansprüche, versteht sich. Diese Rhetorik ist irreführend und verschleiert zugrunde liegende Ungleichheiten. Familienarbeit ist Arbeit und gehört angemessen entlohnt und wertgeschätzt.
In „Weapons of a Housewife“ verhandle ich Haushaltsgegenstände als Waffe und stelle mir die Frage, was passiert, wenn Care-Arbeiten ausübende Menschen ihre „Waffen“ niederlegen. Es ist eine Selbstporträt-Serie, die herausfordern soll. Um hinzuschauen, wahrzunehmen und wertzuschätzen. In diesem Sinne steckt sicher ein Fünkchen Feminismus drinnen. 
 

 

Ihr feministisches Kunstprojekt „On Remembrance“ entstand 2021 als Reaktion auf Femizide und geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt in Italien. Ein Lebensprojekt?

Das wäre traurig. Ich hoffe doch stark, dass sich gesellschaftspolitische Strukturen diesbezüglich ändern werden. Aber wichtig ist, über Frauenmorde zu sprechen, sie zu benennen. Es macht einen riesigen Unterschied, wenn ich in Medien von "Beziehungs-" oder "Familiendramen" lese oder eben explizit von Frauenmorden. Erstere implizieren einen Einzelfall, zweitere benennen das strukturell gesellschaftliche Problem beim Namen. Und solange das unverschleierte Benennen die Ausnahme bleibt, solange soziale Markierungen wie Klasse, Herkunft, Geschlecht oder sexuelle Orientierung maßgeblich mit entscheiden, welches Leben ich führen kann und wie ich wo politisch vertreten werde, und solange diese sozialen Markierungen zu Ungleichheit, Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt führen, solange werden Feminist*innen gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt ankämpfen.
 

Rassismus, Klassismus, Homophobie und Sexismus dürfen in der Gesellschaft absolut keinen Platz mehr bekommen und um das zu signalisieren, rufen wir im Kollektiv Frauenmarsch dazu auf, auf die Straßen zu gehen! 


Viele Italienerinnen und Italiener haben Angst vor dem Begriff Feminismus, bzw. vor Feministinnen und Feministen, aber nicht etwa vor Giorgia Meloni und dem Faschismus. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

In alte Muster zurückzukehren ist einfacher, als Neues mit offenen Armen aufzunehmen. Auch wenn dieses Alte aus hasserfüllten und von Vernichtungsfantasien getriebenen Bewegungen besteht. Das ist tragisch. Wir wissen alle, was der Faschismus angerichtet und zerstört hat. Und wir wissen aber auch, dass wir ohne Feministinnen kein Wahlrecht für alle hätten. Oder dass Vergewaltigung in der Ehe noch legal wäre. Und wir wollen auf diese hart erkämpften Rechte nicht mehr verzichten. Umso wichtiger ist es, dass feministische Bewegungen noch stärker werden und demokratische Werte verteidigen. Rassismus, Klassismus, Homophobie und Sexismus dürfen in der Gesellschaft absolut keinen Platz mehr bekommen und um das zu signalisieren, rufen wir im Kollektiv Frauenmarsch dazu auf, auf die Straßen zu gehen! 
 

 

„Wenn Wahlen irgendetwas verändern würden, wären sie illegal!“ meinte einst die politische Aktivistin Emma Goldman. Warum gehen viele junge Menschen einfach nicht mehr zur Wahlurne?

Die Politikverdrossenheit vieler junger Menschen verwundert kaum angesichts der Tatsache, dass gesellschaftsrelevanten Zukunftsthemen viel zu wenig Beachtung geschenkt wird und das Vertrauen der BürgerInnen durch von ihnen gewählte RepräsentantInnen missbraucht wird. Auch 2022, auch in Südtirol. Aber Demokratieskepsis ist auch keine Lösung. Junge Menschen wollen nämlich sehr wohl mitentscheiden, wollen mitreden und etwas bewegen. Dabei wird aber oft nicht mehr der Weg über konventionelle politische Institutionen gewählt, die sie und ihre Anliegen nicht wirklich repräsentieren, sondern der des Aktivismus „von unten“. Fridays for Future, Me Too oder Black Lives Matter geben jenen ein Sprachrohr, die in institutionalisierten Einrichtungen oft unsichtbar bleiben.  

Viele gesellschaftliche Errungenschaften stehen möglicherweise schon bald durch die altbackene Denke der "Fratelli"-Partei auf der Kippe. Bräuchte Italien vielleicht eine starke Partei der "Sorelle"? Wie stehen Sie persönlich zum Begriff Frauensolidarität?

Frauensolidarität ist wichtig. Aber noch wichtiger als exklusiv unter Frauen* oder Männern* bestehende Solidarität ist das Kämpfen für ein gemeinsames Ziel – im Wissen, dass Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft ungleich verteilt sind. Eine Frau an der Spitze einer Partei schafft noch keine Gleichberechtigung, ein Mensch, der sich aktiv gegen Diskriminierung und Sexismus einsetzt, viel eher. Was Italien dringend bräuchte, wäre eine Professionalisierung der institutionalisierten Frauenpolitik mit klar formulierten Zielen und kein faschistisches Rechts-Rechts-Rechts Bündnis. Jetzt ist Solidarität mehr gefragt denn je. Aber weder eine in reinen Männer- noch in reinen Frauenbündnissen. Wir gehen gesammelt auf die Straßen.
 

Vorwärts und nicht vergessen: Frauenmarsch - Donne in marcia 2021 / Foto: Salto.bz