Economia | Gastbeitrag

Seichte Bäche rauschen laut

Gedanken aus dem Mutterland zu den Kollektivvertragsverhandlungen und zu Südtirols Autonomie im Bereich der Personalordnung.
Öffentlicher Dienst
Foto: upi
 
Aktuell bin ich im Mutterland Österreich unterwegs, aber die unglaubliche Behauptung, die Südtiroler Landesregierung habe im Bereich der Personalordnung autonomiepolitisch die Hosen heruntergelassen, hat mich als nun auch Salto-Leserin dann doch erreicht. Diese Aussage ist von derart großer Unkenntnis der Fakten getragen, dass ich selbst dann, wenn ich wollte, nicht darauf verzichten könnte, diese Aussage zu kommentieren.
Es sind effektheischende Behauptungen wie diese, die unserer Autonomie den vermeidbarsten Schaden zufügen. Was bitte soll es Positives bewirken, wenn man behauptet unsere Autonomie habe den Wert eines Regenschirmgeschäftes in der Sahara. Dadurch bekommt höchstens die Meinung Auftrieb, dass die Staatsgesetze ausnahmslos über jenen des Landes stehen. Was – wie wir hoffentlich alle wissen – schlicht und ergreifend falsch ist. Oder wollen wir uns die Autonomie so lange schlechtreden, bis wir sie damit selber zerfleddern?
Was bitte soll es Positives bewirken, wenn man behauptet unsere Autonomie habe den Wert eines Regenschirmgeschäftes in der Sahara.
Die Entscheidung der Landesregierung, den drohenden Gang der italienischen Regierung vor den Verfassungsgerichtshof zu vermeiden, indem man die Regelung eines eigenen Südtiroler Inflationsausgleichs mit Landesgesetz vorerst zurücknimmt, ist auf arge Kritik gestoßen. Aber was ist da eigentlich passiert?
Mit dem Nachtragshaushalt des Landes Südtirol vom 30. Juli 2019 wurde in Artikel 10 festgelegt, dass für die Berechnung der allgemeinen Gehaltserhöhungen bei den Vertragserneuerungen als Bezugsgrundlage der Harmonisierte Verbraucherpreisindex für die Europäische Union herangezogen wird. Für Südtirol sollte dieser unter Berücksichtigung der lokalen Preisentwicklung vom Landesinstitut für Statistik ASTAT berechnet werden. Als Ergebnis hätte Südtirol einen Inflationsausgleich von 4,8 Prozent anstatt der italienweit vom ISTAT berechneten 3,0 Prozent gehabt. Das römische Regionenministerium hat am 25. September mitgeteilt, dass die Regierung beabsichtige am Tag darauf – also am 26. September – im Ministerrat den Passus bezüglich der 4,8 Prozent wegen Verfassungswidrigkeit anzufechten. Nach Ansicht der römischen Rechtsexperten würde ein Inflationsausgleich, der höher ist, als der vom Staat angewandte, eine Reihe von Verfassungsgrundsätzen verletzen. Der Landeshauptmann hat dem Regionenminister kurz vor dem Ministerrat am 26. September mitgeteilt, dass es die Bereitschaft gebe, dem Landtag eine Rücknahme der betreffenden Gesetzesbestimmung vorzuschlagen, um eine Anfechtung des gesamten Gesetzes vor dem Verfassungsgerichtshof zu vermeiden. Der Ministerrat hat daraufhin auf eine Anfechtung verzichtet.
Als in den Tagen darauf das Thema über die Wahrnehmungsgrenze gehoben wurde, folgten harsche Reaktionen verschiedener (Oppositions-)parteien sowie von Gewerkschaftsfunktionären. Auch der Südtiroler Schützenbund sah sich veranlasst, eine Stellungnahme zum Status quo der Autonomie abzugeben. Etwas überspitzt gesagt wurde behauptet Südtirols Autonomie sei nichts wert, werde in ihrer Wertlosigkeit auch noch zu wenig verteidigt und der Landeshauptmann würde samt seiner Regierung ohnehin schon beim kleinsten Windhauch feige den Rückzug antreten.
Der ständige Versuch unsere Autonomie als löchrigen Käse darzustellen und die institutionellen Rollen ins Lächerliche zu ziehen, schadet allen SüdtirolerInnen.
Der ständige Versuch unsere Autonomie als löchrigen Käse darzustellen und die institutionellen Rollen ins Lächerliche zu ziehen, schadet allen SüdtirolerInnen. Dabei ginge es m.E. – gerade auch 50 Jahre nach Zustimmung zum Paket – oft vielmehr darum, bewusst zu machen, was diese Autonomie bedeutet, was sie bewirkt, was sie ermöglicht hat. Vieles, was uns heute so selbstverständlich erscheint, ist Ergebnis dieser Autonomie und was die Menschen in Südtirol in positivem Zugang daraus gemacht haben. Gleichzeitig soll nicht verschwiegen werden, dass es immer auch wieder Öffnungen und Einschränkungen der Autonomie gegeben hat, die verantwortungsvolles politisches Engagement permanent erfordern. Wachsamkeit wird für die Volksgruppen immer notwendig bleiben.
Die Situation im Bereich der Kollektivverträge ist komplex und eignet sich nicht für Verallgemeinerungen und Vereinfachungen. Nach der Verfassungsreform im Jahre 2001, hat der italienische Verfassungsgerichtshof die autonomen Spielräume des Südtiroler Landesgesetzgebers mit einer Reihe von Urteilen eingeengt. Er interpretierte die Regeln der neuen Verfassung dahingehend, dass die sogenannten Querschnittkompetenzen in den Bereichen „Zivilrechtsordnung“, „Wettbewerb“, „Koordinierung des öffentlichen Haushalts“, „Mindeststandards der öffentlichen Verwaltung“ auch auf jene Bereiche Anwendung finden, in denen Südtirol primäre Gesetzgebungsbefugnis hat. Dies bedeutet nach Ansicht des Verfassungsgerichts, dass Landesrecht sich immer an den staatlichen Bestimmungen zu orientieren habe, wenn einer dieser Querschnittbereiche berührt ist. Das ist eine schwerwiegende Einschränkung der Autonomie, gegen die seit Jahren auf allen institutionellen Ebenen mit viel Einsatz vorgegangen wird. In den letzten fünf Jahren ist es durch verschiedene Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut gelungen, die autonome Gesetzgebungsbefugnis des Landes in vielen Bereichen wiederherzustellen und die zwischenzeitlich verlorengegangene Autonomie wieder zurückzuholen. Man denke zum Beispiel an das Vergaberecht, die Handelsurbanistik oder die Jagd.
Nachdem im Jahr 1992 die „Privatisierung des Personalrechtes“ im öffentlichen Dienst begonnen hat und 2001 dann zur Umsetzung kam, schränkt der Verfassungsgerichtshof mit Verweis auf die staatliche Zuständigkeit in der Zivilrechtsordnung den autonomen Handlungsspielraum Südtirols zunehmend ein. Der Erlass einer Durchführungsbestimmung zur Wiederherstellung der Autonomie im Bereich der Personalordnung ist bisher leider noch nicht geglückt. Das jüngste Urteil in diesem Bereich betrifft die sogenannte Führungskräftezulage und stellt nicht nur unsere Führungskräftestruktur in Frage, sondern trifft auch viele aktive und ehemalige MitarbeiterInnen der Landesverwaltung auf – zumindest in meinem Empfinden – zutiefst ungerechte Weise.
Vor diesem Hintergrund ist der angedrohte Gang der römischen Regierung vor den Verfassungsgerichtshof zu sehen. Es wäre in meinen Augen höchst unverantwortlich gewesen, diesen Rechtskonflikt nicht zu vermeiden. Denn wer hätte die möglicherweise ausgehandelten Kollektivverträge unterschrieben, wer die höheren Gehälter ausgezahlt, wenn die Rechtsgrundlage vor dem Verfassungsgericht behängt? Man versetze sich in die Situation dieser Beamten, denen man solches zumuten wollte. Durch den aktuellen Verzicht wird es somit einerseits möglich, die Kollektivertragsverhandlungen auf einer gesicherten Rechtsgrundlage weiterzuführen und vielleicht sogar abzuschließen.
Andererseits ermöglicht diese Vorgangsweise die unverzügliche Aufnahme von Verhandlungen mit der neuen Regierung, um die genannte Durchführungsbestimmung zu verabschieden, welche die autonomen Zuständigkeiten Südtirols im Bereich der Personalordnung insgesamt wiederherstellt. Bei einem behängenden Rekurs vor dem Verfassungsgericht wäre dieser Weg verbaut. Die Aufnahme der Verhandlungen ist offensichtlich bereits beim ersten Treffen zwischen Landeshauptmann Arno Kompatscher und dem neuen Regionenminister Francesco Boccia in Rom erfolgt. Der dringende Erlass der Durchführungsbestimmung zum Personalwesen stand im Mittelpunkt des Gesprächs. Für die Wiederherstellung unserer Autonomie gilt es eben tief in die Fakten einzutauchen und mit der gebotenen Ruhe nach Lösungen zu suchen, anstatt laut polternd in seichten Wassern baden zu gehen.

Martha Stocker saß von 1998 bis 2018 für die SVP im Südtiroler Landtag. Sie war von 2004 bis 2013 Regionalassessorin und von 2013 bis 2018 Landesrätin  für Gesundheit, Sport, Sozialwesen und Arbeit. Ende 2018 schied sie aus der Mandatspolitik aus.
 
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Martin Aufderklamm Ven, 10/04/2019 - 02:43

Dass die Angestellten des BÜKV in Südtitol die einzigen mit 38 Wochenstunden Soll-Arbeitszeit sind, während im restlichen Italien die Angestellten der lokalen Körperschaften (so wie alle anderen öffentlichen Bediensteten Italiens) 36 Wochenstunden verpflichtet sind, darüber wird selten gesprochen und dieser Umstand wird nicht eingeklagt, eingeschränkt oder harmonisiert.

Ven, 10/04/2019 - 02:43 Collegamento permanente
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Salto User
Günther Alois … Ven, 10/04/2019 - 06:55

Originalzitat Martha Stocker: das ist eine schwerwiegende Einschränkung der Autonomie???? merken sie nicht dass sie sich wiedersprechen????? Ich glaube wer in Südtirol denken kann und die Fakten kennt,der kann getrost auf ihren Kommetar verzichten!!!

Ven, 10/04/2019 - 06:55 Collegamento permanente
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Salto User
Manfred Gasser Ven, 10/04/2019 - 09:50

"Es wäre in meinen Augen höchst unverantwortlich gewesen, diesen Rechtskonflikt nicht zu vermeiden"

Waren da gestern nicht noch einige Kommentare wegen der doppelten Verneinung, oder hab ich das geträumt?

Ven, 10/04/2019 - 09:50 Collegamento permanente
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Sepp.Bacher Ven, 10/04/2019 - 11:31

Frau Martha Stocker
"Dabei ginge es m.E. – gerade auch 50 Jahre nach Zustimmung zum Paket – oft vielmehr darum, bewusst zu machen, was diese Autonomie bedeutet, was sie bewirkt, was sie ermöglicht hat." Was hat sie für Lohnempfänger und Rentner möglich gemacht? Ja durch den Proporz im öffentlichen Dienst, wurden viele Stellen für Südtiroler frei; die wir dann aber nicht alle besetzen konnten. Anstatt zuzulassen, dass die frei gebliebenen Stellen von qualifizierten italienischen Südtirolern besetzt werden, veranlasste man, dass in der Zwischenzeit Leute von auswärts geholt werden. Wir wissen alle, was das verursacht hat! Wie antworten Sie mir darauf?
"In den letzten fünf Jahren ist es durch verschiedene Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut gelungen, die autonome Gesetzgebungsbefugnis des Landes in vielen Bereichen wiederherzustellen und die zwischenzeitlich verlorengegangene Autonomie wieder zurückzuholen. Man denke zum Beispiel an das Vergaberecht, die Handelsurbanistik oder die Jagd." Ja die Volkspartei wird aktiv, wenn es um Themen der Wirtschaftslobbys geht, oder Wolf und Bär; auch die von Ihnen genannten Vergaberecht, die Handelsurbanistik oder die Jagd fallen in diese Logik.
Wann hat die SVP, die Landesregierung (für Arbeit und Soziales waren Sie zuständig) und der Landeshauptmann in den letzten sechs Jahren etwas für die untere Hälfte der Gesellschaft getan? Eben für leistbares Wohnungen, und hat in Rom interveniert, dass man die lokalen/regionale Teuerungsrate her nimmt zur Berechnung der Gehälter und Renten um den Inflationsausgleichs zu erreichen?
Bezüglich der Teuerungsrate bei den Rentnern bräuchte es auch einen gesonderten Warenkorb, da Rentner verhältnismäßig wenig ausgeben bei Kleidung und Elekronik, die einen großen Teil ausmachen und die Inflation herunter drücken. Für die Rentner sind die häufigsten Ausgaben einerseits die täglichen Einkäufe von Lebensmittel und Obst sowie Gemüse, anderseits jene von Wohnnebenkosten Stom, Gas, Wasser oder Ähnlichem, wo die Preise ständig steigen. Folglich spüren die Rentner /Seniorinnen eine noch höhere Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben. Was haben Sie in dieser Angelegenheit als Referentin getan/erreicht?

Ven, 10/04/2019 - 11:31 Collegamento permanente