Società | Nachhaltigkeit

Alles hängt mit allem zusammen

Nach 17 Jahren im Sozialen, widmet sich Alexander Nitz bei b*coop nun ganz dem Thema Nachhaltigkeit. Im Interview erklärt er warum und dass alles mit allem zusammenhängt.
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Foto: (c) Haus der Solidarität

von Daniela Halbwidl

Salto.bz: Herr Nitz, Sie waren 17 Jahre beim Haus der Solidarität beschäftigt bevor Sie zur b*coop nach Brixen gewechselt haben. Was hat Sie zu diesem Wechsel bewegt und worum kümmern Sie sich dort?

Das Thema Nachhaltigkeit ist mir immer wichtiger geworden und zugleich habe ich mich hier immer ohnmächtiger gefühlt. Die Entscheidung traf ich aus dem Bedürfnis heraus noch mehr zu tun, weil ich einfach die Dringlichkeit emotional stark spüre. Deswegen dachte ich mir, dass es ein guter Zeitpunkt sei, um hier aktiv zu werden. b*coop ist ein relativ neues Projekt. Es ist die erste städtische Bürger*innen-Genossenschaft in Südtirol. Wir kümmern uns vor allem um die Themen Nachhaltigkeit, kleine Kreisläufe, Energie und Klima.


Das Soziale ist ja bereits eine Säule der Nachhaltigkeit, erweitern Sie also im Grunde Ihren Tätigkeitsbereich?

Ja, im Endeffekt hängt ja alles mit allem zusammen. Sowohl als HdS sind wir eine Genossenschaft, als auch die b*coop. Beide sind Mitglied bei Coopbund, das ist das Dach der Genossenschaften in Südtirol. b*coop steht für Brixen Genossenschaft. Im Haus der Solidarität merkten wir immer stärker, dass wir mit sogenannten Klimaflüchtlingen zu tun haben. Das eine, also die Problematiken im Sozialbereich, ist deshalb aus meiner Sicht ohne dem anderen, Nachhaltigkeit im Ganzheitlichen, nicht lösbar.

 

Wie gehen Sie im Privaten das Thema Nachhaltigkeit an? Wie kommen Sie beispielsweise in die Arbeit?

Ich komme aus der Nähe von Brixen, genauer gesagt Feldturns und pendle zu Fuß, mit dem Rad und mit dem Bus nach Brixen. Das Auto nutze ich nur, wenn ich eine Veranstaltung besuchen muss, nach deren Ende kein Bus mehr fährt. 

Sie agieren also aus Überzeugung im Sinne der Nachhaltigkeit, privat wie beruflich?

Ja, ich probiere es. Es ist nicht immer leicht, aber wenn es gelingt, macht es Freude und ich verspüre gute Energie. Ich bemühe mich sei es bei mir selbst auf individueller Ebene, als auch innerhalb meiner Familie, denn ich habe fünf Kinder. Auch wenn natürlich die Frage berechtigt ist, ob es überhaupt nachhaltig ist, eine solch große Familie zu gründen. (lächelt)

Bemühen Sie sich ihre Wertvorstellungen hinsichtlich Nachhaltigkeit auch an Ihre Kinder weiterzugeben?

Mit Kindern, die junge Erwachsene werden, eigene Wege gehen und natürlich auch andere Konsumgewohnheiten entwickeln, ist es nicht einfach. Ich hoffe natürlich, dass das, was meine Frau und ich versuchen vorzuleben, angenommen wird. Ich bin aber kein Fan vom „Erziehen“, wir müssen es „Vorleben“, das ist wichtig, im Kleinen und im Großen.

Wie war ihre Rolle beim Haus der Solidarität und wie definiert sich Ihre Rolle jetzt?

Im Haus der Solidarität war ich Mitglied der Hausleitung. Wir haben dort ganz klein angefangen und damals war ich mit meinem Kollegen praktisch für alles zuständig. In den letzten Jahren haben sich dann die jeweiligen Aufgabenbereiche deutlicher herauskristallisiert. So definierten wir, dass ich die Finanzierung, die Netzwerkarbeit und die politische Arbeit übernahm, weniger die Arbeit mit den Gästen. Ich hoffe, dass ich in Zukunft für das Haus der Solidarität weiter ein Mentor sein darf, denn es ist mir ein Herzensanliegen und das wird es auch immer bleiben.

An welcher Aufgabe sind Sie am meisten gewachsen?

Zum einen sehe ich mein Wachstum organisatorisch. Ich habe mir zwar jeden Tag meine ToDo-Liste erstellt, aber ich musste und durfte jeden Tag erneut erfahren, dass es Flexibilität braucht. Denn wenn ich 50% dieser Liste geschafft habe, dann war das bereits viel. Auf der persönlichen Ebene habe ich gelernt, dass mir eine gesunde Distanz zu den Schicksalen der Menschenleben fehlt. (lächelt) Deshalb sind professionelle Sozialarbeiter*innen hier besser am Platz als ich. Manche Geschichten gingen mir einfach zu tief unter die Haut und sie begleiteten und belasteten mich dann auch in der Zeit nach der Arbeit.

Menschen in Gesundheits- und Sozialberufen gehören mitunter zu den psychisch am stärksten belasteten Berufsgruppen. Wird hier aktiv etwas getan, um sie zu entlasten?

Wir haben Team- wie auch Fallsupervision. Da beschäftigen wir uns mit Teamdynamiken, aber auch mit der Problemsituationen von Gästen, bei denen wir anstehen und nicht weiterkommen. Ich selbst durfte auch zweimal eine kleine Auszeit von 3 bis 4 Monaten nehmen. In anderen Ländern wie z.B. Österreich ist das noch besser geregelt. Hier darf man meines Wissens alle fünf Jahre eine Auszeit von mehreren Monaten nehmen. Ich glaube, dass das für die Psychohygiene aller Personen im Sozialbereich absolut notwendig wäre. Doch hier ist eine große Kluft zwischen Erwartungen und Realität. Auch die Bezahlung ist sehr schlecht, weil die Organisationen einfach nicht mehr Ressourcen zur Verfügung haben. Wir haben immer wieder Situationen des Burnouts im Haus der Solidarität und bekommen das leider nicht in den Griff. Wir haben sehr engagierte Mitarbeiter*innen, die sich voll einsetzen und die über ihre Grenzen gehen, mich eingeschlossen.

Worin messen Sie den Erfolg Ihrer Arbeit?

Je länger ich im Haus der Solidarität war, desto klarer wurde mir, dass große Veränderungen schwer sind, aber es gibt immer wieder - sogar tagtäglich - kleine Erfolgserlebnisse. Man muss nur ein Gefühl dafür entwickeln, nicht nur das Negative zu sehen, sondern seinen Blick für das Positive schärfen. Dann wird einem auch viel mehr Positives auffallen. Das setzt einen Engelskreislauf in Gang und eine Serie positiver Reaktionen wird folgen. 

Welche waren denn Ihre großen Erfolgserlebnisse?

Ein großer Erfolg war es, das Haus der Solidarität so lange ohne öffentliche Beiträge zu finanzieren. Darauf bin ich sehr stolz, weil ich im Gespräch mit vielen anderen immer wieder sehe, wie problematisch das ist. Wir haben unsere Unabhängigkeit damit bewahrt und die niedrigen bürokratischen Anforderungen haben uns in unserer Arbeit auch sehr flexibel gemacht. Das erlaubte es uns schnell und effizient zu reagieren. Dadurch ist es uns gelungen ein Projekt, das immer wieder für tot erklärt wurde, erfolgreich zu retten, und seit fünf Jahren eine langfristige Unterkunft zur Verfügung haben, in der wir bleiben dürfen. Ein weiterer Erfolg war es, als sich nach diversen gescheiterten Versuchen, dann ein Konzept herauskristallisiert hat, das – vor allem im Ausland – sehr wertgeschätzt wird. Das zeigt sich daran, dass wir eine große Anzahl an Praktikaanfragen aus dem Ausland bekommen und auch das Interesse großer Medien ist ein Beweis dafür. Es war beispielsweise die große deutsche Zeitung „Die Zeit“ bei uns und es gibt auch einen Kinofilm über das Haus der Solidarität.

Woran liegt es, dass – wie Sie sagen – fast noch mehr Wertschätzung aus dem Ausland kommt, als aus Südtirol selbst?

Je älter ich werde, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass an diesen alten Sprüchen wie z.B. „Der Prophet im eigenen Land gilt nicht so viel“ doch etwas dran ist. Ich glaube es hängt mit der Südtiroler Mentalität zusammen. Ich habe das Gefühl, dass wir Südtiroler im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen verschlossener und Neuem gegenüber nicht so offen sind.

Die schönen Bergen, die die Sicht blockieren?

Ja, vielleicht schränken die Berge unsere Sicht und den Blick nach außen in der Tat etwas ein. Wir gehen zu wenig raus. Ich bin überzeugt, das würde helfen einen gewissen Weitblick zu gewinnen und rate es auch Student*innen. Wir Südtiroler*innen haben einen Komplex, der sich dadurch äußert, dass wir glauben wir seien etwas Besseres. Deshalb verstehen wir manche Dinge nicht so gut, entwickeln Vorurteile und Rassismen.

 

Welche Erwartungen haben Sie an Ihre zukünftige Tätigkeit?

Ich hoffe, dass ich die Kraft habe, in diesem Bereich im Kleinen etwas zu bewegen. Deshalb im Kleinen, weil ich auch in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht habe, dass es sehr langwierig und frustrierend ist, wenn man versucht auf politischer Ebene etwas zu verändern. Was aber funktioniert, ist, wenn man es schafft auf der Basis ganz unten Projekte zu lancieren, die funktionieren und einen Vorbildcharakter entwickeln. So war es auch bei dem Haus der Solidarität. Zuerst waren wir nicht gut angesehen und mittlerweile heißt es auch von Seiten der Politik „In jedem Dorf Südtirols bräuchte es ein HdS“. Wenn ich also die Kraft habe, Projekte zu lancieren, die kleine Wellen und Kreise ziehen, bin ich zufrieden.

Stehen schon konkrete Projekte auf dem Programm?

Ja, es gibt beispielsweise den Plan eine Energiegemeinschaft zu gründen. Das gibt es bereits europaweit. In Italien fehlt es noch an den Durchführungsbestimmungen, doch verschiedene Südtiroler Gemeinden interessieren sich bereits dafür. Es geht darum alternative Energiequellen zu verbreiten, durchzusetzen und in den Vordergrund zu rücken und um kleine, lokale Kreisläufe. Und dann gibt es den Tauschhandel, den die b*coop, die Bürgerinnen-Genossenschaft vom Haus der Solidarität und die OEW (Organisation für eine solidarische Welt) geerbt hat. Dabei geht es um die Themen Recycling und Upcycling. In der Pipeline sind außerdem eine Gemeinschaftsgarten, den sich viele Bürger*innen in Brixen wünschen und eine Nachfrage nach lokalen Produkten, die während der Coronazeit verstärkt entstanden ist. Auch hier versuchen wir einen Fuß hineinzubekommen.