Economia | Brennerautobahn

Der Müllstreit

Mehrere Südtiroler Gemeinden verlieren viel Geld, weil die Brennerautobahn die Müllentsorgung rund um die Raststätten einem Privatunternehmen übergeben hat. Darf sie das?
Brennerautobahn
Foto: Suedtirolfoto.com / Othmar Seehauser
Alessandro Beati ist seit über 12 Jahren Bürgermeister von Pfatten. In dieser Zeit hat er Einiges erlebt. Diese Sache macht dem langjährigen Gemeindeverwalter aber sichtlich zu schaffen. „Es ist eine schlimme Geschichte“, sagt Beati, „die noch absurder ist, wenn eine mehrheitlich öffentliche Gesellschaft so gegen die Gemeinden vorgeht“.
In der genannten Gesellschaft selbst sieht man das naturgemäß anders. „Uns bleibt nichts anderes übrig“, meint Walter Pardatscher, Direktor und Geschäftsführer der Brennerautobahn AG, „laut unseren Rechtsämtern können wir nichts anderes tun.“
Zwischen diesen beiden Aussagen liegt eine Geschichte, die den Anschein einer Posse hat, sich aber zu einem Rechtsstreit entwickelt, der für einige der Beteiligten zu einem ernsthaften Problem werden könnte.
 
 

Goldesel & viel Müll

 
Die Brennerautobahn AG ist ein Goldesel. Das Unternehmen, das zu 85,76 Prozent öffentlichen Aktionären gehört (die Größten davon sind die Region und die beiden Länder Bozen und Trient) hat allein in den vergangenen sechs Jahren einen Nettogewinn (nach Steuern) von fast 450 Millionen Euro erwirtschaftet. Den höchsten Reingewinn schaffte man dabei im Geschäftsjahr 2011 mit 84,4 Millionen. Den niedrigsten 2013 mit 68 Millionen Euro. 2016 steht immerhin ein Nettogewinn von 71,3 Millionen Euro zu Buche.
Die Brennerautobahn hat zwischen Modena und Brenner insgesamt 23 Raststätten. Dabei haben fast alle Raststätten drei verschiedene Träger und Pächter. Die Tankstellen werden von Erdölgesellschaften betrieben, die Raststätten von den eigenen Ketten und der Parkplatz und die Zufahrten von der Autobahngesellschaft.
Die Müllentsorgung auf den Raststätten machen seit Jahrzehnten die Gemeinden auf deren Gebiet die Raststätten liegen. Alle Raststätten sind deshalb über sogenannte Dienstwege für die öffentliche Müllabfuhr erreichbar. Die Gemeinden haben teilweise auch bei der Errichtung dieser Infrastruktur mitbezahlt.
 
Zudem gibt es auf der Autobahn Hunderte von sogenannten Parkbuchten. Auch dort bleibt immer wieder Müll liegen. Dieser Müll wurde jahrelang von den Arbeitern der Autobahn eingesammelt und auf den Parkplätzen der Raststätten in den dortigen Müllcontainern entsorgt. Damit wird auch dieser Müll von der Gemeindemüllabfuhr weggebracht.
 
 

Die Einnahmen

 
Die Südtiroler Raststätten liegen in den Gemeinden Freienfeld, Vahrn, Kastelruth, Völs und Pfatten. Diese Gemeinden kassieren bei den Raststätten für die Müllabfuhr eine Fixgebühr, die auf die Fläche basiert und dazu noch einen variablen Betrag, der auf die Müllmenge oder die Entleerungen berechnet wird. Für die Anliegergemeinden der Autobahn bedeutet dieser Dienst eine wichtige Einnahmequelle.
An der Kleingemeinde Pfatten lässt sich das deutlich machen. Pfatten hat an der Laimburg gleich zwei Raststätten (einmal auf der Süd- und einmal auf der Nordspur).
Ich habe 1.000 Einwohner und die zwei Raststätten entsprechen in Sachen Müllabfuhr einem zweiten Dorf“, erklärt der Pfattner Bürgermeister Alessandro Beati. Rund 15.000 Euro fließen pro Raststätte jährlich als Müllgebühren in die Gemeindekassen.
Es ist eine seit vielen Jahren im Haushalt der Gemeinde eingeplante Fixeinnahme. Eine Einnahme, die es erlaubt die Tarife für die Bürger möglichst niedrig zu halten. So war es bis 2017. „Dann kam die Überraschung“, sagt Beati.
 

Sparmaßnahmen & Urteile

 
Denn im Jänner 2017 beschließt der Verwaltungsrat der Brennerautobahn plötzlich eine einschneidende Änderung. Ab sofort sind nicht mehr die Gemeinden für die Müllabfuhr auf der Autobahn zuständig, sondern eine Privatfirma.
Als Grund werden Sparmaßnahmen angegeben. Laut Autobahn-Direktion kostet der Dienst damit nur mehr 10 Prozent der bisherigen Kosten. „Es stimmt wir sparen so rund eine Million Euro“, bestätigt Walter Pardatscher gegenüber salto.bz.
 
Der Salurner Ingenieur und A22-Geschäftsführer dementiert aber, dass diese Sparmaßnahmen der Hauptgrund für die umstrittene Entscheidung gewesen sind. Vielmehr hätte es mehrere Urteile in Italien gegeben, die in eine klare Richtung weisen. Die Autobahn muss den Müllabfuhr-Dienst öffentlich ausschreiben. „Wir haben ein Rechtsgutachten, das zum selben Schluss kommt“, sagt Pardatscher. Deshalb machte die Autobahn eine Ausschreibung, die ein privates Entsorgungsunternehmen gewonnen hat. Die Gemeinden schauen seitdem durch die Finger.


Die Eintreibung

 
Doch zwei Gemeinden wollen sich das nicht gefallen lassen. Lavis und Pfatten. Die Trentiner Gemeinde und die Unterlandler Kleingemeinde arbeiten eng zusammen. Bei einem Treffen in Pfatten im vergangenen Sommer wird die Marschrichtung festgelegt. Eingeladen waren dabei auch die anderen betroffenen Südtiroler Gemeinden: Freienfeld, Völs, Kastelruth und Vahrn. Alessandro Beati ist sichtlich enttäuscht: „Gekommen ist niemand und bisher hat sich auch keiner von denen gemeldet.
Die Bürgermeister von Lavis und Pfatten beschließen das Verhalten der Autobahngesellschaft so nicht hinzunehmen. Beide Gemeinden schicken der A22 Zahlungsaufforderungen. Weil diese nicht bezahlt, müssen die Gemeinden jetzt Strafen ausstellen und ein Verwaltungsverfahren einleiten. Lavis hat das bereits getan. Pfatten ist dabei. „Ich muss diese Sanktionen ausstellen“, sagt Alessandro Beati, „sonst mache ich mich der Amtsunterlassung schuldig“.
 
Die beiden kämpferischen Gemeinden stützen sich vor allem auf die entsprechenden Landesgesetze. So heißt es im Südtiroler Abfallgesetz:
 
„Die Gemeinden haben die ausschließliche Zuständigkeit für die Sammlung und den Transport der Hausabfälle, die der Wiederverwertung und der Beseitigung zugeführt werden; sie üben diese Zuständigkeit in den Formen laut Einheitstext der Regionalgesetze über die Gemeindeordnung aus.“
 
Für die zuständigen Beamten steht außer Zweifel, dass es sich bei den Abfällen auf den Autobahnparkplätzen und Raststätten um Hausmüll handelt. So antwortet der zuständige Direktor des Amtes für Abfallwirtschaft, Giulio Angelucci, am 24. Oktober 2017 auf eine entsprechende Anfrage des Pfattner Bürgermeisters:
 
„Previo il rispetto della assimilazione dei rifiuti da parte del comune per lo scrivente non vi sono dubbi che i rifiuti prodotti dalle stazioni di sosta e rifornimento ricadano all’interno della privativa del comune.“
 
Nach dieser Auslegung darf eine Privatfirma diese Abfälle in Südtirol gar nicht einsammeln und entsorgen. Denn die Autobahnraststätten gehören zum Gemeindegebiet.
 

Der Gerichtsstreit

 
Weil die Autobahngesellschaft aber auf keinem Fall zahlen will, kommt es jetzt zu einem Gerichtsverfahren. „Das Ganze ist eine sehr verzwickte Situation“, sagt Walter Pardatscher, „wir sehen das aber sehr gelassen“.
Nach dem Direktor der Brennerautobahn gebe es verschiedene gesetzliche Vorgaben und Interpretationen, die sich widersprechen. Pardatscher: „Jetzt wird eine Richter entscheiden, was zu tun ist“. Seine Gesellschaft habe keine Präferenzen und man wird sich dem Urteil, das Klarheit schaffen wird, auf jedem Fall fügen.
Auf die Gemeinden kommen damit nicht nur Einnahmeausfälle, sondern auch noch Gerichtskosten zu. Wobei der anstehende Prozess eine ganz besondere Note bekommt. Denn die Brennerautobahn AG hat für den Rechtsstreit mit der Gemeinde Lavis einen besonders prominenten Anwalt berufen: Karl Zeller, SVP-Senator und Vizeobmann der Südtiroler Volkspartei. Zeller wird nicht nur den Streit mit der Gemeinde Lavis betreuen, sondern auch alle anderen Verfahren.

 
Es ist eine klare politische Ansage. Spätestens nach dieser Anwaltswahl wird sich kein Südtiroler Bürgermeister mehr in diesen Prozess einlassen. Dann müsste der SVP-Bürgermeister etwa von Völs oder Freienfeld gegen seinen eigenen Partei-Vize-Chef vor Gericht ziehen. Das tut sich in Südtirol keiner an.
Dass der Streit außerhalb des Gerichtssaales dennoch zu einem Politikum wird, dafür sorgen die 5-Sterne-Abgeordneten Paul Köllensperger, Filippo Degasperi und Rodolfo Borga. Sie haben im Regionalrat eine detaillierte Anfrage zu den Vorgängen im Regionalrat gestellt und jetzt auch einen Beschlussantrag eingebracht. Darin fordern die Abgeordneten, dass die Regionalregierung (die Region hält als größter Aktionär 32,28 Prozent an der A22) die Führung der Brennerautobahn zurückpfeift.