Politica | Koalitionsbildung

Auftakt zur SVP-Brautschau

Vier Stunden, acht Delegationen, keine Entscheidung und eine SVP, die sich für die Koalitionsbildung viel Zeit nehmen will. Die Chronik der ersten Sondierungsrunde.
Philipp Achammer, Arno Kompatscher
Foto: Salto.bz

Pünktlich und wie angekündigt um 18.15 Uhr treten Arno Kompatscher und Philipp Achammer am Samstag vor die Medienvertreter. In den vergangenen vier Stunden haben der SVP-Spitzenkandidat und sein Parteiobmann acht Delegationen der im neuen Landtag vertretenen Parteien und Gruppierungen empfangen: 22 Entsandte, darunter 13 Landtagsabgeordnete, von denen 7 erstmals im Landtag sitzen, haben sich im Halbstundentakt in der Parteizentrale der SVP in der Brennerstraße die Klinke in die Hand gegeben.
Eine erste Kennenlernrunde, um zu verstehen, welche die wichtigsten Zielsetzungen der Parteien für die kommenden fünf Jahre sind und wie sie sich ihre Rolle vorstellen: In der Opposition? In der Regierung? Als Unterstützer von außen?

Die Regierungsbildung nach den Landtagswahlen 2018 wird keine leichte Aufgabe für die SVP. Das wissen Kompatscher und Achammer. “Die bisherige Mehrheit hat keine Mehrheit mehr und anders als Zurufe von außen und innen vermuten lassen, ist gar nichts schon vereinbart”, stellt der Parteiobmann klar. “Fakt ist, dass es mehrere Koalitionsmöglichkeiten gibt und wir uns entsprechend Zeit geben.”
“Geschwindigkeit ist kein Qualitätskriterium bei der Regierungsbildung”, betont auch Kompatscher. Laut Autonomiestatut muss innerhalb 90 Tage ab der ersten Einberufung des neuen Landtages diesem eine Landesregierung präsentiert werden. Am 14. November findet die konstituierende Sitzung des Landtages statt. Sprich, bis Mitte März ist Zeit für die Koalitionsbildung. “Diese Frist ist mit Sicherheit ausreichend”, sagt Kompatscher.

 

In welche Richtung er und Achammer nach der ersten Sondierungsrunde am Samstag tendieren – ob nach rechts zur Lega oder doch nach links zu PD und Grüne, oder eine ganz andere Variante –, darüber wollen die beiden nichts sagen. “Diese Entscheidung ist noch nicht getroffen”, betont Achammer. Auch über den Inhalt der Gespräche wird nichts verraten, “das überlassen wir den Delegationen”, erklärt Kompatscher. “Wir haben allen dieselben Fragen gestellt und umfassende Antworten erhalten.”

Den Fahrplan der SVP für die kommenden Wochen erklärt Achammer am Ende (s. Infobox am Ende des Artikels), bevor Kompatscher den Abend mit den Worten beendet: “Was wir brauchen ist eine stabile Regierung mit einer tragfähigen Mehrheit und inhaltlichen Übereinstimmungen.”

 

Die Chronik des Sondierungsnachmittages

 

13.58 - 14.31 L’Alto Adige nel Cuore – Fratelli d’Italia Uniti (Alessandro Urzì)

Alessandro Urzì eröffnet den Reigen. Mitgebracht hat er die beiden Bozner Gemeinderäte von “Il Centrodestra” – ein Ableger von Fratelli d’Italia – Marco Galateo und Alessandro Forest. Wie ist das Gespräch verlaufen, wird Urzì gefragt. “Molto bene direi”, lächelt er. Er stehe für eine Regierungsbeteiligung zur Verfügung, das habe er auch unter vier Augen betont. Der SVP habe er sein Modell “für ein Südtirol der Zukunft” präsentiert: Weniger ethnische Themen, sondern die Sanität, Mobilität, die Rolle Bozens als Landeshauptstadt brennen Urzì unter den Nägeln.

 

“Falls uns die Möglichkeit gegeben wird” – er spricht für seine Bewegung Alto Adige nel Cuore und Fratelli d’Italia, die mit einer gemeinsamen Liste bei den Wahlen angetreten sind –, “werden wir die Rolle in der Regierung verantwortungsbewusst wahrnehmen”. Und falls er wieder dort landet – was so gut wie fix ist –, wo er schon die letzten 20 Jahre verbracht hat, nämlich auf der Oppositionsbank? “Dann werden wir eine ebenso verantwortungsbewusste Opposition machen”, meint Urzì. Und lächelt. Grund dazu hat er: Der wortgewaltige und langatmige Dauer-Oppositionelle hat den Wiedereinzug in den Landtag nur knapp geschafft. Und kaum wird sein Mikrofon an sein, wird er wieder für die eine oder andere Polemik sorgen. Lächeln hin oder her.

 

14.31 - 15.00 5 Sterne Bewegung (Diego Nicolini)

Sich selbst sieht man als “erste postideologische politische Kraft des Landes” – und als solche katapultieren sich die 5 Sterne gleich selbst ins Aus.
“Wir sind für die Opposition bestimmt und haben nichts zu verlieren”, sagt Diego Nicolini als er die SVP-Räumlichkeiten betritt. Gekommen ist er mit dem ersten Nichtgewählten der 5 Sterne Josef Pedevilla und dem Sprecher der schrumpfenden 5-Sterne-Fraktion im Bozner Gemeinderat Paolo Giacomoni. “Wir sind nicht bereit, ein Regierungsabkommen zu unterzeichnen – das haben wir auch in Rom nicht”, bekräftigt Nicolini nach dem Gespräch. “A noi non interessano le poltrone, ma le soluzioni per i cittadini.”

 

Themenbezogen sei er bereit, die Mehrheit zu unterstützen, ansonsten verspricht er eine “buona e forte opposizione”. Seinen Kampfeswillen hat Nicolini gleich beim ersten Aufeinandertreffen mit der alten und neuen Regierungspartei unter Beweis gestellt. Als “Bollwerk der ethnischen Trennung” (“baluardo della divisione etnica”) bezeichnet Nicoloni die SVP – und diese Trennung gelte es zu überwinden. Das habe Kompatscher “nervös gemacht”, berichtet Nicolini den Journalisten, “vielleicht weil er sich mit schuldig fühlt”.
Erst später erfahren die Journalisten, dass es hinter geschlossenen Türen beinahe zum Eklat gekommen ist weil Nicolini mit lautstarken Attacken einen Streit vom Zaun gebrochen hat. Ein eleganter Einstieg in den Landtag sieht anders aus.

 

15.00 - 15.32 PD (Sandro Repetto)

Als “Alternative zur Lega”, entsprechend “nicht bereit, uns mit der Lega an einen Tisch zu setzen” und “ohne Angst in die Opposition zu gehen”, gehen PD-Parteisekretär und der neue Landtagsabgeordnete Sandro Repetto das Gespräch an. “Wir haben erneut bekräftigt, dass wir bereit sind zu regieren – in einer Koalition mit proeuropäischer und autonomistischer Ausrichtung”, erklärt Huber danach. “Lega und 5 Stelle sono antitetici a noi e non ci sarà nessun tipo di rapporto con la Lega di Salvini, un partito sovranista in Europa e nazionalista in Italia”, unterstreicht Repetto.

 

Als idealen Partner in einem Dreierbündnis mit SVP und PD sieht er die Grünen – und zeigt auf seine grüne Hose, für die er sich entschieden hat: “Mir wurde scherzhaft unterstellt, schon ein grünes Element in die Sondierungsgespräche zu bringen”, lacht Huber. “Io ci provo.”
Auch mit dem Team Köllensperger wäre man bereit, zu verhandeln. “Aber im Moment sieht es nicht so aus als ob es dazu kommen wird – ihnen fehlt ein italienischer Abgeordneter. Aber falls sich das ändert…” Huber spricht eine Frage an, die bis zum Schluss im Raum steht: Wird es im Team Köllensperger einen Rücktritt aus dem Landtag geben, wird jemand auf sein Mandat verzichten und damit Platz für Francesca Schir – die erste nicht Gewählte – machen?

 

15.32 - 16.04 Süd-Tiroler Freiheit (Sven Knoll, Myriam Atz Tammerle)

Routiniert geht Sven Knoll das Gespräch an. “Wir waren immer in der Opposition und fahren weiter wie bisher”, kündigt das Duo der Süd-Tiroler Freiheit an. Keine Nein-Sager à priori, “keine Fundamental-Opposition”, sondern je nach Thema mit der Mehrheit stimmen. Oder eben nicht: Das ist das bewährte Rezept für die kommenden fünf Jahre.

 

“Jetzt schauen wir, wen die SVP in die Regierung holt, welche Vertreter und Themen – wir haben unsere, die uns in dieser Legislaturperiode wichtig sind, auf den Tisch gelegt”, berichtet Knoll. Welche? “Die klassischen.” Eine berechenbare Opposition also.

 

16.04 - 16.30 Die Freiheitlichen (Ulli Mair, Andreas Leiter Reber)

“Ein sehr gutes Treffen. Ein ruhiges und gelassenes Klima. Wir haben offen gesprochen.” Wohl auch, weil schon vorher feststand, dass die Freiheitlichen weitere fünf Jahre in der Opposition verbringen werden. “Wir werden unsere Rolle sehr ernst nehmen, auch wenn wir gedrittelt wurden”, verspricht Ulli Mair – und erinnert daran, dass sie von 2003 bis 2008 mit Pius Leitner auch zu zweit Opposition gemacht hat. Heute komplettiert Andreas Leiter Reber das Blaue Duo. “Es wird auch mit ihm sehr gut funktionieren”, ist sich Mair sicher. “Zwischen uns herrscht ein gutes Arbeitsklima.” Ihr Parteiobmann und neuer Landtagskollege steht neben ihr, während der Generalsekretär Florian von Ach den Medienrummel nach dem Gespräch mit einigem Abstand beobachtet.

 

Der krachende Absturz der Freiheitlichen bei den Wahlen ist auch den parteiinternen Querelen geschuldet, die s zuletzt immer öfter bis in den Landtag geschafft haben. Dass es statt sechs nur mehr zwei Mandatare sind, darüber wirkt Mair beinahe erleichtert: “Wir haben Ruhe.” Aber sie weiß auch: “Es wird einen Zacken härter und einen Zacken schärfer. Wir sind jedoch zuversichtlich dass es uns gelingen wird, nicht nur von uns reden zu machen, sondern auch eine gute Sachpolitik in der Opposition für Südtirol zu betreiben.” Eine scharfe und fokussierte Opposition kündigt sich an – mit dem Versprechen, “dass wir bei Themen der Autonomie immer Partner der SVP sein werden”.

 

16.30 - 17.04 Grüne-Verdi-Verc (Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba, Hanspeter Staffler)

Weil ihre Landtagskollegen Riccardo Dello Sbarba und Hanspeter Staffler beide im Urlaub sind, begleitet ihr Co-Sprecher Tobe Planer Brigitte Foppa. “Wenn Europa, Autonomie und Zusammenleben die Grundprinzipien für die Koalition sind, sind wir diejenigen, die diesen Werten am nächsten sind”, geht Foppa in die Offensive. Sie habe Kompatscher und Achammer “daran erinnert, wie oft wir in den vergangenen fünf Jahren mit der SVP eine gemeinsame Front für Humanität und Autonomie im Landtag gebildet haben – das könnte eine Basis für eine Zusammenarbeit sein”.

 

“Sehr angenehm” sei das Treffen verlaufen. Foppa ist sich bewusst, dass die Grünen für viele in der SVP ein rotes Tuch sind. “Raumordnung und Schule sind zwei Themen, wo es Knoten zu lösen gäbe”, aber man habe der SVP “Entgegenkommen signalisiert”, so Foppa. “Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, unsere Wählerschaft, aber auch viele Bürgerinnen und Bürger erwarten sich das von uns.” Der Ball liege nun bei der SVP, für die, so Foppa “eine Richtungsentscheidung” bevorstehe. “Es ist eine völlig neue Situation für die Volkspartei.” Ob sie nicht den Eindruck hat, dass die Vorentscheidung schon gefallen sei? “Heute ist uns gesagt worden Nein. Die Hypothese Lega besteht nach wie vor, nach der Evaluierung durch die Parteileitung werden wir sehen, ob die Würfel schon gefallen sind. Ich glaube noch nicht.” Grün ist bekanntlich die Farbe der Hoffnung.

 

17.04 - 17.33 (Massimo Bessone, Carlo Vettori, Giuliano Vettorato, Rita Mattei)

“Tutto bene, Rita?” Massimo Bessone beugt sich zu seiner Parteifreundin. Rita Mattei nickt. Die vier Lega-Abgeordneten sind eine Viertel Stunde zu früh eingetroffen und werden von den Journalisten in Beschlag genommen. “Sembra quasi di essere importanti”, versucht Bessone einen Scherz. Gelassen und mit “tanta voglia di fare” gehe man in das Gespräch. “Faremo il bene del nostro Heimat.” Als die vier um einen O-Ton auf deutsch für die Fernsehkameras gebeten werden, verziehen sich die anderen drei und lassen Bessone allein zurück. “Wir sprechen alleine, ohne Salvini”, auch wenn er seinem Parteichef gesagt habe, “Matteo, du bist immer willkommen”. Auch Roberto Calderoli werde nicht nach Bozen kommen, um weitere Verhandlungen zu führen, schätzt Bessone, “aber ich werde ihn anrufen und informieren – wenn wir einen Rat brauchen, ist er da”.

 

Die Miene der vier ist nach dem Treffen nur schwer zu entschlüsseln. Sind sie enttäuscht, weil sich die SVP Zeit nehmen will und die stärkste italienische Partei nicht ohne Wenn und Aber ins Boot holen will? “È stata una chiacchierata piacevole, informale e coridale con due belle persone”, lächelt Bessone in seiner gewohnt betont freundlichen Art. Er berichtet: Man habe über Grundsätzliches gesprochen, sei nach der Vorstellung von Europa und Autonomie gefragt worden. “Europa muss reformiert werden, wegrücken von den Banken und näher zu den Bürgern hin. Und Europa muss sich für Italien interessieren.”
“Sicuramente siamo tra i papabili.” Aber an die Regierung will man doch nicht um jeden Preis. “Wir sind nicht für alles zu haben”, betont Bessone. Einen dritten Koalitionspartner werde man zum Beispiel nicht akzeptieren. “Non dobbiamo per forza andare a governare, se no faremo un’ottima opposizione.”

 

17.33 - 18.07 Team Köllensperger (Paul Köllensperger, Alex Ploner, Franz Ploner, Peter Faistnauer, Josef Unterholzner, Maria Elisabeth Rieder)

“Uns interessiert, wofür wir regieren, nicht mit wem.” Aber sein Pragmatismus wird Paul Köllensperger nicht weiterhelfen. Das “Mitregieren” aus dem Wahlkampf hat er im Gespräch mit Kompatscher und Achammer wiederholt: “Wir sind weiterhin bereit, Verantwortung zu übernehmen – falls wir bei Inhalten und Themen zusammenfinden. Über den Rest reden wir danach.” “Der Rest” ist keine Kleinigkeit. Eine reelle Chance zum “Mitregieren” hat das Team Köllensperger nämlich nur, wenn es einen Italiener in die Landesregierung entsenden könnte – denn es ist denkbar unwahrscheinlich, dass sich die SVP die beiden italienischen Landesräte woanders sucht, die Koalition auf das Team Köllensperger ausdehnt und dadurch mitunter mit drei Partnern regieren wird.

 

Ein Italiener aber fehlt dem großen Wahlsieger vom 21. Oktober. Noch. Wird einer der sechs deutschsprachigen Köllensperger-Abgeordneten für Francesca Schir im Landtag Platz machen? “Ein Schritt nach dem anderen”, wimmelt Köllensperger die hartnäckigen Nachfragen der Journalisten ab. “Zuerst wollen wir über Inhalte und Programme reden”, wiederholt er gebetsmühlenartig. “Wir wollen das Land in eine moderne Zukunft führen.” Doch Köllensperger hat ein Zeichen gesetzt: Er hat Francesca Schir zu den Gesprächen mitgenommen. “Wir vertreten die gesamte Gesellschaft und alle Sprachgruppen – das war schon immer so, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen”, sagt Köllensperger. Dennoch: Wahrgenommen wurde seine Liste vielmehr als deutsch denn interethnisch – auch von den Wählern.
Die Aussicht, fünf weitere Jahre in der Opposition verbringen zu müssen, nagt an Paul Köllensperger. Er will: Mitregieren. “Aber wenn es dieses Mal nicht klappt, dann eben nächstes Mal.”

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Brigitte Foppa Dom, 11/04/2018 - 11:58

In risposta a di Maximi Richard

Im Landtag wird nach Geschäftsordnung vorgegangen, also wird ein ganz normales Präsidium gewählt werden müssen. Es ist dann ein politisches Abkommen, dass nach der Regierungsbildung die "provisorisch" gewählten Präsidiumsmitglieder zurücktreten (rein formal muss nur garantiert sein, dass 1 Mitglied der Opposition angehört) und neu gwählt wird. Ich habe deshalb vorgeschlagen, dass das provisorische Präsidium nicht wie üblich zusammengesetzt wird, sondern aus allen Fraktionen, bzw., da nur 5 Mitglieder sind, aus Mitgliedern von 5 Fraktionen. Es ist ein kleines Beispiel dafür, dass nun wirklich andere Verhältnisse herrschen.

Dom, 11/04/2018 - 11:58 Collegamento permanente