Società | Migrations-Tagung

Sensation vor Alltagsdarstellung

Zwischen Nutzen und Bedrohung: 25 Jahre Migrationsdiskurs in den Tageszeitungen Dolomiten und Alto Adige.
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Foto: upi
 
Unser Wissen über die Fremden in Südtirol beziehen wir zu einem großen Teil aus Medien, Migrantinnen und Migranten selbst hingegen kommen in den Südtiroler Tageszeitungen kaum selbst zu Wort. Es ist folglich alles andere als unwichtig, wie und was über unsere neuen Mitbürger berichtet wird. Denn eines muss ganz klar festgehalten werden: Medien bilden unsere Meinung und beeinflussen die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen und darüber sprechen. Und obwohl die beiden Südtiroler Tageszeitungen „Dolomiten“ und „Alto Adige“ durchaus um eine differenzierte Berichterstattung über Migrantinnen und Migranten in Südtirol bemüht waren und sind, wie die Auswertung von knapp 20.000 Zeitungsartikeln von 1990 bis 2015 ergeben hat, gilt auch dort stets der Grundsatz: Sensation vor Alltagsdarstellung. Nachrichten, in denen Eingewanderte die Rolle normaler Bürgerinnen und Bürger einnehmen, gibt es so gut wie keine.
 

Fragmentierte Wirklichkeit

 

In einer fragmentierten Gesellschaft mit getrenntem Mediensystem, wie es in Südtirol der Fall ist, läuft auch die Migrationsberichterstattung getrennt ab. Mit Hilfe der zwei verschiedensprachigen Tageszeitungen werden deshalb unterschiedliche Realitäten vermittelt. Diese Realitäten sind keineswegs ein Abbild einer beobachterunabhängigen Wirklichkeit, sondern es werden ganz gezielt (politische) Botschaften verbreitet, die die Meinung der Bevölkerung lenken.
„In einer fragmentierten Gesellschaft mit getrenntem Mediensystem, wie es in Südtirol der Fall ist, läuft auch die Migrationsberichterstattung getrennt ab.“
Wie in den beiden Tageszeitungen verschiedene Realitäten vermittelt wurden, lässt sich am besten an einem konkreten Beispiel verdeutlichen, und zwar am Beispiel des Integrationsdiskurses. Denn kaum bei einem anderen Thema gingen die Inhalte beider Tageszeitungen derart weit auseinander.
So wurde zum Beispiel in der „Alto Adige“ mehrheitlich der integrative Charakter von Schulen hervorgehoben, wenn es um die Integration von Kindern mit Migrationserfahrung ging. Das heißt, das gemeinsame Lernen und das gegenseitige Kennenlernen und dadurch die Eingliederung in eine Gemeinschaft wurden betont, wohingegen die deutschsprachige „Dolomiten“ die Aufgabe der Schule häufig auf die Vermittlung der Landessprache reduzierte. Immer wieder, aber besonders ab 2007, konnten in der „Dolomiten“ also Beiträge gelesen werden, in denen die Errichtung separater Schulen (nach dem ladinischen Modell) für Migrantinnen und Migranten propagiert wurde.
 

Stärkung der eigenen Sprachgruppe

 
Gleichzeitig wuchs seit den 2000er-Jahre innerhalb der deutschsprachigen Gruppe aber auch das Bewusstsein, dass die Integration von Migrantinnen und Migranten zur Stärkung der eigenen Sprachgruppe beitragen kann, eine Tatsache, der sich die italienische Sprachgruppe bereits seit den 1990er-Jahren in Anbetracht ihrer stetig schrumpfenden Anzahl bewusst war.
Zu den separierenden Gedanken gesellten sich innerhalb der deutschsprachigen Gruppe deshalb auch Überlegungen, die Schule zu einem Instrument der Schaffung deutschaffiner Zuwanderungskinder zu machen, die sich anschließend mit höherer Wahrscheinlichkeit der deutschen Sprachgruppe anschließen würden.
So wurde zum Beispiel in der „Dolomiten“ berichtet: „Die Gesellschaft für bedrohte Völker Südtirol (GfbV) appelliert in einem offenen Brief an Schullandesrätin Sabina Kasslatter-Mur, die deutsche Schule auch für Kinder der sogenannten Nicht-EU-Bürger zu öffnen. Nur über die deutsche Schule sei es laut Aussendung möglich, die Kinder der eingewanderten Menschen in die ‚deutsche Mehrheitsgesellschaft Südtirols‘ zu integrieren.“
 
Somit kann die deutschsprachigen Integrationsdebatte als janusköpfig bezeichnet werden, womit separierende, defensive und selektive Gedanken genauso legitimiert wurden (und werden) wie die Beschränkung auf die Nützlichkeit der Migrantinnen und Migranten für die eigene Ethnie.
In der „Alto Adige“ wiederum wurde diese zwiespältige Integrationspolitik scharf kritisiert, nicht ohne auf die Gefahren einer solchen Politik hinzuweisen, schließlich musste auch die vehemente Ablehnung der deutschen Integrationspolitik legitimiert werden. In einem Leserbrief aus dem Jahr 2007 konnte zum Beispiel gelesen werden: „Es scheint, dass die Absicht besteht, eine ‚separierende Integration‘ zu realisieren: Gut bekannt vor einigen Jahren unter dem Namen Apartheid. […] Müssen wir jetzt nur noch darauf warten, bis zwei separate Eingänge für Nicht-EU-Bürger in Bussen, Zügen und öffentlichen Einrichtungen vorgesehen werden?“
 

Historische Kontinuität

 
Sowohl die „Alto Adige“ als auch die „Dolomiten“ berichten nun seit mehr als 25 Jahren über Menschen, die den langen Weg nach Südtirol auf sich genommen haben, um dort ein neues Zuhause zu finden. In diesen 25 Jahren ist viel geschehen, doch im Sprechen bzw. Argumentieren über Migration gibt es erstaunlicherweise seit 1990 keine wesentlichen Veränderungen. Natürlich haben sich sprachliche Ausdrücke und Benennungen gewandelt, auch die Herkunft der Zugewanderten. Klischees und Vorurteile sind jedoch in ihren Grundzügen gleich geblieben.
Der Grund für die sich stets wiederholenden Muster ist dabei nicht zuletzt in der Angst vor (den/dem) Fremden zu suchen, mit der alle Generationen immer wieder aufs Neue konfrontiert werden.
„Klischees und Vorurteile sind in den vergangenen 25 Jahren in ihren Grundzügen gleich geblieben.“
Bereits 1990, als sich eingewanderte Personen aufgrund der extremen Wohnungsnot in Bozen in illegalen Siedlungen niederlassen mussten, wurden mit Hilfe des Arguments der Überbelastung, sprich Südtirol (Bozen) hätte seine Grenze des Entgegenkommens bereits erreicht, weitere Hilfeleistungen untersagt:
In der „Dolomiten“ stand 1990 zum Beispiel geschrieben: „Die Gemeinde hätte, so der Bürgermeister, die möglichen Kapazitäten ausgeschöpft, die Grenze des Entgegenkommens sei erreicht.“
 
Dabei ging es lediglich um die Unterbringung von etwas mehr als einhundert Personen. Fünf Jahre später, sprich 1995, als die Umsiedlung und humanere Unterbringung von Roma und Sinti angegangen werden sollten, war die Überbelastung wiederum ein beliebtes Argument, um weitere Hilfe zu verweigern: Die „Dolomiten“ berichtete: „Wie es in einer Aussendung der SVP Fraktion heißt, habe sich die Gemeinde bereit erklärt, 700 Zigeunern eine menschenwürdige Unterkunft zu bieten. Damit sei nun aber ‚die Grenze der Belastbarkeit‘ erreicht“.
Und als Südtirol schließlich auch im Jahr 2011 erneut Plätze für Flüchtlinge aus Nordafrika bereitstellen sollte, hieß es wieder: „Südtirol verfügt über wenige geeignete Strukturen […]. Das Land könne höchstens 50 Personen […] unterbringen.“
Diese Kontinuität lässt sich an allen häufig vorkommenden Argumentationsmustern
aufzeigen, mit deren Verwendung immer und immer wieder dieselben Ziele verfolgt wurden und werden: Keine Verantwortung übernehmen, Hilfe verweigern und dadurch nicht noch mehr Menschen anziehen. Der Grund für die sich stets wiederholenden Muster ist dabei nicht zuletzt in der Angst vor (den/dem) Fremden zu suchen, mit der alle Generationen immer wieder aufs Neue konfrontiert werden. Ängste rufen Generation über Generation ähnliche Reaktionen hervor und das wird sich wohl auch in Zukunft nicht ändern.
Die Ursachen dieser Ängste können dabei unterschiedlicher Natur sein, der Verlust des Status quo spielt jedoch stets eine wesentliche Rolle.
 

Lesen Sie morgen: Modellorte der Migrationsgesellschaft – Hans Karl Peterlini über Brenner und Franzensfeste.

 
Sarah Oberbichler, geboren 1987 in Bruneck hat an der Universität Innsbruck Geschichte und Germanistik studiert. Seit 2014 ist wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck im Rahmen des Projektes „Arbeitsmigration in Südtirol seit dem zweiten Autonomiestatut“.