Politica | 5-Sterne-Bewegung

Mann ohne Eigenschaften

Nach einer konkurrenzlosen Wahl ist Di Maio nun Spitzenkandidat. Er ist linientreu und hat kaum eigene Überzeugungen. Was seine Schutzpatrone besonders schätzen.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

And the winner is …Luigi Di Maio!! Was für eine Überraschung! Nach einem so spannenden Wettbewerb zwischen hochkarätigen Aspiranten für das Amt des Spitzenkandidaten der 5-Sterne-Bewegung (wie immer online abgestimmt von den dazu „berechtigten“ Anhängern).

Neben dem von Grillo und Casaleggio gesetzten Di Maio gab es sieben weitere Mitbewerber. Sie taten es buchstäblich in letzter Minute, nachdem klar geworden war, dass keine ernstzunehmenden Konkurrenten bereit waren, sich als Komparsen an dem Inthronisationspektakel für Di Maio zu beteiligen. Weder der Anführer des „orthodoxen Flügels“, Roberto Fico, noch der an der Basis beliebte Di Battista. Um der Vorwahl den Anstrich einer realen Entscheidung zu geben, wurden ein paar unbekannte Grillini ausfindig gemacht, die sich für diese Rolle nicht zu schade waren.

Giggino und die sieben Zwerge

Am 21. September standen also „Giggino (Kosename für Luigi) und die sieben Zwerge“ - so der Spott in den Medien und im Netz - zur Wahl. Wie in der 5SB üblich, hatte es vorher weder eine Vorstellung der Kandidaten noch eine Debatte über politische Positionen gegeben. Nur acht Namen, davon sieben, von denen man vorher nie etwas gehört hatte.

Die Beteiligung war enttäuschend: Von 140.000 „Berechtigten“ nahmen nur 37.400 an der Abstimmung teil. Trotz verlängerter Fristen, da es technische Pannen gab. 30.936 stimmten für Schneewittchen, der Rest verteilte sich auf die sieben Zwerge.

Das Ergebnis behielt die Führung der 5SB zunächst für sich. Denn die Krönung sollte erst am 23. September in Rimini, auf der nationalen Zusammenkunft der „Italia a 5 Stelle“, feierlich verkündet werden. Alles lief nach Drehbuch. Beppe und Giggino lagen sich in den Armen, das Fußvolk jubelte. Fico fehlte auf der Promi-Bühne. Er stand unten, schweigend und ohne zu applaudieren.

Spitzenkandidat und „politischer Führer“

Alles nur schrullige italienische Folklore? Schon bei Berlusconi, der zwanzig Jahre lang Italien „ad personam“ regierte, erwies sich diese Etikettierung als Fehler. Denn die 5SB ist laut Umfragen derzeit die stärkste politische Kraft Italiens und Di Maio will Regierungschef werden. Und nicht nur das: Laut Grillo soll er auch die politische Führung der Bewegung übernehmen. Er selbst sei alt und müde und wolle den Stab abgeben („aber ich werde immer bei euch bleiben, wie ein Vater“).

Wieder eine Entscheidung von oben, die an der Basis für Unmut sorgte: Die Ämterkopplung sei weder besprochen noch beschlossen worden. Fico stellte die Entscheidung offen in Frage: Die Wahl habe sich auf die Spitzenkandidatur bezogen, die politische Führung der Bewegung sei damit nicht automatisch verbunden. Ob Fico dabei bleibt oder am Ende – um nicht wie viele andere vor ihm seinen Rausschmiss zu riskieren – einknickt, wird man sehen.

Nun ist also Di Maio gewählt. Zentrale Frage: Für was (und auch für wen) steht er? Stets adrett gekleidet und meist mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen, wirkt der junge Vizepräsident der Abgeordnetenkammer verbindlich und brav. Ein idealer Schwiegersohn, ein Tick zu glatt. Das Gegenteil vom ewig polternden Grillo und anders auch als die meisten „Promis“ der 5SB, wie z. B. Di Battista oder Paola Taverna, die gerne aufbrausend und provozierend auftreten.

Die Kraft fehlender Überzeugungen

Fragt man nach politischen Positionen hinter dem öffentlichen Erscheinungsbild, wird die Sache schwierig. Denn er wechselt sie häufig. Mal sagt er, man müsse über den Verbleib in der Eurozone unbedingt ein Referendum durchführen, wobei er selbst für den Austritt sei (Januar 2017). Dann erklärt er (im September) vor Unternehmern, ein solches Referendum sei nur die „ultima ratio“, vielmehr gehe es darum, in der EU „ein paar Regeln zu ändern“. Womit er sogar mit Gentiloni und Renzi einer Meinung wäre. Befürwortete er 2013 das Jus soli-Gesetz, lehnt er es jetzt vehement ab („reines Propagandamanöver“).

"Di Maio ist perfekt, weil er den Durchschnittsmann ideal verkörpert. Jemand, mit dem sich jeder identifizieren kann. Ich würde ihn als eine austauschbare Software definieren. Seine Kraft liegt darin, dass er keine Überzeugungen hat. Deswegen ist er für die transversale Haltung der 5SB der perfekte Vertreter, genauso so wie ihn Grillo und Casaleggio brauchen“. So beschreibt der Journalist Carlo Freccero, der (übrigens auf Vorschlag des 5SB) dem Aufsichtsrat des italienischen Staatsfernsehens angehört, den frischgebackenen Spitzenkandidaten.

Politik durch Trendforschung

Das ist wohl auch der Grund, warum Di Maio – und nicht z. B. der charismatischere Di Battista - von Grillo und Casaleggio auserkoren wurde. Er ist zwar kein brillanter politischer Kopf, aber ehrgeizig und anpassungsfähig. Und hält sich an den Kurs, den vor allem Casaleggio vorgibt (Grillo ist eher für die Show zuständig).

Dass Casaleggio und seinem Unternehmen bei der Bestimmung von Strategie und politischer Linie der 5SB eine Schlüsselrolle zukommt, ist evident. Es gibt Vertreter der 5SB, die dies lange Zeit zu bestreiten suchten: Casaleggio sei „ein Techniker“, der sich mit Abgeordneten, Senatoren und Bürgermeistern der 5SB nur deshalb treffe, um eben technische Fragen der Online-Kommunikation zu besprechen; Grillo habe er zu politischen Verhandlungen mit Vertretern des EU-Parlaments begleitet, weil „ein Dolmetscher“ gebraucht wurde usw. Inzwischen hält sich kaum noch jemand an solchen hilflosen „Argumenten“ fest. Casaleggios Führungsrolle wird nicht mehr geleugnet. Nur auf die Frage, was ihn denn zu dieser Rolle legitimiere, reagieren die Grillini weiterhin allergisch.

Die Casaleggio Associati und die von ihr ins Leben gerufene Online-Plattform „Rousseau“ erfüllen erstens eine Kontrollfunktion, indem sie diejenigen zertifizieren, die zur Teilnahme an Online-Abstimmungen oder Umfragen „berechtigt“ sind. Zweitens nehmen sie entscheidenden Einfluss auf die Aufstellung von Kandidaten oder den Ausschluss von Abtrünnigen. Drittens sind sie die Empfänger von Spenden und Erträgen aus den Werbeeinnahmen der von der 5SB betriebenen Blogs. Und viertens haben sie die Aufgabe, die Entwicklung von „Trends“ in der öffentlichen Meinung zu analysieren und daraus Schlussfolgerungen für die Kommunikationsstrategien und den politischen Kurs der 5-Sterne-Bewegung zu ziehen.

Besonders deutlich wird das beim brisantem Thema Zuwanderung und Flüchtlinge, wo der öffentliche Trend eindeutig nach rechts geht, Richtung Abschottung und Fremdenfeindlichkeit. Die 5SB passt sich dem einerseits an und trägt andererseits dazu bei, den Trend zu verstärken, um die eigenen Zustimmungswerte zu erhöhen. Di Maio ist mit Grillo derjenige, der dies am deutlichsten verkörpert. Er diffamiert die Seenotrettung durch die NGO's als „Mittelmeertaxis“, vergleicht Italien mit einem „Drucktopf“ kurz vor dem Explodieren, fordert die Schließung der Häfen und der Grenzen. Er sagt (inzwischen) nein zum Jus soli und fordert „Schluss mit dem buonismo“.

Immerhin ist der aus Kampanien stammende Giggino ein guter Katholik. Er weiß, dass in Italien ohne katholische Kirche kaum was geht. Und küsst daher medienwirksam - wie viele Politiker vor ihm - die Ampulle mit dem Blut des Heiligen Gennaro, des Patrons von Neapel, das sich in jedem Jahr dreimal wundersam verflüssigt.