Società | Körperschmuck

„Eines Tages will ich voll sein“

Ein Abend im Meraner Frauenmuseum mit der Tätowiererin Sarah Bertagnolli über die Zeichungen auf der Haut, die Schönheit, mögliche Problem und schlechte Gewohnheiten.
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Foto: Paola Marcello
Dass Tattoos eine uralte Tradition haben und keine neue Modeerscheinung sind, davon zeugen Paola Marcellos Fotoporträts von Chin Frauen aus Burma, die zurzeit im Meraner Frauenmuseum ausgestellt sind. Marcellos Fotografien zeigen meist alte Frauen, die noch die früher üblichen Gesichtstätowierungen tragen, die vom Militärregime verboten wurden. Trotzdem scheint das Thema Tattoo in Südtirol noch neu und exotisch genug zu sein, um ein gutes Dutzend Leute zu einer Informationsveranstaltung mit Piercerin und leidenschaftlicher Tattoo-Trägerin Sarah Bertagnolli zu locken. 
 
 

Die Tätowiererin

 
Sarah Bertagnolli, Anfang dreißig, betreibt seit einigen Jahren das Tattoo- und Piercingstudio „Needlefactory“ in Lana, in dem mittlwerweile fünfzehn TattooartistInnen beschäftigt sind. Ihre eigene Passion begann früh: „Ich habe mir mein erstes Tattoo mit zwölf Jahren stechen lassen, und wusste schon bald: Eines Tages will ich voll von ihnen sein.“ Das sei damals noch ohne Unterschrift der Eltern gegangen. Mittlerweile gehe es strenger zu, und das sei auch gut so, betont Bertagnolli. Laut Gesetz dürfen sich Jugendliche ab vierzehn Jahren mit Erlaubnis der Erziehungsberechtigten tätowieren lassen.
 
Wenn Jugendliche mit Tattoowunsch zu ihr in die „Needlefactory“ kommen, sagt Bertagnolli ihnen klipp und klar, dass so etwas gut überlegt sein muss. Es müsse eine persönliche und bewusste Entscheidung sein, gerade für junge Menschen, die noch nicht genau wissen, wie ihr beruflicher Werdegang aussehen soll. Bevor Bertagnolli ihre Leidenschaft zum Beruf machte, absolvierte sie eine Ausbildung zur Sekretärin, und ihr Körperschmuck bereitete ihr dabei keine Probleme. Jedoch gebe es nicht wenige Berufe, in denen sichtbare Tätowierungen oder Piercings nicht nur ungern gesehen, sondern sogar vertraglich verboten sind. Bertagnolli möchte deshalb auch Eltern ansprechen, da diese manchmal dazu tendieren würden, ihre minderjährigen Kinder einfach machen zu lassen. Sie selbst würde ihrem Sohn kein Tattoo vor seinem achzehnten Geburtstag erlauben.
 

Fehlendes Berufbild

 
Zur Überraschung des Publikums erzählt Bertagnolli dann, dass es die Berufsbilder TätowiererIn und PiercerIn in Italien gar nicht gibt. Konkret heißt das, dass alle, die professionell tätowieren oder piercen wollen, in Italien lediglich einen Hygienekurs absolvieren müssen. Das Land Südtirol schreibt dreißig Stunden dafür vor, in anderen Provinzen sind es auch mehr.
„Diesen Kurs schafft jeder. Er wird von Hautärzten abgehalten, geredet wird hauptsächlich von Allergien oder irgendwelchen Hautkrankheiten, mit denen wir in unserem Arbeitsalltag eigentlich kaum zu tun haben, oder die wir nicht beurteilen oder behandeln dürfen. Nicht einmal über Anatomie wird da gesprochen – das heißt, jeder, der diesen Kurs gemacht hat, sticht einfach drauflos“, resümiert Bertagnolli nüchtern. Dies sei auch ein Grund, warum Studios wie Pilze aus dem Boden schießen. Auch die Gesetzeslage wird im Kurs nicht behandelt. Obwohl das italienweite Gesetz, das professionelles Tätowieren und Piercen regelt, auf einen Zettel passt. Bertagnolli selbst hat sich aus Eigeninitiative nach Österreich aufgemacht und dort von einem erfahrenen Piercer und ehemaligen Anästhesisten gelernt, sechs Monate lang. „Vorher hätte ich mich nie getraut, ein Piercing zu stechen. Immerhin könnte ich jemandem durch einen falschen Stich auf eine Nervenbahn das halbe Gesicht lähmen.“
Die meisten angehenden TätowiererInnen und PiercerInnen aus Südtirol machen es wie Bertagnolli und suchen sich ihren Ausbildungsweg im Ausland selbst zusammen. Das Wichtigste auf diesem Weg sei ohnehin die Übung.
Zeichentalent alleine reiche noch lange nicht, schließlich könne man falsche Linien nicht einfach wieder ausradieren, oder auf eine unbewegte Oberfläche auf ebenem Grund zeichnen. Deshalb müssten Verwandte und Bekannte von neuen TattooartistInnen meist auch ein Stückchen Haut opfern, trotz immer besseren Arten von Kunsthaut, die es zum Üben gibt.
 

Schlechte Gewohnheiten

 
Noch einmal kommt Bertagnolli auf schlechte Gewohnheiten in Südtirol zu sprechen: das Tätowieren und Piercen außerhalb der Studios. Immer wieder komme es dazu, dass Leute sich zuhause oder sonst wo unter die Nadel wagen. Selbstredend können die hygienischen Umstände oder Sicherheitsvorkehrungen in so einem Fall nicht mit denen in einem Studio, das eng mit dem Hygieneamt zusammenarbeitet, nicht mithalten. „Wenn sich jemand etwas zuhause auf dem Diwan stechen lässt, wo daneben der Hund rumläuft, kann es natürlich leicht zu einer Infektion kommen. Dann geht der Betroffene ins Krankenhaus, und es heißt wieder einmal, Tätowieren oder Piercen sei gefährlich, und wir werden alle in einen Topf geworfen. Das ist nicht in Ordnung“. meint Bertagnolli.
Ästhetische Ausrutscher sind da schon weniger ein Problem, aber auch nicht ohne. Wird eine Tätowierung verpatzt, bedarf es sieben bis zehn Lasersitzungen, um die Motive weg zu bekommen – und diese sind schmerzhaft und kosten pro Sitzung zirka vierhundert Euro. 
 
Ebenso mulmig wird Sarah Bertagnolli auch beim Gedanken an eine andere Südtiroler Gepflogenheit, die sogar gesetzlich verboten ist: das Ohrringstechen beim Goldschmied. Auch da fehle es an der nötigen Ausbildung, zudem sei es unüblich für Goldschmiede, Handschuhe anzuziehen, geschweige denn die Arbeitsmaterialien so zu sterilisieren oder zu entsorgen wie es in einem Studio erfolgt. Auch könne man diesen Umgang nicht damit entschuldigen, dass es sich „nur“ um ein Ohrringele handelt – unsere Ohren heilen nämlich langsam und schwierig, im Gegensatz zu Körperstellen, deren Durchbohrung sogar noch als gesellschaftliches Tabu gelten.
Das erklärt Bertagnolli als sie auf eine schüchterne Frage zu Intimpiercings aus dem Publikum antwortet. Nein, Intimpiercings seien nicht verboten, ja, es gebe sie in Südtirol, und nein, sie tun nicht mehr weh als „normale“ Piercings.
 
 

Kritische Stimmen

 
Allgemein ist das Publikum, das zu etwa gleichen Teilen aus Männern und Frauen mit und ohne Tattoos oder Piercings besteht, frag-und diskutierfreudig, weshalb Bertagnollis Vortrag nach kurzer Zeit in eine Q&A Session umschlägt. Auf die Standardfrage, ob und wo es denn am meisten weh täte, gibt es auch an diesem Abend keine Antwort.
Die kritischsten Fragen kommen von einem Heilpraktiker, der permanenten Körperschmuck, vor allem bestimmte Symbole oder an besonderen Stellen, als hinderlich für gesunde Energieflüsse ansieht. Er selbst habe Frauen behandelt, denen es nach dem Entfernen ihres Nabelpiercings besser ging. Bertagnolli antwortet diplomatisch, dass es am Ende allein wichtig sei, dass sich die Leute wohl in ihrem Körper fühlen – mit welchem Schmuck auch immer, oder eben ganz ohne. Wenn es um Gesundheit geht, verspreche sie nichts, kann aber doch vorweisen, dass sie einigen Kunden mit dem sogenannten Migränepiercing helfen konnte, ihre Schmerzen zu lindern. Auch Bertagnollis Neurodermitis verschwand interessanterweise erst, als sie sich die Stelle tätowieren ließ.
Noch einmal wird klar, wie neu und exotisch Tattoos und Piercings in Südtirol noch wirken. Zuletzt betont Bertagnolli nämlich noch einmal, dass sie sich mehr Toleranz tätowierten oder gepiercten Leuten gegenüber wünsche, und ein Ende der Vorurteile und der komischen Blicke, die es noch immer gibt.