Cultura | Salto Weekend

Geduld und Humor

Ein kleiner Band des syrisch-deutschen Autors Rafik Schami lehrt uns, wie wir durch Geschichten lesen auch schwierige Lebenssituationen bewerkstelligen.
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Foto: Hanser Verlag

"Satire lebt von der Distanz zum Objekt der Kritik. Die Distanz eines Satirikers der Minderheiten zu seinem Objekt ist nicht konstant. Sie hängt davon ab, welche Person oder Gruppe der Satiriker bloßstellt. Niemals aber ist die Distanz so groß, dass sich der Satiriker einer durch die Entfernung bedingter Objektivität verpflichtet fühlt. Nicht selten sind einige seiner eigenen Unzulänglichkeiten Gegenstand seines Spotts. Aber er ist seiner Minderheit und ihren Rechten verbunden, parteiisch und intolerant gegenüber der Intoleranz der Mehrheit. Eine tolerante Satire ist eine schlechte Sonntagspredigt.“ So schreibt Rafik Schami, ein deutscher Schriftsteller, der als Syrer in Damaskus aufgewachsen war und 1971 aufgrund politischer Verfolgung als junger Mensch seine geliebte Heimat verlassen hatte, um zuerst in Heidelberg Chemie zu studieren, zu promovieren und auch als Chemiker zu arbeiten, und dann - ab 1982 - langsam langsam begann, sich als einer der bedeutendsten Autoren Deutschlands zu etablieren. Heute sind seine mittlerweile zahlreichen Bücher teils in 30 Sprachen übersetzt, zirkulieren in vielen Ländern auf der Welt, aber in seiner Heimat stehen sie immer noch auf der Verbotsliste, denn trotz des mutigen und eifrigen Verlegers in Beirut, der einige Titel in die arabische Sprache übersetzen ließ und sie dann auch für den arabischen Markt publiziert hat, dürfen sie in Damaskus in keinem Buchladen aufscheinen.

 

Über Rafik Schami haben wir schon mal geschrieben, hier auf Salto, als er 2017 der Fotografin Barbara Abdeni Massaad geholfen hatte, das Buch Suppen für Syrien in Deutschland erscheinen zu lassen, dessen Verkaufserlös den vielen Flüchtlingen in den überfüllten Lagern in der Vorstadt von Beirut helfen sollte. Mit seinen Romanen können wir eintauchen in (s)eine wundervolle Erzählwelt, die uns besonders in Zeiten wie diese, wo wir alle in unseren Wohnungen räumlich beschränkt sind, von fernen Ländern und Gesellschaften träumen lassen und uns damit in andere Weltrealitäten versetzen können. Denn: seine Romane sind alles andere als exotisch angehauchte Literatur, nein, er baut in seine nach alt-arabischer mündlicher Erzähl-Tradition aufgebauten Geschichten, wo sich eine in die andere reiht, um uns immer tiefer und tiefer wie durch einen sich kontinuierlich drehenden Reigen in das Leben und die Geheimnisse seiner Figuren eindringen zu lassen, auf gezielte Art und Weise eine teils sehr hart beißende Gesellschaftskritik ein. Aber eben mit der Leichtigkeit, die ihn kennzeichnet, denn so schreibt er im Text Zum Schluss ein Lob auf das Exil, sein ständiger Wegbegleiter sei für ihn ein arabischer Spruch, der in Form eines Bildes in kalligrafierter Form in seinem Arbeitszimmer an der Wand hängt: „Geduld und Humor sind zwei Kamele, mit denen du jede Wüste überqueren kannst..“.

 

So sind Romane wie Sophia oder Der Anfang aller Geschichten aus dem Jahr 2015 oder der 2019 im Hanser Verlag erschienene Die geheime Mission des Kardinals wahre Wohltaten im literarischen Sinne in Hinsicht dessen, was wir tagtäglich in den Medien zu lesen oder zu sehen bekommen, und zwar was Assads Herrschaftssystem betrifft oder seine durchaus dubiösen Beziehungen zum Vatikan bzw. was im Namen der Religion(en) alles aus– bzw. durchgeführt wird. Und dann hat Rafik Schami noch eine viel wichtigere Karte in seinem Satz: ein an alle Schulamtsleiter gerichteter, wertvoller Vorschlag, oder wir er es nennt, „eine Forderung“: eine sogenannte „Kulturstunde“ auf jedem Stundenplan in allen Schulniveaus, auf dass Kinder und Jugendliche über Musik und Literatur Sitten und Bräuche anderer Völker mit Genuss kennenlernen und erleben können. Nichts ist wichtiger, als Geschichten zu lesen, denn diese sind „Fenster zu den Seelen und Kulturen anderer Völker und Länder“, genauso wie sie nicht nur „den Blick erweitern, sondern auch die Phantasie“. Jetzt, wo Eltern mit ihren Kindern viel Zeit verbringen, sollten sie sich besinnen, dass Märchen nicht von ungefähr eine wichtige Rolle in der Kindheit einnehmen, denn „ein Kind, das Geschichten liest, verzweifelt weniger angesichts einer Herausforderung: es erinnert sich an bestimmte Handlungen bestimmter Heldinnen und Helden, die ihre Schwierigkeiten überwunden haben, und das macht ihm dann Mut“.

Ja, da kommt ein kleiner Schatz wie Ich wollte nur Geschichten erzählen, woraus die schon laufend von mir zitierten Zeilen stammen, gerade recht, um Mann und Mensch, der dahinter steckt, ein bisschen näher und besser kennen zu lernen. Mosaik der Fremde nennt sich der Kleinband, der 2017 in Form einer Koedition zweier deutscher Klein-Verlage gleichzeitig bei Hirnkost in Berlin und bei Hans Schiler in Berlin/Tübingen erschien. Dieser Untertitel zeugt davon, wie der heute 74jährige Rafik Schami das Leben betrachtet: „je näher man kommt, umso sichtbarer werden die Bruchlinien, umso charaktervoller die einzelnen Steine“. Somit entschied er sich eine komplexe Angelegenheit wie unser aller Leben, hier das seine, in eben diese einzelnen Steine zu zerlegen und diese in Form von kurzen Texten zu beschreiben. Eine Fundgrube, nicht nur als Inspiration sondern auch als Werkzeugkasten für bestimmte Lebenssituationen. Er, der nun seit fast 50 Jahren als (Im)Migrant in der Bundesrepublik Deutschland lebt, beschreibt auf eingehende und (selbst)ironische Weise viele Momente seines dortigen Lebens, angefangen bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen, den er mit Neue Geburt überschrieben hat. So gibt es eine Reihe von Stichworten, die nun in Zeiten des Corona-Virus noch mal eine andere, auf interessante Weise weiterschweifende Sinngebung erfahren, wie z.B. Angstzustände, Mit Kultur makeln oder mit Kultur schaffen?, Die Todesmasken oder die schon genannte Satire der Minderheiten, worin er drei Themen benennt: „das repressive Umfeld (Behörden und Beamte im Einwanderland und im Ursprungsland), das freundliche Umfeld, wo nicht selten eine latente Fremdenfeindlichkeit schlummert und die Bemühungen der Fremden sich anzupassen“, (wo sich seines Erachtens die meisten Satiriker der zweiten und dritten Generation befinden, siehe das Zitat am Beginn unseres Textes).

Er gibt auch wichtige Hinweise, um nicht in Unsichtbare Fallen hineinzuschliddern, die in jeder Sprache und in jeder Kultur lauern, besonders für jene, die sich in einer anderen als ihrer Muttersprache zurechtfinden müssen, wobei „nicht die Beherrschung der Sprache gemeint ist, sondern das konfliktreiche Einleben in eine Sprache“. Hier ist besonders lehrreich das Beispiel für „das Mädchen“, in Deutsch ein Neutrum, das als Pronomen „ihm“ verlangt, trotzdem es sich sinngemäß um eine junge Frau, also ein weibliches Wesen, handelt, eine Tatsache, die so weder im Arabischen, noch im Italienischen, Englischen oder Französischen existiert. Genauso wenig wie „das Oberhaupt der Familie“, das für Schami „ein Mann, nicht selten mit gewaltigem Schnurrbart“ darstellt, aber „für jedes Kind in Deutschland ist es ein Neutrum“... Oder das Hinterfragen des in vielen Sprachen unbekannten Begriffes „Heimat“, wofür er – wie er schreibt – bei Ernst Bloch Trost gefunden hat, der dem Begriff „eine utopische Dimension einer befreiten, gerechten Gesellschaft der Zukunft“ zukommen lässt.

Mit Blochs Zitat wollen wir auch diese Rezension abschließen, denn es erscheint uns, heute, als wegweisend: „Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, der schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“