Società | Interview

„Ein Traum ist wahr geworden“

Bei den Olympischen Spielen in Tokio wurden heuer zum ersten Mal Wettbewerbe im Klettern ausgetragen. Der 25-jährige Grödner Michael Piccolruaz kletterte auf Rang 15
Michael Piccolruaz
Foto: Archiv Fasi

Salto.bz: Michael, du bist noch in Tokio. Wie geht es dir? Wie fühlt man sich in Japan? 

Michael Piccolruaz: Müde. Gestern (Donnerstag, Anm.d.Red.) Abend ist es ein wenig länger geworden. Sonst ist es sehr heiß hier in Tokio. Ich freue mich schon auf zu Hause, da soll es ja kühler sein. 

Wie war das Gefühl im italienischen Team? Habt ihr nach dem Wettbewerb gefeiert? 

Da ich mit dem Kletterer Jakob Schubert (der österreischicher Kletterer holte Bronze, Anm.d.Red.) in Innsbruck wohne und er praktisch mein bester Freund ist, verbrachte ich die meiste Zeit mit ihm. Allgemein war ich mehr mit dem österreichischen Team, da ich die Athleten alle gut kenne. Ein besonders Erlebnis war aber, als die beiden Leichtathleten Marcell Jacobs und Gimbo Tamberi Gold für Italien holten. Da war die Stimmung gewaltig. 

 

Du hast mit einer Größe von 1,78 Metern und einem Gewicht von 64 Kilogramm einen BMI von 20. Das ist eher niedrig, aber noch in der Norm. Wird das Gewicht im Verhältnis zur Größe in Tokio kontrolliert? 

Das ist ein sehr heikles Thema. Nein, in Tokio wurde das nicht kontrolliert. Die einzelnen Nationalverbände entscheiden darüber, ob und wie sie ihre AthletInnen starten lassen. Die Slowenen z.B. ließen zwei Athletinnen nicht starten, da sie zu dünn waren. Auch bei meiner italienischen Teamkollegin Laura Rogora ist das immer wieder ein Diskussionspunkt, da besonders Frauen im Sport manchmal zu dünn sind. Aber in Italien gibt es noch keine Vorgaben zu diesem Thema. 
Ich fände es aber gut, wenn das ein internationaler Verband entscheiden würde, dann gäbe es eine einheitliche Richtlinie. Denn klar ist, jeder Nationalverband will so viele Medaillen wie möglich mit nach Hause nehmen. 

Hat dich das Thema Corona beim Wettkampf beeinflusst? 

Nein, gar nicht. Im Olympischen Dorf durften wir uns frei bewegen, deshalb war es absolut nicht schlimm. Jeden zweiten Tag wurden wir getestet, auch die Maske hatte ich relativ viel auf. Am Wettkampftag waren die Kontrollen zum Glück nicht so streng, da es besonders heiß war.
Für mich war es schlimmer, dass keine Zuschauer dabei waren. Ich bin ein Mensch, der gerne das Publikum mitreißt und animiert, das war in Tokio bei 50 ZuschauerInnen natürlich nicht möglich. 

Ich bin ein Mensch, der gerne das Publikum mitreißt und animiert, das war in Tokio bei 50 ZuschauerInnen natürlich nicht möglich. 

Wie geht es jetzt weiter? Wirst du bei den nächsten Olympischen Spielen wieder teilnehmen? 

Tja, das ist immer eine gute Frage, wie es dann weiter geht. Zuerst werden ich meine Zeit eher ein wenig spontan gestalten. Ich möchte zuhause wieder mehr Felsklettern, das vermisse ich sehr. Im September werden ich dann voraussichtlich beim Weltcup in Slowenien mitmachen. Im Oktober fahre ich dann zusammen mit meinem besten Freund Jakob nach Mallorca, um dort zu klettern. Ein Filmteam wird uns begleiten, was ziemlich cool ist. Dann geht’s weiter zu einem Showwettkampf, da will ich zum Spaß mitmachen. 

Hattest du in Tokio Glücksbringer dabei? 

Ich hab da so einen blöden Tick. Vor jedem Boulder muss ich mir die Nase zu putzen. Meine Mama hat mir vor dem Start dann ein Taschentuch mit der Stickerei „Tokio“ mitgegeben. Das hatte ich immer dabei. 

 

Bei den Olympischen Spielen war es so, dass die Kletter-Athleten ihr Können in drei unterschiedlichen Disziplinen – Speed, Lead und Boulder – unter Beweis stellen mussten. Bei einem Weltcup ist das anders, da gibt es in jeder Kategorie einen Sieger. Was findest du gerechter?

Wir Kletterer sind alle ziemlich froh, dass es die Olympische Kombination so nicht mehr geben wird. Es war ein einziges Chaos und Glück spielt bei dieser Form einfach auch eine ganz große Rolle. Außerdem ist die persönliche Leistung von so vielen anderen Faktoren abhängig.

Also ist der spanische Olympiasieger Alberto Gines Lopez nicht der beste Kletterer der Welt? 

Nein, absolut nicht. Es gab so viele andere Athleten, die viel besser waren als er. 

 

In Tokio war die Disziplin Klettern das erste Mal bei Olympia dabei. Waren die Routen qualitativ gut angelegt oder gibt es große Unterschiede zu den Weltcups? 

Das ist eine sehr gute Frage und größtes Diskussionsthema unter uns Kletterern. Beim Vorstiegsklettern waren die Routen super gebaut, ein wirklich guter Routenbau – Hut ab. Aber beim Boulder? Katastrophal. Es war keine Schwierigkeit dabei, entweder der Boulder lag dir, oder eben nicht. Der erste Boulder z.B. war extrem einfach, ein anderer war viel zu schwierig, dann blieb nur mehr einer übrig. 

Beim Vorstiegsklettern waren die Routen super gebaut, ein wirklich guter Routenbau – Hut ab. Aber beim Boulder? Katastrophal.

Dabei wäre das Bouldern eigentlich deine Stärke...

Ja, absolut. Aber diese Art der Kletterei ist auch am variabelsten. Du kannst extrem gut oder extrem schlecht sein. Und der Routenbau beim Boulder war einfach nicht gut. 

Heuer wurden keine Kondome unter den Athleten verteilt, auch die Betten sind aus Pappkarton, um nahen Körperkontakt möglichst zu vermeiden. Stimmt das? 

Ja. Auf dem Pappkarton-Bett sitze ich gerade noch – also das hält was aus (lacht).

Letzte Frage: Beschreibe Tokio in drei Adjektiven.

Also, es war auf jeden Fall emotional. Und spannend. Und wie sagt man, wenn ein Traum wahr geworden ist? Gibt es dafür ein Adjektiv?