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Schluss mit Playboy

Das Schweizer Magazin 'Ernst' vermittelt ein anderes Männerbild und will damit "das Patriarchat in die Tonne treten". Ein Interview mit Chefredakteur Adrian Soller.
Ernst Heilen
Foto: ERNST

salto.bz: Warum heißt euer Kultur- und Gesellschaftsmagazin 'Ernst'?

Adrian Soller: Immer Spaß ist nicht lustig, wir wollen auch mal Ernst sein drüfen. Aber was uns vor allem gefallen hat, war die Doppeldeutigkeit des Wortes. Den Männervornamen haben wir gewählt, weil wir ja explizit auch Männer ansprechen wollen und wenn man über Geschlecht und Gender schreibt, fühlen sich Männer oft nicht angesprochen.

Gibt es für Männer nicht schon den Playboy?

Ja, aber dort wird ein althergerbrachtes Rollenmodell gepflegt, und genau das wollen wir aufheben. Wobei, ich kann mir vorstellen, dass sich der Playboy mittlerweile auch weiterentwickelt hat.

Welches Rollenmodell wollt ihr pflegen?

Oft heißt es ja "Ein Mann muss mehr weinen dürfen", "Ein Mann muss für seine Kinder dasein". Das finde ich aber problematisch, weil so schafft man wieder neue Dogmen. Es braucht einfach mehr Freiheit und Individualität, es sollte nicht das eine Männderbild geben.

 

 

Wie wollt ihr dazu beitragen, die Gesellschaft für den Mann gerechter zu gestalten?

Unser Gedanke ist, dass wir als Männer mithelfen wollen, das Patriarchat lustvoll in die Tonne zu treten. Alle Geschlechter können von der Emanzipation profitieren, denn die Rollenbilder im Patriarchat bedeuten für alle Menschen gewisse Zwänge. Uns geht es um die Abschaffung dieser Zwänge für alle. Zwar ist die Situation heute besser als noch zur Zeit unserer Eltern. Aber es sind immer noch ein paar Zwänge da. Zum Beispiel die Vorstellung: Der Mann muss das Geld verdienen. Uns geht es darum, den Wandel dieses Männerbildes zu begleiten.

Ihr seid also das männliche Pendant zu feministischen Magazinen?

Wir wollen einen geschlechtsneutraleren Blick pflegen. Gleichstellung sehen wir nicht nur als Geschlechterthema, sondern systemischer. Deswegen wollen wir der Ort sein, wo alle Arten von Gleichstellungsbewegungen – von Schwulen, Queeren, Frauen und Männern – zusammenlaufen. Uns ist wichtig, nicht Männerthemen zu identifizieren, sondern aufzlösen, was Männer- und was Frauenthemen sind, und Gesellschaftsthemen aufzugreifen, die eben auch Männer ansprechen.

Es sollte nicht das eine Männderbild geben.

Wie kam 'Ernst' auf die Welt?

Wir waren eine Gruppe von Freunden – Journalisten, Philosophen, Kulturwissenschaftler und Künstler – die sich zusammengefunden haben und auf den Ruinen eines anderen Magazins 'Ernst' aufgebaut haben. Das war 2017. Wir konnten den Abo-stamm vom Vorgängermagazin übernehmen – es hieß 'die Männerzeitung' und ist aus der Männerbewegung heraus entstanden ­­­– das war unser Startkapital.

Es gibt eine Männerbewegung?

Es ist schwierig zu sagen, ob es die eine Männerbewegung überhaupt gibt, denn sie ist sehr divers. Auf der einen Seite gab und gibt es Frauen, die für Frauenrechte kämpfen und sagen: Wir wollen in die Arbeit rein. Auf der anderen Seite gibt es seit den 70er, 80er Jahren aber auch Männer, die für eine aktive Vaterschaft kämpfen. Sie sagen: Wir wollen in die Familie rein. Für ein egalitäres Modell brauchen wir diese Entwicklung: dass alle den gleichen Zugang zu Arbeit, und alle den gleichen Zugang zu Familie haben.

Frauenmagazine gibt es etliche. Männermagazine gibt es kaum. Warum?

Wenn man die Statistiken anschaut, dann lesen Männer weniger Magazine. Das ist aber auch so ein altes Klischee: Der Mann liest Tageszeitung und widmet sich dem Politischen und Wirtschaftlichen. Unser Anspruch ist es deshalb, diese "weichen" gesellschaftlichen, zwischenmenschlichen Themen zu bringen und sie mit der persönlichen Sinnfrage zu verbinden: Wie will ich meinen Alltag als Mann gestalten? Was für eine Beziehung will ich mit meinen Kindern?

 

 

Feminismus zielt ebenso auf eine Gleichheit der Geschlechter hin. Trotzdem wird er von vielen Männern, selbst jenen, die sensibel sind für Genderfragen und Gleichstellung, abgelehnt. Was macht Feminismus falsch?

Gar nichts. Nur ist Feminismus extrem heterogen. Für die einen ist es feministisch einen Minirock zu tragen, für die anderen ist es feministisch, keinen Minirock zu tragen. Und es gibt eine Strömung von Feminismus, die sich nur mit Frauenrechten beschäftigt, und nicht das ganze Spektrum an Gleichberechtigung abdeckt. Das stört vielleicht. Zum Beispiel in der Schweiz dürfen Frauen mit 62 Jahren in Pension gehen, Männer erst mit 65. Die Bürgerlichen wollen diese drei Jahre jetzt abschaffen. Linke Femministinnen kämpfen gegen diese Abschaffung. Das kann ich aus gewerkschaftlicher Sicht verstehen, und das Raufsetzen auf 65 Jahre finde ich auch problematisch. Aber grundsätzlich die Angleichung finde ich als Mann sinnvoll. Das Patriarchat kann man nur abschaffen, wenn beide Geschlechter die gleichen Rechte haben, bei der Arbeit und in der Familie.

Das Patriarchat kann man nur abschaffen, wenn beide Geschlechter die gleichen Rechte haben, bei der Arbeit und in der Familie.

Wie kann Feminismus es schaffen, mehr Männer mit ins Boot zu holen? Letztendlich arbeiten beide Bewegungen auf dasselbe hin.

Wir sprechen oft von "Gleichstellungsaktivismus", so machen wir es geschlechtsneutral. Aber es sollte kein Entweder-oder sein. Feminismus hat Berechtigung. Es braucht Frauen, die für Frauenrechte kämpfen. Es braucht aber auch Männer, die für die Vaterschaft einstehen. Und dann braucht es eben auch einen Gleichstellungsbewegung, die beides zusammendenkt.

Was können Frauen tun, um Männer in ihrem Kampf für mehr Gleichstellung zu unterstützen?

Da könnte man verschiedene Fässer aufmachen. Aber nehmen wir das Beispiel Alltagssexismus. Die Frau sollte beim Flirten nicht erwarten, erobert zu werden und darauf, dass der Mann immer den ersten Schritt macht, gleichzeitig aber den Mann dann bei Alltagssexismus anklagen. Denn genau das führt dazu, dass die lautesten Affen oben sitzen und Erfolg haben. Die Frau muss hier etwas aktiver werden, und der Mann dafür empathischer. Dieses "Spiel der Geschlechter" hat sicherlich noch Entwicklungspotential.