Cronaca | Verbrechen

„Ich konnte nicht helfen“

Gerichtsprozess zum Elternmord: Elisabetta Perselli berichtet über ihre Beziehung zu ihrem Neffen Benno Neumair und über die Lebensgeschichte ihrer toten Schwester.
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Foto: Salto.bz
Elisabetta Perselli ist die mittlere der drei Schwestern der Familie Perselli und die Tante von Benno Neumair mütterlicherseits. Sie zählt heute, am 6. September, zu den geladenen Zeug:innen der Verteidigung im Mordprozess gegen den 31-Jährigen, der vor rund eineinhalb Jahren seine Eltern in ihrer Wohnung in Bozen erdrosselt hat. Sie ist die Einzige der Angehörigen, die im Zeugenstand berichtet, Benno Neumair im Bozner Gefängnis zu besuchen.
Bei seiner Beerdigung trug Laura ihr Hochzeitskleid, um ihre große Liebe für ihn zu zeigen.

Das Leben der Schwester

 
Die pensionierte Kindergärtnerin wuchs mit Carla und Laura Perselli auf. „Wir sind in einer geeinten und respektierten Familie aufgewachsen“, erzählt Elisabetta Perselli. Da sie bis zu ihrem sechsten Lebensjahr oft gesundheitliche Probleme hatte, war die jüngste Schwester Laura eifersüchtig, da Elisabetta so mehr Aufmerksamkeit erhielt. In der Pubertät durchlebte Laura Perselli eine rebellische Phase und musste eine Klasse der Oberschule wiederholen. „Weil sie sich viel mit unserem Vater stritt, zog sie bald aus und ging dann nach Wien studieren“, so Elisabetta Perselli.
 
 
Als sie studierte, erholte sich ihre Beziehung zu den Eltern wieder und ihr Vater war sehr stolz auf sie. Laura Perselli lernte in Wien auch ihren zukünftigen Ehemann kennen, mit dem sie nach Bozen zog. Es war ein Südtiroler Psychologe, der sich zwei Jahre nach der Hochzeit in Norddeutschland das Leben nahm. Seine Ehefrau erfuhr es über einen Anruf der Polizei, nachdem er seit einer Woche verschwunden war. „Bei seiner Beerdigung trug Laura ihr Hochzeitskleid, um ihre große Liebe für ihn zu zeigen“, so die mittlere Perselli-Schwester.
Nach dem Tod ihres Ehemannes zog die damals 30-jährige Laura Perselli aus der gemeinsamen Wohnung, reiste nach Indien und fing nach ihrer Rückkehr an, in Bruneck als Lehrerin zu arbeiten. In dieser Zeit lernte sie Peter Neumair kennen und die Beiden gründeten eine Familie. „Sie waren sehr glücklich über ihre beiden Kinder“, sagt Elisabetta Perselli. Beide Kinder besuchten den Kindergarten, wo sie selbst arbeitete.
 

Die Kindheit des Täters

 
„Benno fiel es schwer, sich von seinen Eltern im Kindergarten zu trennen. Nach der Geburt seiner Schwester Madé entwickelte er Schlafstörungen, hatte Albträume und schwitzte stark“, berichtet seine Tante vor dem Schwurgericht. Er sei ein schüchternes und distanziertes Kind gewesen, das sehr perfektionistisch war. „Er gab sich mit einem Bild erst zufrieden, wenn es perfekt war. Erst, wenn man ihn lobte, konnte er sich entspannen.“
 
 
Das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern verschlechterte sich in der Zeit, als Elisabetta Perselli als Kindergärtnerin auf ihren Neffen und ihre Nichte aufpasste. Meinungsverschiedenheiten in Erziehungsfragen und die von Laura Perselli geäußerte Kritik am italienischen Kindergartensystem in der Presse waren für sie zu viel. Nach einem Streit mit ihrer Schwester bei der Mutter zuhause wurde Laura Perselli handgreiflich und die Carabinieri griffen ein.
Ich komme nicht darüber hinweg, dass man mich im Unklaren über Bennos psychischen Zustand gelassen hat.
Die beiden Schwestern kamen sich erst wieder näher, als die Kinder ins Jugendalter kamen. Und Elisabetta Perselli fand ein Vertrauensverhältnis zu Benno Neumair. Vor Gericht erzählt sie von den Gesprächen und Treffen mit ihrem Neffen. „Ich weiß, mancher nennt mich naiv, aber ich habe bis zum letzten Moment geglaubt, Laura und Peter seien von der Lawine am Hotel ,Eberle‘ verschüttet worden“, sagt Elisabetta Perselli.
 

Ihre Beziehung zum Neffen

 
Sie war mit Benno Neumair auch während seiner Studienzeit in Kontakt, er erzählte ihr von seiner schwierigen Beziehung mit einer ehemaligen Freundin, die an einer Depression litt, und auch von seinen Schwierigkeiten mit den Eltern. Als er im Jahr 2020 nach seinem Aufenthalt in der Psychiatrie in Neu-Ulm wieder zu seinen Eltern zog, rief er sie einmal sehr aufgelöst an. „Er klang verzweifelt und ich hielt ihn so lange am Telefon, bis er sich wieder beruhigte. Seine Mutter habe die psychiatrische Ambulanz gerufen. Ich hatte Angst, dass er sich etwas antut.“
Sie suchte für ihn auch Wohnungen in Bozen, aber als Benno Neumair seine Lehrerstelle antritt und begann, an seine Eltern Miete zu zahlen, normalisierte sich die Situation für ihn – zumindest zeitweise. Das Ausmaß seiner psychischen Probleme wurde Elisabetta Perselli erst klar, nachdem er inhaftiert wurde.
„Ich denke jeden Tag an Laura. Ich war nicht im Stande, ihr zu helfen“, sagt sie und kämpft mit den Tränen. „Meine Schuld ist, dass ich nicht helfen konnte. Ich komme nicht darüber hinweg, dass man mich im Unklaren über Bennos psychischen Zustand gelassen hat. Ich hätte das niemals unbehandelt gelassen. Benno war für mich ein besonderer Neffe: Als er zu mir in den Kindergarten kam, war er für mich wie ein eigenes Kind“, sagt die kinderlose Tante.
Die zweite Zeugin der Verteidigung ist eine pensionierte Kindergärtnerin, die gemeinsam mit Elisabetta Perselli gearbeitet hat und Benno Neumair als Kind kennenlernte. Aus ihren Augen hätte Benno Neumair bereits als kleiner Junge Hilfe gebraucht, da bereits zu diesem Zeitpunkt Auffälligkeiten bemerkbar waren.
Der nächste Prozesstermin findet am 13. September statt und es werden die psychiatrischen Sachverständigen der Verteidigung angehört.