Società | Inklusion, Frauen

Heroes by nature

Geregelte Arbeit ist ein Schlüssel dafür, sein Leben selbstverantwortlich zu führen und schwierige Lebenssituationen aus eigener Kraft zu überwinden.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale del partner e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
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Foto: Co-Opera

Jederzeit entschlossen zu handeln und mutige Entscheidungen zu treffen geht nur Superhelden und Superheldinnen mit links von der Hand. Menschen ohne Superkräfte fällt es häufig schwerer, Komplikationen im Leben zu vermeiden. Das Buch „Lebensgeschichten“, herausgegeben von der Sozialgenossenschaft Co-Opera in Bruneck, erzählt die Geschichten von siebzehn Frauen, die in Krisensituationen innere Kraft entwickelten und gestärkt aus diesen hervorgingen.

Die Geschäftsführerin Frau Dr. Barbara Großgasteiger im Interview über die Lebensgeschichten der Mitarbeiterinnen von Co-Opera und über Ihre Sozialgenossenschaft:

Frau Dr. Großgasteiger, erzählen Sie bitte beispielhaft eine Geschichte aus Ihrem Buch.
Gerne kann ich Ihnen einen Auszug aus dem Buch vorlesen. Eine Mitarbeiterin erzählt:

Bei unserer Arbeit hier begleiten wir Menschen auf ihrem Weg zu einem selbstständigen Leben. Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie weit es Menschen mit ein bisschen Unterstützung schaffen können. Menschen, die anfangs kein Zeitgefühl hatten, immer zu spät kamen, ganz viel Betreuung brauchten – und nach einiger Zeit doch ihren Arbeitsalltag meistern können!
Jahrelang habe ich im Gastgewerbe gearbeitet und habe das auch gerne gemacht. Aber jetzt darf ich junge Menschen in ihrer Entwicklung begleiten! Und dabei lerne ich viel über mich selbst und für mich selbst, erlebe Dinge, die ich sonst vielleicht nicht gesehen oder wahrgenommen hätte. Ich habe gesehen, wie weit ein Mensch gehen kann, wenn er nur den Willen dazu hat. Wie Arbeit Menschen Mut geben kann. Wie wenig es oft braucht, damit ein Mensch wieder Fuß fassen kann: ein bisschen Hilfe, Verständnis, Respekt.

Die Erzählungen spiegeln die Grundgedanken von Sozialgenossenschaften wieder: Gemeinwohl, Verantwortung und Inklusion. Das Buch gibt Einblicke in das Leben und das Arbeiten von und in Sozialgenossenschaften, zeigt das Potential, die Kultur und die Perspektiven dieser Unternehmensform auf und weist dabei insbesondere auf die positiven Auswirkungen der Arbeit hin und auf den Mehrwert, den Sozialgenossenschaften für Mensch und Gesellschaft schaffen.

Was zeichnet diese Frauen und ihre Lebensgeschichten aus?
Aus den Erzählungen der Frauen im Buch erfährt man, dass Arbeit Selbständigkeit, Anerkennung und Wertschätzung bedeutet, dass der zwischenmenschliche Umgang durch Hilfe, Verständnis und Respekt geprägt ist. Hoffnung und Überzeugungskraft der Frauen ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Geschichten. Ihre Erfahrung beweist, dass durch Solidarität schwierige Zeiten überbrückt werden können. Jede Person kann mit ihren Fähigkeiten in ihrem täglichen Lebensumfeld zum Gemeinwohl beitragen. Die Frauen zeigen Entschlossenheit und Mut; Mut zur Eigeninitiative und Eigenverantwortung.

An wen richten sich die Arbeitsintegrationsprojekte der Sozialgenossenschaft Co-Opera?
Sozialgenossenschaften des Typs B haben den Zweck der Arbeitsintegration von benachteiligten Personen. Als benachteiligte Personen gelten laut Gesetzgeber Menschen mit mehr als 46% Zivilinvalidität, Menschen mit sensorischen Einschränkungen, etwa im Hören und Sehen, Menschen, die sich in psychiatrischer Behandlung befinden oder Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen. Mindestens 30% der Mitarbeiter einer Sozialgenossenschaft Typ B sind Menschen mit einer Benachteiligung.

Welche Frauen kommen zu Co-Opera und wie finden sie zu Ihnen?
Die Belegschaft von Co-Opera ist bunt gemischt. So vertreten 64 Mitarbeiterinnen acht Nationen. Etwas, das uns auszeichnet ist das relativ hohe Durchschnittsalter, man kann sagen, wir sind sehr reich an Erfahrungen.
Die Frauen finden auf verschiedenen Wegen zu uns; es kann vorkommen, dass sich jemand spontan vorstellt, oft empfehlen uns Mitarbeiter/innen ihre Nachbarin oder Freundin. Bei benachteiligten Personen entsteht der Kontakt meist durch den zuständigen Dienst.

Wie schaut ein Arbeitsintegrationsprojekt aus? In welchen Arbeitsbereichen sind die Frauen tätig?
Co-Opera betreibt verschiedene Dienstleistungsbereiche: Eine Bar, eine Wäscherei, Küchenhilfsdienst und Raumpflege. Die ausgewählten Dienstleistungsbereiche bieten unter anderem die Möglichkeit von einfachen, sich wiederholenden Tätigkeiten. Dies kann zum Vorteil von Personen sein, die schon länger nicht mehr aktiv am Arbeitsleben teilnehmen konnten. In diesen Arbeitsbereichen haben wir die Möglichkeit, Menschen mit Benachteiligung einen ihren Bedürfnissen angepassten Arbeitsplatz anzubieten.
Der Verlauf eines Projektes wird immer wieder zusammen mit den öffentlichen Diensten überprüft, mit denen es entwickelt wurde. Ein wichtiger Faktor für den Erfolg unserer Arbeit sind die sogenannten Bezugspersonen, das sind Mitarbeiterinnen, die ihrer regulären Tätigkeit nachgehen und zudem ein Arbeitsintegrationsprojekt begleiten.

Die Projekte hören sich erstmal nach Klischee-Frauenberufen an. Was spricht dagegen, die Frauen etwa in Handwerksbetrieben oder in anderen Bereichen einzusetzen?
Die „typischen“ Frauenberufe sind gerade für benachteiligte Frauen oft von Vorteil: Meist sind die Tätigkeiten bekannt, dadurch bleibt die Hemmschwelle für den Wiedereinstieg niedrig.
Natürlich hören sich die Berufe nach „typischen“ Frauenberufen an, wir sind aber durchaus nicht abgeneigt, Frauen auch in Handwerksbetrieben oder anderen Bereichen der Arbeitswelt einzusetzen.

Arbeiten Frauen irgendwann wieder in ihren ursprünglichen Berufen?
Ziel unserer Arbeit ist es, die benachteiligte Person zurück auf den freien Arbeitsmarkt zu bringen. Zudem werden individuelle Ziele gesetzt, welche ihr in ihrer persönlichen Entwicklung weiterhelfen sollen. Die Projektverläufe sind sehr unterschiedlich. Einige Frauen kehren nach überwundener Krise wieder zurück in die reguläre Arbeitswelt, es gibt aber auch genügend Beispiele von Frauen, die bei uns bleiben. Oft sind die Ansprüche des freien Marktes so hoch gesteckt, dass ein Mensch mit einer Benachteiligung nicht mithalten kann. Genossenschaften leben eine gesellschaftliche Alternative vor, bei der Partizipation und Inklusion für alle im Vordergrund stehen.

Frau Dr. Großgasteiger, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Buch „Lebensgeschichten“, Hrsg. Co-Opera, erscheint am 8. November 2017