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Watten und Wein

Der Krimiautor Lenz Koppelstätter über Commissario Grauner, Thomas Mann im Ultental und wie ihn seine eigenen Krimis glücklich machen. Eine Vernehmung.
Autor
Foto: Gene Glover

salto.bz: Schluzer, Saltapepe und Thomas Mann im Ultental – Sie verweben Südtirolerisch, Italienisch für Anfänger und Literaturgeschichte um große Literaten wie Thomas Mann zu einem Krimi. Sind die Vorgaben für Lokalkrimis eine Last oder eine Freude?
Lenz Koppelstätter: Wer sich auf Vorgaben einlässt, hat verloren. Vorgaben, das ist etwas für Mathematiker. Mathe konnte ich schon in der Schule nicht. Ich habe bei Tests immer versucht, kreativ an die Rechenaufgaben heranzugehen. Bin gescheitert. Was einem aber doch hilft, wenn man sich für einen „Whodunit“-Krimi entscheidet: ein Mindestmaß an klassischer Struktur. Ein Toter muss her, ermordet. Ermittlungen, Stränge, Spannungsbogen. Mittendrin verzweifelst du als Autor, am Ende wunderst du dich, dass doch irgendwann alles zusammenpasst – und bist glücklich.

Ich bin gar nicht so ein großer Krimi-Fan.

Wie entstehen Ihre Krimis?
Du sitzt da alleine. Da ist das leere, weiße Blatt Papier. Du kritzelst ein paar Notizen drauf. Ziehst ein paar Pfeile. Du hast dir vorab ein paar Gedanken gemacht. Ich wollte Düsternis, Witz, Skurrilität. Eine gute Story erzählen. Du öffnest das leere, weiße Word-Dokument. Du schaust in die Notizen. Dann schreibst du dich in eine tiefe Schlucht hinein, und wenn es dunkel ist, suchst du das Licht.

Woher rührt Ihre Faszination für dieses Genre?
Ich bin gar nicht so ein großer Krimi-Fan. Ich lese kaum klassische Krimis, schaue noch nicht einmal den „Tatort“. Ich mag aber gute Geschichten, gut erzählt, guten Sound, und in jeder guten Geschichte steckt ja Liebe, Eifersucht, Verlangen, Neid, Mord, Totschlag. Bei Shakespeare, bei Tschechow, in der Bibel. 

Wo haben Sie Ihren Krimi beendet? In Berlin oder Tramin?
Ich schreibe in Berlin. Am Schreibtisch, am Küchentisch, mal auf der Couch, selten im Bett. Manchmal auch unterwegs. Im Zug, Speisewagen. Da funktioniert’s ganz gut.

Was macht Ihre Krimis in Ihren Augen so erfolgreich?
Ich weiß es nicht. Und das ist ja das Schöne an Büchern: Bücher sind keine Maschinen. Es gibt kein Erfolgsrezept mit Erfolgszutaten, wie bei ausgetüftelten Blockbuster-Kinokonzepten oder in der Popmusik-Maschinerie. Was mich aber wirklich ganz besonders freut: Dass meine Krimis auch in Südtirol gerne gelesen werden. Hätte auch sein können, dass man da als Südtiroler ignorierend drüber hinwegsieht.

Bücher sind keine Maschinen.

In den vergangenen Jahren sind mehrere Krimis mit Südtirol-Kolorit erschienen. Wie lässt sich das Phänomen Regionalkrimi erklären? Haben Sie sich selbst dazu schon mal befragt?
Nein. Viele lesen nun mal gerne Krimis, manche schreiben gerne Krimis – und die spielen dann halt irgendwo. Da, wo der Autor herkommt, wie bei mir. Oder da, wo es dem Autor gut gefällt. Da, wo es besonders schön ist, oder besonders morbide. Das Sterben fasziniert uns Menschen. Und das Böse. Weil das Sterben irgendwann für jeden kommt, mit einem lauten Wumms oder leise. Und weil das Böse wohl in jedem von uns steckt, in manchem viel, in manchem weniger.

Wie lange haben Sie an der Figur Commissario Grauner gegrübelt?
Der war irgendwann einfach da. Beim Schreiben, beim Reintippen in die Tastatur, passiert dann so viel.

Welche Fähigkeiten muss ihrer Meinung nach ein Commissario mitbringen, um in Südtirol gut zu ermitteln?
Stur sein. Watten können. Viel Wein vertragen.

Es geht auch um Thomas Mann, der in Bad Mitterbad im Ultental angeblich die Buddenbrooks fertiggestellt hat...
Das mit den „Buddenbrooks“ steht so mancherorts, stimmt aber nicht. In die Figur Thomas Mann um 1900 habe ich mich im vergangenen Jahr doch einigermaßen hineingewühlt. Biograf und Experte Prof. Dr. Tilmann Lahme hat mir dabei sehr geholfen. Das Leben Thomas Manns ist ja bis auf fast jeden Tag dokumentiert. Als er im Sommer 1901 mit seinem älteren Bruder Heinrich nach Mitterbad kam, waren die „Buddenbrooks“ schon so gut wie druckreif, aber noch nicht veröffentlicht. Thomas Mann war erschöpft vom kräftezehrenden Lektorat. Sein Verleger wollte kürzen, er nicht. Es war ein Kampf. Er hatte Zahnschmerzen, Darmbeschwerden, Magenkrämpfe. Er war ein junger, noch unbekannter Schreiberling, ein sich im Suchen Befindender, im Schreiben, im Leben, im Sexuellen. Heinrich war schon berühmt. Thomas wusste in Mitterbad noch nichts von dem Welterfolg, den ihm die „Buddenbrooks“ bescheren würden. Er hat möglicherweise an „Gladius Dei“ gearbeitet, einer Novelle. Auch hat er einen Brief und ein Gedichte verfasst.

Nun will ich aber heben an,
Von Mitterbad will ich sagen,
Und wie sich dort fünf Wochen lang
Mein Leben zugetragen.

[...]

Der Aufenthalt in Mitterbad
Ist Jedem zum empfehlen;
Mich hat er gelabt und frisch gestärkt,
Den Leib und auch die Seelen.

(Auszug aus einem in Mitterbad verfassten Gedicht von Thomas Mann)

Wir trinken viel, reden laut. Er salurnerisch. Ich traminerisch. Und alle um uns herum denken sich: Scheiß Schweizer! 

Sie beschreiben in ihren Krimis gekonnt charakterliche Vorzüge und Nebenwirkungen der Dorfbevölkerung. Was unterscheidet Schnalstaler und Ultentaler?
Die Protagonisten in meine Buch, das sind Phantasie-Schnalser, Phantasie-Ultner. Mit einem Mix aus Südtiroler Eigenheiten. Was ich in der Realität aber schon spannend finde: Wie sich in Südtirol – das ja immer als ein großes, in sich geschlossenes Ganzes dargestellt wird – Mentalität, Sprache, selbst Mimik und Gestik von Tal zu Tal, von Dorf zu Dorf, unterscheiden. Man kann ja blind einen Kurtatscher von einem Traminer und den von einem Kalterer unterscheiden. Ich habe in Berlin einen Freund aus Salurn, den Willi. Mit dem Willi sitze ich in Neukölln beim Spanier. Wir trinken viel, reden laut. Er salurnerisch. Ich traminerisch. Und alle um uns herum denken sich: Scheiß Schweizer! Warum schreien die so? Der Dorfdialekt steckt immer noch in uns drin, auch nach all den Jahren im Ausland. Das ist schön.