Politica | Südtirols Recovery

Intransparente Milliarden des Neustarts

Das Land hofft auf 2,369 Milliarden Euro aus dem Recovery Fund. Aus 365 Projekten wurden im Eilverfahren und in aller Stille 50 ausgewählt. Der Informationshahn tröpfelt.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Die Politik hat schnell reagiert. Gut so. Und die eingereichten Projekte werden in Rom und Brüssel den inhaltlichen und formalen Qualitätstest bestehen, der von der EU vorgeschrieben ist. Hoffentlich. Doch es geht um Projekte im Umfang von knapp 38 Prozent des aktuellen Landeshaushalts. Da konnte schon erwartet werden, dass durch Transparenz die Nachvollziehbarkeit des Schnellschusses sichergestellt wird. Der Bevölkerung die strategischen Weichenstellungen zumindest im Nachhinein im Detail zu erklären, ist ein Gebot politischer Rechenschaftspflicht und eine Chance, das Vertrauen in die Politik zu stärken. Es wäre sich zeitlich auch ausgegangen, einen allgemeinen Aufruf an die Bevölkerung und die Stakeholder zu richten, Projektideen vorzulegen. Viele verpasste Chancen.

Wer war eingebunden?

Der Mangel an Information gibt Anlass zu Mutmaßungen. Stützen sich die Projekte nur auf Vorschläge der einzelnen Landesressorts? Wurden die Unternehmerverbände in die Definition der Projekte eingebunden? Die Gewerkschaften und Sozialverbände? Die öffentlichen Dienstleister? Spezialisierte Unternehmen? Die Freie Universität Bozen? Selbst die SWZ hat mangelnde Transparenz festgestellt. Das Ergebnis einer kleinen Internetrecherche dazu ist sehr dürftig: Was die Einbindung der Stakeholder zur Nutzung des Recovery Fund betrifft, berichtet Südtirol-News am 25. September über eine Aussprache zwischen Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider und dem Präsidenten des Kollegiums der Bauunternehmer Michael Auer. Am 2. Oktober meldete die SWZ, dass Südtirol 365 Projekte für den „Megageldkuchen“ des Recovery Fund zusammengetragen hat. Eine RAI-News-Nachricht vom 15. Oktober spricht von 50 Projekten, die in Rom vorgelegt wurden. Am 4. Dezember berichtet die Tageszeitung „Dolomiten“ über einige relevante der anscheinend übrig gebliebenen 45 Projekte, die den sechs Kategorien des nationalen Recoveryplans zugeordnet sind.

Klare Vorgaben zu den Schwerpunkten und Kriterien

Projekte können zu den folgenden Bereichen eingereicht werden: Digitalisierung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit des Produktionssystems; grüne Wende und ökologische Übergangsphase; Infrastrukturen für die Mobilität; Bildung, Forschung und Kultur; soziale Gerechtigkeit (auch zwischen den Geschlechtern und unterschiedlichen Territorien) sowie Gesundheit. Die Projekte müssen begründet und vernünftig sein, messbare wirtschaftliche, ökologische und soziale Effekte beinhalten, klar definieren, wer sie umsetzt, einen Zeitplan für die Umsetzung beinhalten und das entsprechende Vorgehen beschreiben, Zwischen- und Endziele aufweisen.

Es sind also so viele klare Kriterien vorgegeben, dass die Projekte der Überprüfung durch die EU nur standhalten werden, wenn sie von vorneherein entsprechend stichhaltig konzipiert sind. Trotz des ungeahnt hohen Finanzierungsplafonds ist eine Auswahl der Projekte erforderlich. Großen Projekten wird der Vorzug gegeben. Darin liegt die politische Brisanz der Entscheidung. Solch entscheidende Weichenstellungen sollten sich deshalb auf einen breiten Konsens der Bevölkerung stützen können. Dazu ist Information notwendig, die für Transparenz sorgt. Zumindest das. Bürgerbeteiligung wäre eine demokratiepolitisch wertvolle Draufgabe.

Projektcheck aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger

Der vorab notwendige Projektcheck sollte aufgrund von vier Kriterien erfolgen: Die Bürgerinnen und Bürger können nur aufgrund der Transparentmachung der zur Auswahl stehenden Projekte nachvollziehen, ob diese wirklich von strategischer Bedeutung sind. Wenn nur alte Projekte aus der Schublade gezogen werden, dann muss bei einigen sicher deren Relevanz nochmals akkurat überprüft werden, um Mitnahmeeffekte zu minimieren, die bei Finanzierungen dieses Ausmaßes üblich sind. Natürlich stellt die Sonderfinanzierung aufgeschobener Infrastrukturprojekte eine mehr als willkommene Entlastung des Landeshaushalts dar, dessen Spielräume von hohen Fixkosten begrenzt sind.

Darüber hinaus ist jedoch die Frage zentral, wie konsistent der mit dem geschnürten Projektpaket verbundene Innovationschub ist. Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt des vorab notwendigen Projektchecks ist, ob die im „Dolomiten“-Bericht genannten 28 Projekte, die der ökologischen Wende zugeordnet sind, auch tatsächlich eine „grüne“ Transformationswirkung für das Wirtschaftsgefüge beinhalten. Immerhin entsprechen diese einer Größenordnung von 41 Prozent der Mittel.

Innovation aus der Schublade?

Und es ist spannend zu entdecken, wie die Prioritäten gesetzt wurden. Um drei Beispiele herauszunehmen: Welche transformativen ökologischen Effekte sind von der Errichtung von Staubecken für die künstliche Beschneiung zu erwarten? Welche grundlegende Funktion für die kulturelle Entwicklung soll das „Haus der Bildung“ erfüllen? Wie werden im Sozialbereich, wo es eine lange Wunschliste der Verbände gibt, neue wegweisende Entwicklungen angebahnt?

Voraussichtlich wird die Regierung Conte erst im Februar den definitiven italienischen Recoveryplan nach Brüssel schicken. Es wäre also noch Zeit, um den Feinschliff der Projekte zu machen, die Öffentlichkeit zu informieren und eine faktenbasierte Debatte zu führen.

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Klaus Griesser Dom, 12/06/2020 - 17:40

Danke für diesen wertvollen Beitrag! Es ist für die Bürger wichtig zu wissen und vor allem klarzulegen, dass wir wissen wollen, wohin die Gelder vom recovery found fließen. Wenn wir das nicht tun, bleibt alles beim Alten und die Lobbys -wie gehabt hochgerüstet und bereits auf Wartesitzposition in den öffentlichen Entscheidungsschaltern - bestimmen, wohin die Gelder fließen und wir haben das Nachsehen.
Die Zivilgesellschaft wird aufwachen und sich grundsätzlich überlegen müssen, wie ihre Interessen - die Interessen der Allgemeinheit!- geschützt werden. Ich persönlich denke vor allem an das Klima und an das Zukunftspaket Südtirol!

Dom, 12/06/2020 - 17:40 Collegamento permanente
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Johannes Engl Mar, 12/08/2020 - 19:52

Karl Gudauner hat vollkommen recht. Genau das soll nicht passieren; dass die Gelder für den Wiederaufbau ohne Kriterien für Nachhaltigkeit und Klimeverträglichkeit verwendet werden. Ein Zurück zum kurzsichtigen "business as usual" darf es nicht geben.

Mar, 12/08/2020 - 19:52 Collegamento permanente
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Klemens Riegler Mar, 12/08/2020 - 20:51

Genau solche Beiträge wie dieser hier werden zur "Transparenz" beitragen. Thema aufwerfen und ins Gespräch bringen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben keine Ahnung von "Recovery Found" und können sich auch nicht viel darunter vorstellen. Allerdings sind diese Summen dermaßen hoch, dass Bürger, Interessenverbände und Sozialpartner definitiv einbezogen oder zumindest informiert werden müssen. Und dann nachvollziehen können, dass die Gelder "laut Vorgaben" eingesetzt werden. Sollten sie denn wirklich kommen. Danke Herr Gudauner.

Mar, 12/08/2020 - 20:51 Collegamento permanente